Charles Aznavour ist, neben seinen schauspielerischen Talenten, für die meisten der Inbegriff des französischen Chansonniers. Als ewiger Botschafter Frankreichs stand „der kleine Grandseigneur“ mit der großen Stimme auch in über siebzig Filmen vor der Kamera. Erst als er vor zwei Jahren starb, wurde vielen wieder bewusst, das Schahnur Waghinak Asnawurjan, wie er mit bürgerlichem Namen hieß, im Grunde armenischer Abstammung war.
Für Elina Duni, die in der Schweiz lebende Sängerin mit albanischen Wurzeln, Grund genug, auf ihrem neuen Album „Lost Ship“ einen Song Aznavours in ihr Repertoire aufzunehmen. „Hier Encore“ ist der melancholisch angehauchte Blick eines alternden Menschen zurück in seine Jugend, als er die schier endlos erscheinende Kraft und den grenzenlosen Tatendrang eines Halbwüchsigen wie nebenher noch verschwendete. Elina Duni bringt in dieser Ballade in der sparsamen Begleitung von Gitarrist Rob Luft ihre ganze empathische Leidenschaft zum Ausdruck. Stolz und Trauer, Natürlichkeit und Hingabe, Geschmeidigkeit und Fragilität halten sich die Waage. Es ist eine Interpretation, die ihren Reiz aus der Einfachheit bezieht. Hier zeigt sich Elina Duni nicht als eine stimmlich virtuose Künstlerin, oder von den einschlägigen Jazz-Diven beeinflusste Sängerin. Ganz leise und unscheinbar kommt dieser Song daher, fast intim.
Das heißt aber nicht, dass sie während des gesamten Vortrags nicht auch der einen oder anderen kräftiger interpretierten Note den Vorzug gäbe. Aber in derartigen Fällen handelt es sich nur um kurze Momente, die sie sofort mit entgegengesetzten Gestaltungsmitteln wieder ausgleicht. Im Changieren unterschiedlicher Resonanzen bekommen ihre Songs diesen lebendigen, mitfühlenden Charakter. Weitab jeder Sentimentalität.
Nein, ein Paradiesvogel ist Elina Duni ganz sicher nicht. Ihre künstlerische Präsenz unterfüttert sie mit einer schlichten, reduzierten, einprägsamen Sangeskunst. Etliche Titel auf „Lost Ship“ hat sie gemeinsam mit ihrem Gitarristen Rob Luft geschrieben. Es sind Titel, in denen sie gesellschaftliche Konflikte und manch eigene schmerzliche Erfahrung verarbeitet hat und sie hier deutlich artikuliert. Und dabei ist es wichtig, bei sich zu bleiben, das eigene Wesen in das Zentrum zu stellen. Von dieser Glaubwürdigkeit zehrt ihre Kunst.
Hinzu kommen Bearbeitungen italienischer und nordamerikanischer Folklore und natürlich wunderbar stimmige Traditionals ihrer Heimat Amenien.
Dass sie tatsächlich auch eine Nummer von Frank Sinatra im Programm hat, verwundert zumindest in der Theorie. Hört man dann „I'm A Fool To Want You“, natürlich ohne dieses überarrangierte, zum dahinschmelzen strapazierte Streichorchester, klingt der Song aus dem Mund von Elina Duni völlig logisch. Man würde denken, er sei ihr wie auf die Seele geschrieben. Und damit kann man ihr eigentlich nur das schönste Kompliment überhaupt machen: Egal was sie singt, immer bleibt sie bei sich, ist ihre Persönlichkeit zu spüren, bekommt der Song eine ganz individuelle Note.
Jörg Konrad
Elina Duni
„Lost Ships“
ECM