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Sonntag 16.03.2025
Fürstenfeld: Motionhouse HIDDEN – Realität und Hoffnung
Foto: Dan Tucker
Fürstenfeld. Gibt es eine politische Unabhängigkeit innerhalb der Kunst? In existenten und vitalen Demokratien mit Sicherheit. Denn politische Eingriffe in die Kunst wären gleichbedeutend mit einer Einschränkung der Kunstfreiheit. In einem solchen Fall spräche man von (verordneter) Staatskunst, in der die kreative Gestaltung zu einem Werkzeug der Macht wird.
Eine gesellschaftliche Funktion besitzt Kunst hingegen sehr wohl. In ihren Bereichen können Themen, Bezüge und Probleme, die das Miteinander von Menschen betreffen, diskutiert und verhandelt werden. Hier finden Provokationen und Widersprüche statt, dürfen Zustände und Befindlichkeiten (individuell und subjektiv) illustriert und karikiert werden.
Motionhouse, die Dance-Company aus der Nähe von Birmingham, spiegelt in ihren Programmen Teile der gesellschaftlichen Realität mit den Mitteln von Tanz und Akrobatik. Ein Bereich der dafür geschaffen scheint, sich stärker mit den existenziellen Bedingungen des alltäglichen Lebens zu beschäftigen und in Form von Performances sich mit öffentlichen Räumen und dem sozialen Verhalten in diesen auseinanderzusetzen.
Mit ihrem neuesten Programm HIDDEN gastierten Motionhouse am Samstagabend im Rahmen der Reihe Theater Fürstenfeld im Stadtsaal erstmals in Deutschland. Die siebenköpfige Company stellte im ersten Teil der Inszenierung und Choreographie von Kevin Finnan und Daniel Massarella urbanes Leben und seine Folgen in den Mittelpunkt des Gastspiels. Die Körperlichkeit der Company erinnerte immer wieder an dynamische Straßenszenen, in denen sich Menschen kämpferisch behaupten, in denen Beziehungsphänomene explosiv dargestellt und ausgefochten werden. Mit Hilfe von beweglichen Metallgerüsten, die in die Choreographien beweglich und versetzt eingebaut wurden und mit städtischen, ineinander verschachtelten Videoszenen pulsierten die nachempfundenen Großstädte förmlich. Stille Lösungswege schienen im ersten Teil des Abends selten. Verzweiflung, Wut, Gewalt und Einsamkeit war die vorherrschende Symbolik. Abhängigkeiten, gleich welcher Art, marodierten mit akustischen Klanglandschaften, atmosphärischen Drones, peitschenden Rhythmen und melancholisch aufbereiteten Streichersounds. Ein destruktiver und doch faszinierender Soundtrack. Kraftvoll und bodenständig die Bewegungen der Tänzer und doch taumelten sie, die Schwerkraft oft scheinbar aushebelnd, wie Gezeichnete über die Bühne. Oder Suchende im (digitalen) Moloch der Urbanität.
Der zweite Teil des Abends erinnerte in der Geschicklichkeit und Geschmeidigkeit der Bewegungsabläufe stärker an eine artistische Zirkussprache, an ein Varieté. Diese Performance vermittelte mehr Hoffnung und mehr Licht, in dem die Tänzer auf einer langgezogenen Schräge auf ständiger Suche zueinander waren. Vielleicht ja nur eine poetische Schwärmerei, aber letztendlich der einzige Widerstand.
Jörg Konrad
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Freitag 07.03.2025
Landsberg: Dominique Fils-Aimé - Gute Musik kennt keine Grenzen
Fotos: TJ Krebs
Landsberg. Mit welcher Musik gelingt am ehesten eine schlüssige Hommage an Soulmusik? Mit Soul versteht sich – fast von selbst. Dominique Fils-Aimés Album „Three Little Words“ aus dem Jahr 2022 war so eine musikalische Reverenz an populäre afroamerikanische Musik. Eine Songsammlung, die die Seele der schwarzen Musik beschwört. Noch dazu wurde dieses Album in Dominiques Heimat Kanada sehr erfolgreich, erreichte in den Verkaufscharts vorderste Plätze.
Am Donnerstag stand und saß die 1984 in Montreal geborene Sängerin mit haitianischen Wurzeln samt eigener Band auf der Bühne des Landsberger Stadttheaters und betörte mit energischem wie melancholischem Soul, einem glückseeligmachenden Jazzfeeling, mitreißenden Grooves und einer spektakulären Stimme das Publikum. Und sie machte zudem deutlich, wie nahe doch Soul dem Rhythm & Blues ist – und, wenn es in den Rahmen passt, es sogar Verbindungen zum europäischen Chanson gibt. Gute Musik kennt eben keine Grenzen.
Dominique Fils-Aimé hatte von Kindheit an Musik im Blut. Zugleich besaß sie generell schon immer eine musische und eine einnehmende wie empathische Ader. Sie malte, schrieb Gedichte, studierte Psychologie, arbeitete in sozialen Projekten, engagierte sich politisch und wurde als Sängerin in Kanada erfolgreich. Als ihre Favoriten nennt sie Billie Holiday, Nina Simon und Aretha Franklin. Darunter macht sie es nicht. Aber es ist bei weitem nicht so, dass sie diese Vorbilder weder stimmlich noch in ihrer Gestik nachahmt. Dominique Fils-Aimé bleibt bei sich, oder vielleicht besser: Sie hat mit der Hilfe anderer großer Stimmen ihre eigene Persönlichkeit entdeckt und entwickelt. Und das bedeutet bei ihr vor allem sich selbst zu reflektieren und dabei auf die Gesellschaft (auch kritisch) einzuwirken.
Sie zelebriert förmlich ihre Musik, bricht den Soul in seine Einzelteile, performt ihn in kleinen Intervallen, in Brüchstücken, die oft erst die Zuhörer im Geist wieder zusammensetzen. Auch auf diese Weise spürt man in ihrer Musik Schmerz und Zerwürfnis, Enttäuschung und Trauer. Aber zugleich auch Hoffnung, Freude und Glaube an sich selbst.
Sie löst einen Sturzbach an Emotionen aus, an wechselnden Harmonien und melodischen Motiven. Damit hat sie das Publikum von Beginn an des Konzertes auf ihrer Seite. Sie singt und spricht von Toleranz und Offenheit, von Freiheit und Frieden, von individuellem Glück und gesellschaftlicher Verantwortung. Passende Themen, in einer aus den Fugen geratenen Welt. Ihr Vortrag wirkt an manchen Stellen maniriert, aber auch flehentlich, zuweilen kämpferisch.
Sie bringt ihre Message nicht immer in klassisch geformten Songs zum Ausdruck. Selten ist ihre Herangehensweise durch einen gospelorientierter Vokalstil, mit ins Ohr gehenden Wiederholungen und Schlüsselmelodien gekennzeichnet. Die Arrangements sind sparsam gehalten, ihre Stimme oft mit Halleffekten angereichert, der weitflächige, oft dunkle Keyboardharmonien unterlegt sind. Das klingt nicht selten beschwörend, irgendwie himmlisch – dabei aber immer selbstbewusst und in der Tradition einer einfühlsamen Aktivistin. Selbst dann, wenn sie ihr Publikum mit einem Chanson in französischer Sprache in die vorfrühlingshafte Landsberger Nacht entlässt. Sie selbst zieht samt Band weiter, nach Barcelona, Montpellier, Toulouse, London, Paris …....
Jörg Konrad
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Montag 24.02.2025
Landsberg: The Silos – Die Liebe zur Musik
Landsberg. Vor Jahrzehnten, als Rock, Pop und all deren Äste aus dem weit verzweigten Stammbaum der Populärkultur noch in den Kinderschuhen steckten, war es nur mehr schwer vorstellbar, dass diese Musik irgendwie altern könnte. Sie wurde gespielt von oft blutjungen Visionären für ein ebenso junges Publikum. Mittlerweile sind beide Seiten um einiges gealtert – jene auf und auch jene vor der Bühne. Ob diese Realität der Musik irgendwie geschadet hätte? Nein – vielleicht im Gegenteil.
The Silos, vor vierzig Jahren in den Staaten aufgebrochen, um das Lebensgefühl einer verspäteten Folkgeneration mit dem Rock'n Roll-Gedanken der Neuzeit zu verbinden und aufzufrischen, klingt heute, wie am Sonntag im Landsberger Stadttheater, auf jeden Fall spannend und lebt von ganz persönlichen Erfahrungen. Und wenn The Silos auch am Tag der Bundeswahl am Lech spielten, sind deren Inhalte auch heute noch, wie Walter Salas-Humara schon vor Jahren in einem Interview von sich gab, weniger politisch, kaum sozialkritisch oder mit ähnlichen Botschaften gespickt.
Es geht ihnen zu aller erst um ihre Liebe zur Musik. Besitzt aber nicht alles, was wir tun (zumindest kulturell und öffentlich) politischen Charakter? Jein. Aber das wiederum ist eine politisch-philosophische Betrachtungsweise, konzentrieren wir uns an dieser Stelle einfach auf die Musik.
The Silos spielen alternativen Gitarrenrock mit Folk- und Country-Einflüssen. Kopf, Komponist, Gitarrist und Sänger des Quartetts ist Walter Salas-Humara, ein knarziger Typ kubanischer Abstammung. Seine ethnischen Wurzen fließen ebenfalls in den ruppigen Sound der Band mit ein, so dass, bei allen Schwierigkeiten, die Vergleiche nun einmal mit sich bringen, hier ein „dreckiges“ Gebräu irgendwo zwischen Tito & Tarantula und Joe Strummer entsteht.
José M. Reyes, Gitarrist und zweite Stimme neben Salas-Humara, ist für die Ornamentik, für die feingliedrigen Verzierungen des Rock'n Roll zuständig. Seine Gitarrensolis schneiden sich wie Kettensägen ihren Weg durch die Songs, machen deutlich, dass Virtuosität nicht unbedingt eine sensible, introvertierte Angelegenheit sein muss.
Solide und bodenständig bereitet Robert Pepe Poeschel mit seinen Bassfiguren den rhythmischen Unterbau. Ein stoischer Begleiter, ein unnachgiebiger Unterstützer, dessen Arbeit als Landwirt seine musikalische Karriere enorm versinnbildlicht. In seiner Heimat wird er auch der „Che Guevara vom Labertal“ genannt und die „Mittelbayrische Zeitung“ titelte einmal über ihn: „Ein Leben zwischen Bulldog und Bass“.
An seiner Seite, schon seit etlichen Jahren, der Moosburger Trommler Mäx Huber – in seiner Freizeit Schlagzeuglehrer und Romanautor. Beide, Poeschel und Huber verstehen sich blind, sind Seelenverwandte in ihrem Tun, versorgen sich gegenseitig mit der nötigen Energie – die die Musik von The Silos nun einmal permanent braucht.
Außer wenn Walter Salas-Humara und José M. Reyes drei Duo-Nummern spielen. Dann wird es ruhiger, dann entstehen aus dem instrumentalen Dauerfeuer wunderbar stille, dabei immer ein wenig bissig-vibrierende Balladen.
Jörg Konrad
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Donnerstag 20.02.2025
Fürstenfeld. Renaud Garcia-Fons Trio – Mittler zwischen Gefühlswelten
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Fotos: Thomas J. Krebs
Fürstenfeld. Er ist ein Bass spielender Kosmopolit. Renaud Garcia-Fons, geboren 1962 in einem Vorort von Paris, hat sich als Solist früh emanzipiert. An einem Instrument, das eigentlich so gar nicht zum Soloinstrument zu taugen scheint. Zu tieftönend, zu sperrig, in der Hierarchie einer Band oder eines Orchesters zu weit im Hintergrund stehend. Optisch hingegen absolut beeindruckend!
Aber der Franzose ist ein technisch brillanter Virtuose, in all seinen Projekten zwischen Klassik und Jazz, zwischen Folklore und Neuer Musik. Am Mittwoch gastierte Garcia-Fons mit seinen Partnern David Venitucci (Akkordeon) und Stephan Caracci (Vibraphone, Percussion) in der Fürstenfelder Reihe Jazz First. Und er begeisterte von Beginn an des Konzertes das Publikum mit seinem Spiel. Es waren Klangreisen in europäische, latainamerikanische, nordafrikanische und arabische Refugien, wobei er sein Instrument strich, zupfte, streichelte, auf ihm trommelte und es schüttelte. Er riss die Saiten gefährlich kraftvoll an und schmeichelte dann wieder einzelne Töne aus dem Korpus hervor. Der mächtige Kontrabass als ein Katalysator individueller, subtiler Kommunikation, als ein Mittler zwischen inneren Gefühlswelten, abstraktem und formalem Denken und einer Welt „da draußen“.
Ein Großteil des Repertoires bestand aus französischen Chansons und Folksongs, die in ihrer assoziativen Direktheit immer etwas Weltzugewandtes beinhalten. So entstehen Kopfbilder aus Pariser U-Bahnen in denen Straßenkünstler für Unterhaltung sorgen. Für ihn stand das Suggestive seiner Musik schon immer im Vordergrund.
Natürlich spielt Garcia-Fons noch einmal auf einem konzertantem Niveau, voller Lebendigkeit. Er ist ein akkurater Techniker, dem das Herz nicht abhanden gekommen ist. Beim ihm groovt und swingt es, Folklore wechselt hinüber zum Blues, andalusisches Temperament folgt östlicher Ornamentik. Es ist ein Potpourri der Stile und Befindlichkeiten, ein Cocktail der Kulturen.
Der 62jährige ist mit seinen wieselflinken Läufen und experimentellen Saitenabenteuern natürlich der Chef auf der Bühne. Doch auch seine beiden Partner wissen zu überzeugen. David Venitucci gehört zu den überzeugensten Virtuosen auf dem Blasebalg. Er bringt die Luft im Kleinen Saal zum Vibrieren, gibt der Musik eine melancholische Bodenständigkeit, zaubert mit Klangfarben, Harmonien und wunderbar stimmigen Melodien. Stephan Caracci lässt am Schlagzeug die Rhythmen tanzen und am Vibraphon bringt er Noten zum Leuchten, als wären es Glühwürmchen in einer Neumondnacht.
Und schon ist wieder Renaud Garcia-Fons zur Stelle, übernimmt den musikalischen Staffelstab, fliegt über die fünf Saiten, streicht schlichte Themen und zupft mit leidenschaftlicher Eloquenz die Saiten. Auch wenn den Bassisten an diesem Abend ein hartnäckiger Infekt marterte, strahlten seine kontrastierenden Bassfiguren, überwältigte die Musik als ein poetisches Feuerwerk.
Jörg Konrad
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Sonntag 09.02.2025
Landsberg: Bobo Stenson Trio – Zwischen Melancholie und Avantgarde
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Fotos: Thomas J. Krebs
Landsberg. Blickt man in die Archive, dann findet man Bobo Stenson in Deutschland akustisch zugänglich erstmals im Jahr 1965. Der aus Vasteras, Schweden, stammende Pianist gehörte, gemeinsam mit dem indonesischen Bassisten Vicktor Kaihatsu und dem holländischn Schlagzeuger Pierre Courbouis, zum Gunter Hampel Quartett. Die Band ging damals, nach einer dreiwöchigen Tour, ins Grunewald Studio in Berlin und begleitete eine der wohl großartigsten deutschen Jazzsängerinnen: Inge Brandenburg. Das Album „It's Alright With Me“ gehört heute zu den historischen Aufnahmen und gilt auf dem Vinylmarkt als Rarität.
Sechs Jahrzehnte später sitzt Bobo Stenson in Landsberger Stadttheater am Flügel. Doch sein Spiel hat sich verändert, ist freier geworden, in seiner herausfordernden Brüchigkeit individueller, er klingt aber auch in einer zupackenden Bestimmtheit stärker nach musikalischem Abenteuer. Ein Hybrid zwischen Melancholie und Avantgarde, dessen folkloristische Bezüge in einer modernen Musizierhaltung münden, dessen dramaturgisch stringente Strukturen sich in freiem Spiel wieder auflösen. Trotzdem ein lyrisches Pulsieren allenthalben.
Die Bühne teilte sich der mittlerweile 80jährige mit seinen beiden Landsleuten Anders Jormin (Bass) und Jon Fält (Schlagzeug). Ein eingespieltes Trio, das seit zwanzig Jahren gemeinsam unterwegs ist und dabei zeitlos jazzigen Glanz verbreitet.
Woher er seine Inspirationen nimmt? In Landsberg geisterten, ausgehend von seinem letzten Album „Sphere“ Namen durch den Raum, die viel mit seiner Musik verbinden: Charles Ives, die amerikanische Schlüsselfigur der Neuen Musik, der Klangschamane Don Cherry, der katalanische Romantiker Frederic Mompou oder der sich politisch positionierende kubanische Liedermacher Silvio Rodriguez. Natürlich spürt man auch die Gegenwart von Bach und Coleman – aber letztendlich bleibt Stenson immer Stenson, ein aufrichtiger Fundamentalist und Visionär der nordischen Spielweise. Ein eben verlässlich inspirierender Begleiter, (sparsamer) Solist und Improvisator.
Und dann wäre da Anders Jormin, als Bassist ebenfalls wie Stenson seit Jahrzehnten bei ECM. Im wahrsten Sinne des Wortes ein Fels in der Brandung – sowohl akustisch als auch optisch. Seine hochtönende Ornamentik, seine tieftönenden Rhythmusfiguren erden jede Form von Musik, lassen jedoch auch Raum für spontane Bemerkungen, für einen eleganten Austausch, für dynamische Kommunikation. Ein Maßstab setzender Instrumentalist mit Formsinn und Esprit.
Und natürlich Jon Fält, ein Schlagwerker mit Spielwitz. Mal klingt sein Drumset wie massiver Steinschlag, dann wieder wie eine gut geölte Swingmaschine, die Beats explodieren an anderer Stelle förmlich und im nächsten Moment steckt er kopfüber in seiner Perkussions-Installation. Ein rhythmischer Springteufel und Sprengmeister. Mit ihm wird ein Auftritt wohl nie zur Routine.
Alle drei verhalten sich generationsübergreifend respektvoll und beeindruckend heiter wie freundlich zueinander (in momentanen Zeiten eine Auffälligkeit an sich) und sie scheinen vor allem enormen Spaß an ihrer Arbeit zu haben - trotz aller Reisestrapazen und diesem komplexen Repertoire. Zwei Zugaben sind Pflicht.
Jörg Konrad
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Donnerstag 30.01.2025
Fürstenfeld: Elchin Shirinov Trio – Würdevoller Musikabend
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Fotos: Thomas J. Krebs
Fürstenfeld: Wir ergiebig der Jazzstamm trotz seiner starken Verästelungen, Triebe und Absenker gedeiht, ist immer wieder faszinierend. Vielleicht gerät er ja auch genau deshalb so üppig und fruchtbar.
Denn selbst dann, wenn um uns herum die Welt Kopf zu stehen scheint, sie regelrecht am Durchdrehen ist – auf den Jazz, in seiner Kreativität, Innovation und seiner Menschen verbindenden Humanität ist Verlass. So wie gestern Abend, als im Kleinen Saal des Veranstaltungsforum in Fürstenfeld der aserbaidschanische Pianist Elchin Shirinov mit seinem Trio das Positive unseres Miteinanders musikalisch zum Ausdruck brachte. Drei Instrumentalisten, deren Musik in den rauchigen Kaschemmen und auf den folkloristischen Allgemeinplätzen dieser Welt seinen Ausgang nahm und die heute modernes Jazzspiel zum Ausdruck bringen.
Mit Sicherheit kann man das Zusammenspiel der fantastischen Drei auch als eine Summe ihrer Individualität und Erfahrung benennen. Denn einerseits ist es die Herkunft, ihre jeweilige Sozialisation, die die Grundlage für ihr kreatives Tun schafft. Andererseits ist es das bewusste Arbeiten an ihrer Überzeugung, mit ihrer Musik etwas kulturell Verbindendes zu schaffen.
Elchin Shirinov überzeugt am Klavier ebenso als Virtuose, wie auch als Poet. 1982 in Baku geboren, ist er Autodidakt, hat keine Universitäten besucht – ganz im Gegensatz zu seinen beiden Brüdern. Darin ähnelt Elchin den altvorderen Jazzstars, die das Spiel auf der Straße, den Clubs, von ihren Vorbildern gelernt und übernommen haben. Alles was er umsetzt hat seinen Ausgangspunkt in folkloristischen Motiven. Er ist, entsprechend seiner Herkunft, ein Grenzgänger zwischen europäischer und asiatischer Kultur. Durch den aus Kansas City stammenden Bassisten Joe Martin und den in Santa Cruz, Kalifornien geborenen Schlagzeuger Jeff Ballard bekommen die Kompositionen und Interpretationen Elchins einen stark swingenden, am Postbop orientierten Drive, der die Musik in völlig neue Fahrwasser manövriert. Sie brechen die ohnehin schon vertrackte Rhythmik der Stücke noch einmal zusätzlich auf, wobei Martin am Bass vor allem durch seine melodische Begleitung und Ballard durch sein lautmalerisches Schlagzeugspiel begeistern. Wenn sich alle drei gemeinschaftlich in ihre Musik knien, wirkt das klangliche Geschehen auf der Bühne überaus komplex, spielen die dynamischen Komponenten, das eigenständige Agieren und das Reagieren auf den Nebenmann, eine überaus wichtige Rolle. Manchmal klingt die Musik seltsam dissonant, manchmal flirrend nervös, dann wieder einfach und schön. Elchin sucht nicht das musikalische Streitgespräch, aber er ist am Instrument beweglich und leidenschaftlich. Er hat auch keine Probleme Popsongs von Lionel Richie zu vertonen, sie in ein von Improvisationen durchzogenes Jazzgewand zu kleiden. Das alles macht diesen Musikabend so besonders, so mitteilsam, so empathisch, so würdevoll - wie verrückt sich auch die Welt um uns herum entwickelt.
Jörg Konrad
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