Landsberg. Über das Ein-Personen-Stück „Der Herr Karl“, das im Grunde ein Monolog ist, zu schreiben oder zu reden und Helmut Qualtinger nicht zu erwähnen, wäre so, als würde man über ein Festmahl referieren und dabei dessen Zutaten unterschlagen. Nicht nur, weil Qualtiger neben Carl Merz einer der Autoren dieser bitterbösen Real-Satire ist, sondern, weil die österreichische TV-Aufzeichnung „Der Herr Karl“ aus dem Jahr 1961 vielleicht bis heute das Maß aller Dinge ist. Letzteres hat sich wohl auch das Schubert Theater Wien und Nikolaus Habjan bei der Inszenierung (Simon Meusburger) des Stückes um 2010 gedacht aber manches, wie am Donnerstagabend im Landsberger Stadttheater zu erleben war, ein wenig modifiziert. Das Ergebnis hat jedoch nichts von seiner entlarvenden Aktualität und individuellen und verderbten Boshaftigkeit eingebüßt.
Die Handlung wurde kurzerhand aus dem Feinkostkeller der „Frau Chefin“ in ein Restaurant verlegt und der Monolog auf drei Personen verteilt: Eine gealterte Bardame, ein im Laufe des Abends sturzbetrunken werdender Gast und natürlich der Ober. Nikolaus Habjan schlüpft abwechselnd mit der Hand in diese lebensgroßen Puppentorsi und bringt sie zum Sprechen. Zwischendurch leiert das Grammophon bekannte Wiener Lieder, es wird getrunken und geraucht, gemault und genörgelt, gegrantelt und gemotzt – alles in typisch österreichischer Manier. Wehleidigkeit geht bei der Betrachtung des eigenen Lebens, gemeint ist die Zeit zwischen den 1920er Jahren und dem Ende des 2. Weltkriegs, Hand in Hand mit Opportunismus und Selbstmitleid. Man war immer mitten drin und ist doch stets Opfer gewesen. Der Trinker übernimmt den Part des sensationsheischenden Voyeurs und politischen Tausendsassas, die Diva spricht über ihre Habgier und Gleichgültigkeit und der Kellner schwelgt von „alten Zeiten“, als er noch fesch und begehrenswert war.
Der genial agierende und formulierende Habjan bringt die Puppen in Beziehung, liefert zwischen ihnen einen demaskierenden Schlagabtausch, baut das Publikum spontan und zur großen Freude desselben, mit seinem Hüsteln, klingelnden Handys und Lachen in das Stück mit ein und schafft so eine Atmosphäre von eifriger Bissigkeit und manchmal auch Schadenfreude.
Diese moralische Flexibilität in der Darstellung der bürgerlichen Seele, ist mit Sicherheit? nicht nur ein österreichisches Phänomen. Trotzdem ist „Der Herr Karl“ ein mutiges Stück österreichischen Kulturguts, hat doch diese Form der Aufarbeitung der dunkelsten Geschichtskapitel durch Nestroy, Kraus oder von Horvath hier besonders Tradition. Ein Stück wie ein Spiegel. Aber mit welcher Erkenntnis?
Jörg Konrad