Es gibt besondere Musik, jene nämlich, deren Anspruch über Jahrzehnte fasziniert und von der man anschließend noch immer mit Überzeugung meint, man könne sie zu jeder Tages- und Nachtzeit hören - und dies in die Realität auch umsetzt! Solche Musik ist ein treuer Begleiter, durch alle persönlichen Wellentäler und über sämtliche Sonnengipfel, Musik, die das Glück in glücklichen Zeiten verstärkt und die der Melancholie in wehmütigen Tagen eine Melodie gibt.
„You Won't Forget Me“ von Shirley Horn gehört zu diesen außergewöhnlichen Aufnahmen. Eingespielt 1990 klingt die Musik noch heute völlig aus der Zeit gefallen. Das einzige, woran dieses Meisterwerk erinnert, ist, dass nur wenige Monate später ihr Mentor, der Trompeter Miles Davis, starb, der hier, auf dem Titelstück, eines seiner letzten und schönsten Solos der letzten Jahre seiner Karriere spielt.
Shirley Horn lässt in ihren Songs die ästhetischsten, die berührendsten Pausen im Jazz. Sie spielt Klavier, entschlackt, entfiltert, unprätentiös. Sie lässt in ihren Interpretationen nur das Wesentliche übrig, reduziert jede Begleitung auf das Notwendigste. Und ihr Gesang? Michael Naura meinte einmal, der sei dem Schweigen näher als dem Sprechen. Sie klingt mit ihrer dunklen, leicht rauchigen Stimme dabei so beiläufig wie essentiell. Atemberaubend in der Intensität der Stille eben.
Auch auf „You Won't Forget Me“ veredelt sie jeden der vierzehn Songs auf ihre ganz spezielle Weise. Keiner stammt dabei aus ihrer Feder, aber jedem drückt sie ihren einzigartigen Stempel auf, erobert sich Text und Melodie, gibt beiden ihre ganz besondere Weisheit. Das wissen auch die Star- Individualisten des Jazz – auch wenn die Horn selbst, zumindest damals, eher zu den großen Unbekannten der Szene gehörte. Einer ihrer musikalischen Verehrer war seit Beginn der 1960er Jahre Miles Davis selbst, der, wie schon erwähnt, es sich nicht nehmen ließ, wenigstens einen Beitrag zu diesem Album zu liefern. Von ihm ist es nicht weit bis zu Branford und Wynton Marsalis, die sich ebenfalls als Solisten in diese schwebenden, wie in Zeitraffer eingespielten Balladen einbringen. Und dann ist da ja noch Jean „Toots“ Thielemans, der Belgier, dessen Mundharmonika-Spiel in seiner melancholischen, fast schon psychotherapeutischen Art, ganze Völker befriedet und zumindest dessen Spiel wohl fast jeder kennt (aus Filmen wie „Asphalt Cowboy“, „The Getaway“, „Sugarland Express“ u.v.a.m.). Mit ihm ist Shirley Horn ganz besonders vertraut. Beide haben diesen berühmten Draht zu- und füreinander. Wobei ihr Duo „Beautiful Love“ (Thielemans an der chromatischen Mundharmonika und an der Gitarre – die Technik macht's möglich) mit zum musikalisch intimsten und schönsten gehört, was unter dem Slogan Jazz in den letzten fünfunddreißig Jahren eingespielt wurde. Vielleicht zusammen mit dem Songs „I Loves You Porgy / Here Comes The Honey Man“ aus dem Album „I Love You, Paris“. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.
Jörg Konrad