Zurück zu den neuesten Artikeln...
13. Fürstenfeld: Big Creek Slim, Roger C. Wade & Christian Rannenberg – Blue...
14. Fürstenfeld: Macbeth – Konventionen gesprengt
15. Olching: Michael Leslies - Winterwärme
16. Gilching: Ricardo Volkert & Ensemble – Leidenschaft und Intensität
17. Landestheater Schwaben: Der Revisor - Mit Vollgas
18. Germering: Philip Catherine & Martin Sasse – Formvollendete Nachdenklichk...
Bilder
Foto Big Creek Slim: Agentur
Samstag 20.01.2024
Fürstenfeld: Big Creek Slim, Roger C. Wade & Christian Rannenberg – Blues der die Seele wärmt
Fürstenfeld. „Wer über den Blues schreibt, begibt sich auf gefährliches, unsicheres Terrain“, schrieb Siegfried Schmidt-Joos anlässlich der „American Folk Blues Festivals“ - Tournee 1963. „Er betritt eine Welt ohne Geburtenregister und ohne Tagebuch-Notizen, ein eigentümliches Halbdunkel mehr oder weniger zutreffender Erinnerungen.“
Das hat sich im Laufe der Jahrzehnte größtenteils geändert. Das Originäre, das Archaische existiert zwar noch immer, bezieht sich heute jedoch mehr auf die Musik, als auf die Interpreten und ihre Lebensumstände. Blueser aus den Elendsvierteln, dass ist oft nur noch Geschichte. Doch deren Geist, ihre Unerbittlichkeit, Hingabe und Melancholie beeindrucken hingegen noch heute manchen jungen Musiker hörbar in seiner Kunst.
Gitarrist und Sänger Big Creek Slim ist so ein Besessener, der das ganze Erbe der Blueslegenden wie ein Schwamm in sich aufgesogen zu haben scheint. Er bewegt sich auf diesem schmalen rudimentären Pfad, wie einst Howlin’ Wolf oder gar Charley Patton, mit dieser urwüchsigen, authentischen Sparsamkeit im Spiel und dieser unglaublichen Aussagekraft.
Am Freitag war der Däne(!) zusammen mit dem energiegeladenen Mundharmonikaspieler Roger Wade und dem virtuosen Pianisten Christian Dannenberg in Fürstenfeld. Blues First rief und trotz tiefster Minustemperaturen war der Saal vollbesetzt - das Publikum in bester Stimmung.
Es gab wohl kaum jemanden an diesem Abend, der den Gang in die Kälte bereute. Dafür sorgten die Drei auf der Bühne. Obwohl kein reguläres Trio, sondern spontan für diesen Abend zusammengekommen, ließen sie die Seele des Blues von der Leine. Und vielleicht auch gerade weil musikalisch nicht alles so zielgenau passte, es hin und wieder Improvisationsstrecken gab, sprang der Funke vehement über. Fehlender Perfektionismus ist in unserer heute so durchgestylten und durchorganisierten Welt ein Novum. Zumal es im Blues eben auch immer weitaus stärker um ein Lebensgefühl geht, das einst als Worksong auf den Baulwollfeldern des Mississippi zum Ausdruck gebracht wurde, später als Grundlage den Jazz erweiterte und wie kaum eine andere Musik Emotionen ganz direkt vermittelt.
Doch entsprechend dem Fürstenfelder Trio, das im Grunde aus sehr eigenen Charakteren besteht, gab es auch furiose Boogie Woogie Passagen, in denen Christian Rannenberg seine ganz Erfahrung und sein Können zum Ausdruck brachte. Die schwungvoll sich wiederholenden Bassfiguren mit der rechten Hand spielend und die perlenden Akkordläufe mit den kurzen melodischen Figuren dagegengesetzt, ließ jedes Mal sofort eine rhythmische Stimmung aufkochen.
Roger C. Wade war das improvisierende Verbindungsglied zwischen Big Creek Slims trocknen Gitarrenlicks und seinem unverhohlen rauen Gesang und den mehr filigranen Fingerspielen des Pianisten. Wade brachte diese unterschiedlichen Persönlichkeiten mit seiner Harmonika zusammen, schuf diesen gemeinschaftlichen Sound, der das Publikum tief in seiner Seele berührte und es so ordentlich wärmte.
Jörg Konrad
Permalink zum ArtikelDiese Adresse können sie verwenden, um von ihrer Seite, ihrem Blog etc. direkt auf den Artikel zu verweisen.
Klicken sie dazu auf den Link und verwenden die Adresse in der Adressleiste, oder klicken mit der rechten Maustaste hier und kopieren den Link direkt.
Nach oben scrollenKlicken sie hier um schneller an den Anfang der Seite zu gelangen.
Autor: Siehe Artikel
Bilder
Bilder
Fotos: Armin Smailovic
Freitag 12.01.2024
Fürstenfeld: Macbeth – Konventionen gesprengt
Fürstenfeld. Heiner Müller, einer der vielleicht spektakulärsten deutschsprachigen Theatermacher, war selbst Shakespeare verfallen, den er immer wieder neu übersetzte, bearbeitete und inszenierte, weil, wie Müller meinte, in den Stücken des Engländers alles menschliche und nichtmenschliche drastisch zum Ausdruck gebracht wurde. Eine ideale Projektionsfläche für diktatorische Gesellschaften, weil in den Dramen alles politisch Maßlose ausgedrückt werden konnte, was vor allem aufgrund von Zensur und staatlicher Willkür verboten war. Shakespeare passt immer.
Johan Simon vom Schauspielhaus Bochum hat "Macbeth" von Shakespeare neu inszeniert und das Stück am Mittwochabend in Fürstenfeld als Gastspiel präsentiert.
Macbeth wird nach dem Sieg über die Norweger von drei Hexen geweissagt, dass er zum König aufsteigt. Eingeladen zur Siegesfeier beim amtierenden König Duncan und auf Initiative von Lady Macbeth ersticht Macbeth Duncan und wird so zum König ausgerufen. Doch damit beginnt erst das eigentliche Spiel um Macht und Herrschaft, um Terror und Revolte.
Johan Simon und sein Ensemble, zu dem nur drei(!!) Schauspieler gehören, machten aus dem blutrünstigsten Shakespeare-Stück, der Greuel-Ballade vom Königsmord und seinen Folgen, eine Chimäre aus Tragödie und Boulevard. Mordgier kontra Witzeleien, Irrsinn kontra Konvergenz, manirierte Tanzeinlagen kontra sinnloser Gewalt.
Doch besonders in der Gegenüberstellung und dem Herausarbeiten dieser Gegensätze wird die uneinschätzbare Grausamkeit der Figuren deutlich, wird das Stück, trotz mancher Längen, zu einer Art klassischer Horrorkomödie, in der das Lachen stets im Halse stecken bleibt.
„Macbeth“ ist besetzt mit drei (fest eingeschworenen) Schauspielern, die die Rollen unter sich aufteilen: Stefan Hunstein (Hexe 1), Jens Harzer (Hexe 2, Duncan, Macbeth, Malcolm, Mörder) und Marina Galic (Hexe 3, Lady Macbeth, Banquo, Macduff, Lady MacDuff, Sohn). Ein überschaubares Ensembles, das sich voller Lust und Leidenschaft in die Inszenierung wirft. Besonders Iffland-Ring-Träger Harzer hat mit seinen Rollen eine beinahe Mamutaufgabe zu bewältigen. Drei Stunden als Schwadroneur, Conférencier mit Slapstickeinlagen, gewaltbereiter Delinquent, winselnder Idiot, Grimassen schneidender Narr - Krone auf, Krone ab, Krone auf - und Lebensweisheiten von sich gebender Teilzeitphilosoph („Wir fischen nur im Trüben, wenn wir hoffen. Denn die Entscheidung wird vom Schwert getroffen, im Krieg“) ist schon eine gewaltige Herausforderung.
Marina Galic verführt und stiftet an, stirbt und tötet, radikalisiert und bittet um Verzeihung.
Und selbst Hunstein, obwohl offiziell nur Hexe 1 verkörpernd, hat ordentlich zu tun: Als Giftmischer und Pferdeersatz, als Spielmaterialien überreichender Requisiteur, als Eintänzer und DJ.
Diese Inszenierung sprengt manche Konventionen, amüsiert ebenso, wie sie Fragen offen lässt, beeindruckt in ihrer federleicht gespielten Abgründigkeit und trifft den Zuschauer mit ihrer Kompromisslosigkeit im Tagesgeschäft der Macht.
Jörg Konrad
Permalink zum ArtikelDiese Adresse können sie verwenden, um von ihrer Seite, ihrem Blog etc. direkt auf den Artikel zu verweisen.
Klicken sie dazu auf den Link und verwenden die Adresse in der Adressleiste, oder klicken mit der rechten Maustaste hier und kopieren den Link direkt.
Nach oben scrollenKlicken sie hier um schneller an den Anfang der Seite zu gelangen.
Autor: Siehe Artikel
Sonntag 07.01.2024
Olching: Michael Leslies - Winterwärme
Bilder
Olching. Es ist fast neunzehn Jahre her, dass Michael Leslie die erste Matinee der von Michael Schopper ins Leben gerufenen Reihe Eleven-Eleven in Olching eröffnete. Der australische Pianist Leslie spielte im Februar 2005 Beethovens Klaviersonaten op. 109 und 110 und gleich dieses erste Konzert war ein voller Erfolg.
Am letzten Sonntag fand die mittlerweile 215. Matinee in der Kulturwerkstatt am Olchinger Mühlbach (KOM) statt und am Flügel saß wiederum Michael Leslie. Sein Repertoire bestand diesmal aus Kompositionen von Wolfgang Amadeus Mozart, Frédéric Chopin und, im Zentrum an diesem Vormittag, Modest Mussorgsky „Bilder einer Austellung“.
Mit Mozarts „Rondo a-moll KV 511“ entschied sich der in Australien geborene Pianist Leslie zu Beginn der Matinee für ein Stück, welches als ein Auftragswerk Mozarts für seinen Verlegerfreund Franz Anton Hoffmeister gilt. Ein technisch wohl nicht sehr herausforderndes Stück, dessen Tücken in der musikalischen Umsetzung liegen. Hier herrscht ein sanft melancholischer Charakter vor, der in seinem Ansprach zwischen Zartheit und Dramatik schwankt - oft zugunsten einer gewissen herausfordernden Ausdruckskunst. Leslie widmete sich dieser Komposition mit Hingabe, spielte sie mit Energie und Empfindsamkeit und erhält damit der Komposition ihre strahlende Zeitlosigkeit.
Von Frédéric Chopin (1810-1849) stand mit „Barcarolle in Fis Dur op. 60“ eine der schönsten, vielleicht vollendetsten Kompositionen des polnischen Pianisten und Klavierpädagogen auf dem Programm. Entstanden ist dieses „Gondellied“ womöglich auf Grundlage einer 1885 geplanten Venedig-Reise, die Chopin dann jedoch nicht angetreten hat. Trotzdem bringt dieser schaukelnde Grundrhythmus und die darübergesetzte gesangliche Melodie eine deutliche Verbindung zum Gondoliere, denn eine Barkarole (von italienisch barca „Barke, Boot“) war ursprünglich ein venezianisches Gondel- bzw. Schifferlied. Insgesamt eine Meisterkomposition, deren kühne Harmonien, dem dynamisch fließenden Charakter und leidenschaftlichen Ausdruck Schönheit vermitteln. Erst recht in der Interpretation von Michael Leslie, dem es gelingt, sowohl die sanften Übergänge als auch die unvermittelten Wechsel hervorragend miteinander zu kombinieren.
Modest Mussorgsky (1839-1881) gehörte zu einer kleinen Gruppe von Pianisten und Komponisten, die in den sechziger und siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts die Musikszene in Russland ungemein bereicherten und versuchten, diese von einer „westlichen Fremdherrschaft“ zu befreien. Das besondere an diesem „Mächtigen Häuflein“, wie sie sich nannten und zu denen unter anderem César A. Cui und auch Alexander Borodin gehörten, war der Umstand, dass sie als Musiker und Komponisten Autodidakten waren und bewusst bürgerliche Berufe ausübten.
Vielleicht war dies der Grund, dass sie überaus unvoreingenommen und mit nur wenig „inspirierendem Ballast“ ihre eigene Musik schaffen wollten und letztendlich, in einem gewissen Bereich, auch schaffen konnten.
Zu den bekanntesten Werken dieser Gruppe gehört Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“, ein Zyklus für Solo-Klavier, der in den folgenden einhundert Jahren in immer wieder neuen Orchesterfassungen und populären Arrangements aufgeführt und eingespielt wurde.
Entstanden waren die insgesamt zehn Kompositionen des Zyklus aufgrund des plötzlichen Ablebens des Malers Victor Alexandrowitsch Hartmann, einem engen Freund Mussorgskys und einer retrospektiven Ausstellung des Künstlers.
Mussorgsky fasste diese ihn stark beeindruckende Ausstellung in zehn, zum Teil hochvirtuosen Bildbeschreibungen zusammen. Verbunden wurden diese einzelnen Kompositionen mit verschiedenen Variationen des Stückes „Promenade“, die als Überleitungen fungierten.
Leslie begeistert in diesem heute leider zu wenig aufgeführten Zyklus. Seine Interpretation wirkt wie eine Art Prozession durch einen Bilder- und Themenpark, dem sich nicht zuletzt durch die emotionale Vielfalt der Stücke kaum jemand entziehen konnte. Klangmächtig kann man diesen Original-Mussorgski bezeichnen und atmosphärisch mitreißend. Musikalisch anregender konnte das Jahr 2024 kaum beginnen.
Jörg Konrad
Permalink zum ArtikelDiese Adresse können sie verwenden, um von ihrer Seite, ihrem Blog etc. direkt auf den Artikel zu verweisen.
Klicken sie dazu auf den Link und verwenden die Adresse in der Adressleiste, oder klicken mit der rechten Maustaste hier und kopieren den Link direkt.
Nach oben scrollenKlicken sie hier um schneller an den Anfang der Seite zu gelangen.
Autor: Siehe Artikel
Freitag 22.12.2023
Gilching: Ricardo Volkert & Ensemble – Leidenschaft und Intensität
Bilder
Gilching. Vielleicht kann man zur Abwechslung mal diese ewige Diskussionen zur Leitkultur ausblenden. Erst recht, ob denn der Kauf eines Weihnachtsbaumes in diese farblose Rubrik gehört - oder eben nicht. Man muss das Weihnachtsfest musikalisch nicht unbedingt mit „Stille Nacht“ oder „Vom Himmel hoch“ einläuten. Es geht auch anders. In Spanien zum Beispiel, speziell in Andalusien, denn da ist der Flamenco zu Hause. Und Flamenco ist eine ganzjährige Passion - auch Ricardo Volkerts Passion, obwohl dieser gar nicht aus Andalusien stammt. Aber er hat sich schon vor Jahren dieser Leidenschaft verschrieben und tourt in diesen Tagen mit einem speziellen Weihnachtsprogramm durch die Republik. „Feliz Navidad“ - Frohe Weihnachten - hieß es auch am gestrigen Donnerstag im Rahmen der Rathauskonzerte in Gilching.
Volkert präsentierte mit seinem sechsköpfigen Ensemble ein Art vergnügliches Betlehem. Temperamentvoller und feuriger Flamenco mit augenzwinkernden Texten über den Heiligen Abend - in Andalusein „Villancicos“ genannt.
Der Flamenco ist ein von starker Leidenschaft gekennzeichnetes Ereignis, das ohne emotionales Fundament nur schwer umzusetzen wäre. Egal, ob es sich um die Musik oder den Tanz handelt. Volkert präsentiert beide Facetten in klassischer Manier. Er selbst als Saitenmagier und Sänger gibt dabei die Richtung vor. Als Gitarrist macht er die verschiedenen Schattierungen und Stimmungen des iberischen Blues erlebbar. Egal, ob er raumfüllende Akkorde oder schwindelerregende Läufe spielt, man spürt in jedem Moment die kulturelle Vielgestaltigkeit und die Integrität des Flamenco, der sich aus indischen, marokkanischen, ägyptischen, und selbst jüdischen Anteilen zusammensetzt. Oft melancholisch klagend, immer voller Intensität. An seiner Seite Simón „El Quintero“, ebenfalls an der Gitarre, und Cellist Jost-H. Hecker.
Mit den drei Tänzerinnen kommt das Ensemble sehr stark in die Nähe des folkloristischen Originals. Ihre markanten Bewegungen, die spannungsvollen Körperhaltungen, die wellenförmigen arabesken Gesten, bis hin zum festen, selbstbewussten Aufschlagen der Füße - alles würdevolle Sinnlichkeit. Eine Art inszenierter Ausdruckstanz, dessen Wechselspiel von pulsierendem Fluss und plötzlichem Innehalten der Bewegungen geprägt wird. Zudem ein verführerisches Spektakel, das immer ein Gefühl des Trostspendens, aber auch der Rivalität vermittelt. So werden auch alte Lieder visuell zu neuem Lodern gebracht und die eigene Zerissenheit bekommt ein Ventil. Es ist ein Weihnachten der anderen Art, spürbar ausgelassen und doch freud- wie leidvoll. Es ist Leben in seiner vitalsten Form - das vom Publikum begeistert aufgenommen und mitgefeiert wurde.
Jörg Konrad
Permalink zum ArtikelDiese Adresse können sie verwenden, um von ihrer Seite, ihrem Blog etc. direkt auf den Artikel zu verweisen.
Klicken sie dazu auf den Link und verwenden die Adresse in der Adressleiste, oder klicken mit der rechten Maustaste hier und kopieren den Link direkt.
Nach oben scrollenKlicken sie hier um schneller an den Anfang der Seite zu gelangen.
Autor: Siehe Artikel
Mittwoch 20.12.2023
Landestheater Schwaben: Der Revisor - Mit Vollgas
Bilder
Landsberg. Nikolai Wassiljewitsch Gogol war eine exzentrische Persönlichkeit. Vielleicht ähnelte er ja in bestimmten Lebensabschnitten, zumindest was Wesen und Charakter eines Beamten betrifft, einigen der Hauptfiguren aus seinen literarischen Arbeiten. So zum Beispiel dem Stadthauptmann Anton Antonowitsch Skwosnik-Dmuchanowskij in der Komödie „Der Revisor“, die am vergangenen Dienstag vom Landestheater Tübingen im Stadttheater Landsberg aufgeführt wurde. Ein Stück, das Gogol 1835, damals 25jährig, in seiner St. Petersburger Zeit und unter dem Einfluss seines Freundes Puschkin schrieb. Hier karikierte und entlarvte Gogol, der selbst einige Jahre Beamter im Staatsdienst war, die überhebliche, korrumpierbare wie opportunistische Lebensart des russischen Bürgertums auf Schärfste. Menschliche Eigenschaften, die nicht nur die damalige Zeit vor Ort bestimmten, sondern bis heute ihre Spuren hinterlassen haben.
Das Landestheater Tübingen hält sich unter der Regie von Gregor Ture?ek textlich schon recht nahe am Original. In einer russischen Provinzstadt wird durch einen abgefangenen Brief bekannt, dass, natürlich incognito, ein Revisor zur Inspektion erscheinen wird. Die Honoratioren der Stadt stehen Kopf, reagieren panisch, weil damit ihre Täuschungen, Betrügereien und Korruptionen auffliegen könnten. Allen voran Stadthauptmann Anton Antonowitsch Skwosnik-Dmuchanowskij, in seiner ironischen Naivität wunderbar verkörpert von Gilbert Mieroph.
Nun verwechselt das aufgeschreckte Bürgertum den angekündigten Revisor mit einem zufälligen Gast, der von Stephan Weber arrogant breitspurig in Szene gesetzt wird und der samt Diener im Wirtshaus des Ortes abgestiegen ist. Womit das Verwirrspiel beginnt.
Abgesehen vom Text inszeniert Gregor Ture?ek das Stück als eine funkenstiebende, alle Register der Albernheit ziehende Trash-Komödie. Angefangen beim Bühnenbild (Juliette Collas), einem cremefarbenen Schwimmbad in geometrischen Grundformen, weiter über die Kostüme, der Stadthauptmann in einer Fantasieuniform mit kurzen Hosen und Schwimmflossen oder die beiden Gutsbesitzer Bobtschinskij und Dobtschinskij in weißer Badehose und grüner Badekappe, bis hin zu hysterischen Slapstickeinlagen und Videosequenzen samt Rock-Roll Musik - Ture?ek und sein Ensemble geben einfach Vollgas.
Und das ist zugleich das Beste was sie diesem Stück antun können. Eben nicht die kritischen Sichtweisen und Anleihen samt ihren Bezügen in die Gegenwart korrekt zu persiflieren, sondern die Realitäten mit vollem Risiko und spöttisch zu brandmarken, sie wie ein unterbelichtetes Musical ausstaffieren, um damit die Absurdität von Filz und Opportunismus und Bürokratie auf den Punkt zu bringen. Nur so bekommt man die (Schein-)Investoren, (Bau-)Unternehmer und politischen (Volks-)Vertreter bis in unsere Tage entlarvend dargestellt. Statt Empörung und Machtlosigkeit sie der Lächerlichkeit und Eugenspiegelei preis zu geben.
Das Ensemble ist durchgehend großartig besetzt, hat spürbaren Spaß an dieser Inszenierung, der auf das Publikum ansteckend wirkt. Vielleicht weil „Der Revisor“ eben nicht nur als ein revolutionäres Stück der zaristischen Bürokratie verstanden werden kann.
Jörg Konrad
Permalink zum ArtikelDiese Adresse können sie verwenden, um von ihrer Seite, ihrem Blog etc. direkt auf den Artikel zu verweisen.
Klicken sie dazu auf den Link und verwenden die Adresse in der Adressleiste, oder klicken mit der rechten Maustaste hier und kopieren den Link direkt.
Nach oben scrollenKlicken sie hier um schneller an den Anfang der Seite zu gelangen.
Autor: Siehe Artikel
Samstag 16.12.2023
Germering: Philip Catherine & Martin Sasse – Formvollendete Nachdenklichkeit
Bilder
Bilder
Germering. Es war das 119. Konzert und zugleich sein letztes. Der Germeringer Hans-Jürgen Schaal hat seit über sechzehn Jahren mit seiner Jazz-Auswahl Musikenthusiasten aus nah und fern begeistert.
Als am 27. April 2007 die japanische Pianistin Aki Takase in der Stadthalle auftrat, wussten die wenigsten, dass dieses Gastspiel eine Art Testballon war. Würde es sich lohnen, im Landkreis eine neue Jazzreihe zu präsentieren? Das Konzert war ausverkauft – und die Entscheidung damit gefallen. Seitdem hat Hans-Jürgen Schaal in Zusammenarbeit mit der Stadthalle große und angehende Stars präsentiert, nationale und internationale Virtuosen vorgestellt. Von Abraham Burton & Eric McPherson, über Mary Halvorson bis Christoph Stiefel, Luciano Biondini und Lajos Duda. Die Reihe hat den langwierigen Umbauarbeiten der Spielstätte getrotzt und vor allem die Corona-Pandemie, trotz mancher Rückschläge, überlebt. So konnte der gebürtige Stuttgarter und Autor zahlloser Jazzbeiträge für Zeitschriften und den Rundfunk, den Musikgeschmack der Germeringer über eineinhalb Jahrzehnte förmlich prägen.
Am Freitag erfüllte sich Hans-Jürgen Schaal zum Abschluss „seiner“ Reihe mit dem Gastspiel von Philip Catherine und Martin Sasse noch einen Herzenswunsch. Der belgische Gitarrist Catherine, Jahrgang 1942, gehört zu jenen Musikern, die den europäischen Gedanken von Tradition und Moderne, von Jazz und Rock und Sintiswing seit Jahrzehnten ausleben. Er hat mit Larry Coryell, Joachim Kühn, Paulo Morello und Sven Faller gespielt – die alle, dank Hans-Jürgen Schaal, ebenfalls schon Gast bei Reihe Jazz It waren.
In Germering saß der Saitenmagier neben dem Pianisten Martin Sasse. Das Programm bestand überwiegend aus Klassikern des Jazz, Kompositionen unter anderen von Jimmy Davis und Ram Ramirez, Irving Berlin, Charlie Chaplin und Sam Rivers. Beide Instrumentalisten einigten sich im Vorfeld auf ruhige Interpretationen und stellten bei ihrem gemeinsamen Vortrag auch stärker das Liedhafte dieser Songs heraus, Balladen, die jedoch selbst in ihrem langsamsten Format noch ein untrügliches Zeichen von Swing verströmten. Catherine beeindruckt auch heute noch, zumindest wenn er wie in den letzten Jahren ohne großes elektronisches Equipment auftritt, mit diesem unvergleichlichen Django Reinhardt-Vibrato. Und natürlich mit seiner unbekümmerten Einfachheit, die seine Interpretationen vermitteln. Er ist einer der wenigen Gitarristen, die nach der im Jazz nicht oft anzutreffenden Maßgabe spielen: weniger ist mehr! So war die Stimmung im Amadeussaal eher melancholisch angehaucht. Formvollendete Nachdenklichkeit wurde ihm schon vor etlichen Jahren attestiert. Oder, so könnte man den Auftritt von Catherine und Sasse auch bezeichnen: Brillante Intimität in Großaufnahme.
Jörg Konrad

Ab Januar übernimmt nun der Bassist und Komponist Sven Faller den Staffelstab und wird das zukünftige Jazz It - Programm in Germering zusammenstellen. Die fünf Konzerte für 2024:
26.01.2024 Anna Maria Sturm
12.04.2024 Ulf Wakenius & Paulo Morello Duo
12.07.2024 Tim Collins & Matthias Bublath
25.10.2024 Anke Helfrich Trio
06.12.2024 Lisa Wahlandt Band

Fotos:
- Philipe Catherine & Martin Sasse
© Markus Albrecht

- Hans-Jürgen Schaal (re.) & Sven Faller (li.)
Pressekonferenz am 20. September 2023
© Chris Frenzel
Permalink zum ArtikelDiese Adresse können sie verwenden, um von ihrer Seite, ihrem Blog etc. direkt auf den Artikel zu verweisen.
Klicken sie dazu auf den Link und verwenden die Adresse in der Adressleiste, oder klicken mit der rechten Maustaste hier und kopieren den Link direkt.
Nach oben scrollenKlicken sie hier um schneller an den Anfang der Seite zu gelangen.
Autor: Siehe Artikel
© 2024 kultkomplott.de | Impressum
Nutzungsbedingungen & Datenschutzerklärung
KultKomplott versteht sich als ein unabhängiges, kulturelle Strömungen aufnehmendes und reflektierendes Portal.