Das jetzt erschienene „Tractus“ von Arvo Pärt vereinigt Kompositionen, die zwischen 1988 und 2014 entstanden sind und die in ihrem klanglichen Kern das Verhältnis zwischen Streichorchester und menschlicher Stimme noch einmal neu ausloten. Denn Pärt hat die Stücke überarbeitet, sie mit seinen heutigen Erfahrungen und seinem jetzigen Wissen abgeglichen und sie somit, wie in einem Begleittext zu lesen ist, mit der Vergangenheit versöhnt.
Eingespielt wurden die Aufnahmen, die, wie man es von dem Esten gewohnt ist, den Dialog zwischen Klang und Stille, Musik und Wort, Instrumentalem und Vokalem und zwischen Weltlichem und Kirchlichem (Wolfgang Sandner) aufrecht erhalten, im September 2022 in der Methodist Church in Tallin. Es spielt das Tallin Chamber Orchestra und der Estonian Philharmonic Chamber Choir unter der Leitung von Tonu Kaljuste.
Die textliche Grundlage eines Großteil der hier versammelten Werke sind Gebete, die der Musik einen hohen Grad an Spiritualität verleihen. Diese vermittelt inhaltlich, auch was ihr Klangspektrum betrifft, Demut und Respekt vor dem Leben. Um dies zu spüren, bedarf es im Grunde keiner namentlichen zugeordneten Religiosität. Jedoch einer sensiblen Sinneswahrnehmung, oder, ganz profan ausgedrückt: Offener Ohren. Dann wird dieses nachdenklich machende und dabei trostspendende Album in dieser gebrochenen Zeit zu einem Fest der Hoffnung. Die Suche nach dem vollendeten Ausdruck hat den 89jährigen Pärt bis heute nicht verlassen. Und, wie „Tractus“ so beeindruckend hörbar macht, wird er immer wieder fündig.
Jörg Konrad
Arvo Pärt
„Tractus“
ECM
„Tractus“
ECM