Bugge Wesseltoft - Die Dramatik liegt im Detail
Landsberg. Am Mittwoch gastierte nach Tord Gustavsen am Wochenende der nächste Skandinavier in Landsberg: Bugge Wesseltoft, Jahrgang 74, von Beruf Pianist. Er spielt aber, wenn`s drauf ankommt, auch perfekt das Rhodes, den Prophet 5, Synthesizer, Live Electronics, Percussion. Seltener hingegen singt er. Selbst im gut sortierten Plattenladen ist er nicht immer leicht zu finden. Denn mal spielt er Jazz, mal spielt er Klassik, mal findet man ihn unter EDM (Electronic Dance Music), mal unter Worldmusic. Und einmal im Jahr liegt ein Album von ihm in jeder gut sortierten Weihnachtsdeko. Letzteres nun schon seit über zwei Jahrzehnten. Denn 1997 erschien sein Dauerbrenner „It`s Snowing On My Piano“ (Act) der jährlich neue Käufer und Fans des Pianisten findet.
Wenn er dieses jahreszeitlich klar umrissene Programm im Konzert präsentiert, dann reicht dem Norweger ein Flügel und ein aufmerksames Publikum. Das Repertoire hierfür hat Wesseltoft seit seiner Kindheit im Kopf: „In Dulce Jubilo“, „Es ist ein Ros entsprungen“, „Deilig Er Jordan“ und als Zugabe „Stille Nacht“. Nur klingen diese weihnachtlichen Evergreens bei ihm wie in einer anderen Welt, in einer anderen Zeit gespielt. Er löst sozusagen fest eingebrannte Koordinaten auf, steckt mit Traditionen neue Areale ab.
Wie hingetupft kommen die Noten, weit verzögert die Melodie. Manchmal dauert es auch eine Weile, bis man den Song überhaupt erkennt. So sparsam sind die Harmonien gesetzt, so zaghaft kommen die Themen zum Vorschein. Wesseltoft zerlegt das weihnachtliche Miteinander, blickt unter die festlich glänzende Oberfläche dieser Songs und schneidert ihnen musikalisch ein neues, ein sehr persönlichen Gewand. Es ist eine Art klangliche Befreiungsaktion und macht deutlich, das Revolutionen nicht unbedingt mit Lautstärke und überbordendem Temperament einhergehen müssen. Die Dramatik liegt im Detail. Das Publikum jedenfalls ist wie narkotisiert von dieser Stille, von dieser spürbaren Intimität. Und selbst größte Weihnachtsmuffel bekommen in solchen Augenblicken feuchte Augen.
Um die Stimmung ein wenig aufzulockern spielte Wesseltoft noch drei Coversongs aus seinem Album „Ecerybody Loves Angels“. Und egal, ob er „Bridge Over Troubeld Water“, „Blowing In The Wind“ oder „Let It Be“ interpretiert: Er bleibt sich an diesem Abend treu, sucht die stille Variante der Kommunikation, macht das Klavier zu einem weihevollen Instrument, das an diesem Abend mehr für die klanglichen Mikrostrukturen zuständig ist. Zwischen höchster Konzentration und lyrischem Sichgehenlassen.
Vielleicht hilft an dieser Stelle der Geist von Karlheinz Stockhausen weiter, der einmal sagte: „Je mehr Menschen sich nach vorgegebenen Formen, Leitbildern, Klischees sehnen, um so einmaliger, unwiederbringlicher, esoterischer muss die Form werden.“ Und wenn eben das ganze Forum auf ganz eigenwillige Weise am Ende eines solchen Musikabends mitsingt, scheint das Ziel erreicht. Dann an dieser Stelle schon mal: Frohes Fest!
Jörg Konrad (www.kultkomplott.de; Augsburger Allgemeine Zeitung)