„House Music“ - ein Begriff, der die unterschiedlichsten Assoziationen freisetzt. Es könnte sich um ein Musizieren innerhalb der Familie, im engeren Bekannten- bzw. Freundeskreis, auf jeden Fall im häuslichen Umfeld handeln, wobei überwiegend die Klassik im Mittelpunkt steht. „House Music“ kann jedoch auch auf eine Stilrichtung der elektronischen Tanzmusik hindeuten, wie sie sich in den 1980er Jahren als einem Ableger des Techno entwickelte.
Das kanadische Bell Orchestre hat den Begriff „House Music“ für sich inhaltlich neu definiert, dabei aber die erwähnten Charakteristika nicht außer acht gelassen. Die Mitglieder dieses Mini-Orchesters (Geige, Horn, Trompete, Keyboard, Electronics, Bass, Schlagzeug, Gesang) trafen sich vor eineinhalb Jahren im Haus von Sarah Neufelds (Arcade Fire) in der Provinz von Vermont. Zuvor wurden die Räumlichkeiten, die sich über zwei Etagen erstrecken, von einem Toningenieur komplett verkabelt. Die Musiker arbeiteten in diesem Umfeld über zwei Wochen in den unterschiedlichsten Konstellationen meist spontan und mit möglichst wenigen Absprachen intensiv miteinander. Jeden Tag nahm Tonmeister Hans Bernhard einige der so entstandenen Sessions auf.
„House Music“ ist das Ergebnis dieses Experiments. 45 Minuten, die aus einer großen, gemeinsamen letzten Session herausgefiltert wurden. Diese Art der Herangehensweise erinnert stark an einige Aufnahmen, die Miles Davis vor fünf Jahrzehnten gemeinsam mit Teo Macero für Columbia einspielte und die alle im nachhinein bearbeitetet wurden. Bei manchen Gemeinsamkeiten im Aufbau klingt die vorliegende Musik doch in Substanz und Dramaturgie letztendlich völlig anders. Es ist eine Chimäre aus Kammermusik und Elektronik, aus individueller Improvisation und engagierter Gruppendynamik. Hausmusik im besten Sinne des Wortes.
Denn sowohl Entstehungsort als auch Tanzbarkeit dieser manchmal alptraumhaften Reflexionen begeistern vollkommen. Sämtliche Ansprüche und Erwartungshaltungen des Marktes spielen zum Glück eine völlig untergeordnete Rollo. Zeitlosigkeit aufgrund von Temperament- und Lichtwechsel dominieren. Was hier zählt, ist allein das Kollektiv, das, wellenförmig, zu immer wieder neuen Mustern kommt und damit das musikalische Geschehen in ständigem Fluss hält. „House Music“ ist ein Manifest gemeinsamen Tuns. Denn keiner der Instrumentalisten spielt sich in den Vordergrund, lebt sein Ego aus. Selten war mehr gemeinsames!
Jörg Konrad
Bell Orchestre
„House Music“
Erased Tapes Records