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7. Pier Paolo Pasolini „Land der Arbeit“
8. Claire Keegan "Kleine Dinge wie diese"
9. Honoré de Balzac „Cousine Bette – Die Rache einer Frau“
10. George Saunders „Bei Regen in einem Teich schwimmen“
11. Sara Mesa „Eine Liebe“
12. Siegfried Schmidt-Joos (Hrsg.) „Jazz-Echos aus den Sixties“
Montag 02.01.2023
Pier Paolo Pasolini „Land der Arbeit“
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Pier Paolo Pasolini war als Filmemacher Autodidakt. Ebenso als Lyriker. Als Poet von Haus aus Zweifler – aber auch Kämpfer.
Der leidenschaftliche Lehrer wurde aus dem amtlichen Schuldienst entfernt, als praktizierender Kommunist schloss ihn die KPI aus ihren Reihen aus. Sein Leben spielte sich ab zwischen intellektueller Poesie und sozialkritischem Engagement, zwischen dem Leben auf dunklen Hinterhöfen und Latrinen und dem gleißenden Licht öffentlicher Scheinwerfer, zwischen Politik und Religion. Er war als Künstler zutiefst gespalten, ebenso als Mensch - jedoch kompromisslos in seinem Tun. Bei aller Tragik der Zerrissenheit ideale Voraussetzungen um als Dichter zu leben und zu sterben.
Wolf Wondratscheck und Christian Reimer haben für das vorliegende Projekt etliche unterschiedliche Pasolini-Texte ausgewählt. Diese zeigen zumeist die Unerbittlichkeit seiner geistigen Freiheit, aber auch den sinnlichen Zweifel seiner Gedanken und deren beinahe greifbare Melancholie. In ihnen ist ein unbefriedigtes Verlangen, eine Sehnsucht nach innerem Frieden und Kompensation von Ungerechtigkeit und Skepsis zu spüren. Die ihm die Realität jedoch nicht zu bieten versteht. Zugleich weiß Pasolini aber auch, dass diese Gegensätze der Motor seines gesamten Tuns sind
1963 bittet er in einem Brief den russischen Schriftsteller Jewgeni Jewtuschenko die Rolle des Christus in dem Film „Das 1. Evangelium – Matthäus“ anzunehmen. Es ist ein fast zärtliches Werben um den Dichter und Kommunisten Jewtuschenko, dieses Engagement anzunehmen. Dahinter steht Pasolinis damalige Überzeugung, Jesus verkörpere in seiner sozialen und menschlichen Gerechtigkeit den Gedanken des Kommunismus. Später wusste er es besser.
Aber in diesem beinahe flehentlichen Bitten, dem die eigene Grundüberzeugung eines Gedankens zugrunde liegt, an dem er jedoch schon damals beginnend zweifelte, zeigt sich seine obessive Unbeirrbarkeit, die ihm das Leben oft erschwerte.
In Christian Reiner haben sich Wondratscheck als auch Manfred Eicher für einen Sprecher entschieden, der all diese Gegensätze und Überzeugungen, die Leidenschaftlichkeiten und die Sehnsüchte, die Brüche und die Visionen stimmlich ergreifend ausdrückt. Und dass man sich bei der Produktion eines Musiklabel, wie in diesem Fall gegen jeden gespielten klanglich eingebrachten Ton entschieden hat, macht die Aufnahme um so bemerkenswerter. Pasolini pur.
Jörg Konrad

Pier Paolo Pasolini
„Land der Arbeit“
Christian Reiner
ECM
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Dienstag 13.12.2022
Claire Keegan "Kleine Dinge wie diese"
Claire Keegan
"Kleine Dinge wie diese"

Im Jahr 1993 machte man auf dem ehemaligen Grundstück eines irischen Nonnenklosters eine grausige Entdeckung: Man fand ein Massengrab, in dem die Leichen von fast 800 Babys verscharrt worden waren. Dadurch wurden Gerüchte bestätigt, die es schon lange über die sogenannten Magdalenenwäschereien gegeben hatte. Das waren kirchliche Besserungsanstalten, die vor allem in Irland entstanden waren. Hier sollten „gefallene“ Mädchen und ledige Mütter nach dem Vorbild der reuigen Sünderin Maria Magdalena auf den rechten Weg geführt werden. Die jungen Frauen wurden von den Nonnen wie Sklavinnen gehalten. Sie mussten in Wäschereien ohne Lohn schuften, waren unterernährt und verwahrlost. Ihre Babys wurden ihnen weggenommen. Viele Kinder gab man zur Adoption frei, tausende starben in den Klöstern an Hunger und Krankheiten. Die letzte Magdalenenwäscherei wurde erst 1996 geschlossen. Bis heute ist das Ausmaß des ungeheuerlichen Skandals noch nicht vollständig aufgeklärt.
Dieses dunkle Kapitel der katholischen Kirche in Irland bildet den Hintergrund für Claire Keegans Roman „Kleine Dinge wie diese“. Die Autorin wurde 1968 in Irland geboren und zählt heute zu den wichtigsten Schriftstellerinnen ihres Landes.
„Kleine Dinge wie diese“ ist ein schmales und dennoch überwältigendes Buch, das zentrale Lebensthemen anspricht. Die Autorin stellt die dramatischen und grausamen Ereignisse nicht aus; sie macht Bill Furlong zum Mittelpunkt ihres Buches, einen Kohlenhändler Ende dreißig, der mit seiner Frau und fünf wohlgeratenen Töchtern in einer irischen Kleinstadt lebt. Aus seiner Perspektive erzählt sie die Geschichte, einfühlsam und differenziert schreibt sie von seinen Fragen an das Leben. Es kommt Keegan nicht in erster Linie darauf an, seelische Grausamkeit und menschliches Leid zu schildern, sondern darauf, wie Menschen reagieren, die Zeugen des Unrechts werden. Schauen sie weg, oder finden sie zu Mut und Hilfsbereitschaft?
Furlong wurde als uneheliches Kind eines erst 16-jährigen Mädchens geboren. Doch die Arbeitgeberin seiner Mutter, eine wohlhabende protestantische Witwe, beschäftigte die junge Frau weiter und kümmerte sich um ihr Kind. Ihr hat es Furlong zu verdanken, dass er sich hocharbeiten und in Zeiten wirtschaftlicher Rezession zu bescheidenem Wohlstand gelangen konnte. Er ist ein gutherziger, arbeitsamer Mann, dessen Hauptsorge seiner Familie gilt und der weiß, wie zerbrechlich sein Glück ist. Als er kurz vor Weihnachten des Jahres 1985 Kohlen in das Nonnenkloster liefern will, das als gewaltiges Gebäude hoch über der Stadt thront, hat er ein verstörendes Erlebnis. Im Kohlenschuppen entdeckt er eine völlig verängstigte junge Frau, die offenbar seit Tagen dort eingesperrt ist und ihn nach ihrem Baby fragt. Er bringt sie zu den Nonnen vom Guten Hirten zurück, aber sein Gewissen lässt ihn nicht los. In präzisen, knappen Beobachtungen erzählt Keegan von der Krise, in die Furlong gerät, und die ihn nach dem Sinn seiner ganzen Existenz fragen lässt. Die Natur wird zum Spiegel seines Seelenlebens und der düsteren Ereignisse, schwarze Saatkrähen und der dunkle Fluss sind häufig wiederkehrende Motive. Soll Furlong auf seine Frau hören und nicht weiter nachgrübeln? Wie alle anderen in seiner Umgebung aus Angst die Tatsachen verdrängen? Das Kloster ist ein wichtiger Arbeitgeber, und seine Töchter besuchen die Nonnenschule. Sich gegen die mächtige, einflussreiche Kirche zu stellen, könnte seine wirtschaftliche Sicherheit und gesellschaftliche Stellung in der Stadt gefährden. Doch was wäre aus ihm geworden, wenn ihn einst die Witwe nicht unterstützt hätte? Wären seine Mutter und er nicht auch in der Klosterwäscherei gelandet? Hatte es einen Sinn zu leben, wenn man einander nicht half? Furlong muss sich entscheiden. Ein alter Mann, den er am Straßenrand nach dem richtigen Weg fragt, antwortet ihm: “Diese Straße, mein Sohn, führt dich, wohin du nur willst“.
Claire Keegan stellt sich in ihrem Buch ganz bewusst in die Tradition von Charles Dickens. Als Kind hat Furlong die „Weihnachtsgeschichte“ gelesen. Wie bei Dickens geht es in „Kleine Dinge wie diese“ um Gut und Böse und um die Frage, welchen Weg man einschlägt.
Die Autorin schildert in ihrem Roman einen Menschen, der die Verbrechen in seinem Umfeld nicht mehr ignorieren kann und der die Kraft hat, seinem Gewissen zu folgen. Es ist eine ergreifende, völlig unsentimentale Weihnachtsgeschichte, die Mut macht, weil sie daran glaubt, dass sich der Mensch trotz allem für das Richtige entscheiden kann.
Lilly Munzinger, Gauting
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Montag 28.11.2022
Honoré de Balzac „Cousine Bette – Die Rache einer Frau“
Balzac beherrscht das Komponieren und Schreiben von Literatur wie nur wenig andere. Am vorliegenden Roman „Cousine Bette – Die Rache einer Frau“, ein Buch dass jetzt in neuer Übersetzung von Nicola Denis vorliegt, wird dies einmal mehr besonders deutlich. Es ist die Geschichte der Lisbeth Fischer, eben jener Cousine Bette, die es, als ehemalige Fabrikbesitzerin aus der Provinz stammend, ins Paris der 1840er Jahre verschlägt. Der Grund ihres Umzugs ist die wirtschaftliche Insolvenz. In der französischen Hauptstadt lebt ein Teil ihrer Familie in relativem Wohlstand, der jedoch aufgrund von Verschwendungssucht und der „Jagd“ der (Ehe-)Männer auf immer neue amouröse Abenteuer, langsam aber sicher schwindet. Bettes Cousine Adeline und ihr Hausstand ist so etwas wie ihr neuer gesellschaftlicher Dreh- und Angelpunkt. Doch hier nimmt man Bette nicht ernst, verlacht sie aufgrund ihres Aussehens und altjüngferlichen Auftretens und spannt ihr den Liebhaber, der mehr ihrer Fantasie entspringt und den sie als Künstler großzügig zu fördern sich vorgenommen hat, spannt ihr eben diesen Wenceslas niederträchtig aus.
An dieser Stelle beginnt der Rachefeldzug von Bette. Unglaubliche Intrigen werden gesponnen, die Menschen in ihren Eitelkeiten und seelischen Abgründen schonungslos entlarven. Balzac zeichnet ein zum Teil verheerendes Bild der damaligen Gesellschaft. Frauen sind allein auf der Suche nach Prunk, finanziellem Reichtum und gesellschaftlicher Anerkennung. Die Männer befinden sich fast ausschließlich auch der Suche nach (jungen) Geliebten, brauchen hierfür Geld und sind sich auch moralisch nicht zu schade, aufgrund von erotischen Verwicklungen und Ehedramen ihre Persönlichkeit und auch gesellschaftliche Stellung zu ruinieren.
Balzac schildert in beeindruckender Sprache, analytisch, hochintelligent, als auch humorvoll die Verflechtungen, Einflüsse und Abhängigkeiten der Personen untereinander. Er legt die Geschichte wie ein Spinnennetz an, verknüpft die einzelnen Handlungsstränge geschickt miteinander, führt sie weiter aus, so dass am Ende ein atemloses Panorama tragisch komischer Figuren innerhalb einer aus den Fugen geratenen kapitalistischen Gesellschaft entsteht.
Zudem bekommt der Leser einen Einblick in die städtischen Verhältnisse Frankreichs im 19. Jahrhundert.
Nicola Denis hat diesen Roman menschlicher Abgründe als ein Sittengemälde, Gesellschaftskritik und Teil der „Comédie Humaine“ („Die menschliche Komödie“) grandios übersetzt. Ihr ist es mit zu verdanken, das „Cousine Bette - Die Rache einer Frau“ auch heute ein wirkliches Lesevergnügen ist und uns Balzac als einen modernen, aufklärerischen und bissigen Autor neu vermittelt.
Lutz Erxleben

Honoré de Balzac
„Cousine Bette – Die Rache einer Frau“
Matthes & Seitz
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Dienstag 08.11.2022
George Saunders „Bei Regen in einem Teich schwimmen“
Der amerikanische Autor und Universitätsdozent George Saunders ist ein leidenschaftlicher Literaturenthusiast. Er ist überzeugt davon, dass Lesen die Menschen offener und großzügiger macht - und ihr Leben interessanter.
George Saunders wurde 1958 in Texas geboren. Er hat zahlreiche Kurzgeschichten veröffentlicht; für seinen ersten Roman „Lincoln im Bardo“ wurde er 2017 mit dem Man Booker Prize und zahlreichen anderen Preisen ausgezeichnet. Auch in Deutschland war das wunderbare Buch ein großer Erfolg.
Seit über zwanzig Jahren unterrichtet Saunders Kreatives Schreiben an einer Universität in den USA. Aus den Kursen mit seinen Studenten ist nun ein Buch hervorgegangen, das den schönen Titel trägt: „Bei Regen in einem Teich schwimmen“. Der Untertitel verdeutlicht, worum es dem Autor geht: “ Von den russischen Meistern lesen, schreiben und leben lernen“. Sieben Erzählungen von großen russischen Autoren des 19. Jahrhunderts hat Saunders ausgewählt, Erzählungen von Tschechow, Turgenjew, Tolstoi und Gogol; alle sind vollständig im Buch abgedruckt. Nach jeder Geschichte folgt ein Essay von Saunders, in dem er handwerkliche Erklärungen zum Text gibt und Interpretationsvorschläge macht. Nie schreibt er trocken oder schulmeisterlich, sondern immer leicht, subtil und humorvoll, aufgelockert durch persönliche Erlebnisse beim Schreiben, Lesen und Unterrichten. Dabei spürt man aber an der Präzision der Analysen die Ernsthaftigkeit seines Anliegens, ein größeres Verständnis für Literatur zu vermitteln. Das kann Saunders mit der Wahl des Buchtitels gemeint haben, einem Zitat aus einer Erzählung von Anton Tschechow: das Vergnügen beim Schwimmen und Tauchen besonders bei Regen steht für die Freude, die man beim tiefen Eintauchen in gute Bücher empfinden kann.
Obwohl ihre Geschichten still und unpolitisch wirken, sind die russischen Autoren des 19. Jahrhunderts für Saunders „progressive Reformer in einer repressiven Kultur“. Im Zarenreich waren sie durch Zensur und Strafen bedroht. Ihr Widerstand erwuchs aus dem „vielleicht radikalsten Gedanken, den es gibt: dass jedes Menschenwesen Aufmerksamkeit verdient“. Diese zutiefst humane Grundhaltung ist es, neben ihrer schriftstellerischen Meisterschaft, die Saunders an den russischen Erzählern so bewundert. Er bringt uns heutigen Leserinnen und Lesern diese Giganten einer lange vergangenen Epoche nahe und belegt ihre Aktualität.
George Saunders ist ein begnadeter Pädagoge, der uns in seinem Buch Schritt für Schritt durch die Erzählungen führt, unsere Aufmerksamkeit schärft, uns genaueres Lesen und besseres Verständnis lehrt. Dabei geht es ihm zunächst um das Handwerkliche. Wie schafft es eine Geschichte, uns hineinzuziehen und uns dazu zu bringen, sie zu Ende zu lesen? Saunders formuliert einige Grundprinzipien, von denen das wichtigste ist, dass die Form einer Erzählung effizient sein muss. Das heißt, dass es nichts Überflüssiges geben darf, dass jedes Element eine Bedeutung für den Text in sich tragen muss, die mit dem Sinn des Ganzen zusammenhängt.
In seinen äußerst erhellenden Interpretationen, in denen er zum Kern der Geschichten vordringt, würdigt Saunders liebevoll und genau die Besonderheiten jedes einzelnen Schriftstellers. Allen Autoren gemeinsam aber ist, wie er sagt, dass ihre Erzählungen im Tiefsten berühren, dass sie die Leserin und den Leser verändern können. In „Auf dem Wagen“ von Anton Tschechow z.B. lernen wir eine russische Lehrerin kennen, ihre Einsamkeit und einen kurzen Moment des Glücks. Durch eine virtuose Innenschau erreicht Tschechow, dass wir in ihre Gedankenwelt eintauchen, dass wir uns mit ihr identifizieren, mit ihr mitleiden und dadurch auch mehr Verständnis und Mitgefühl für andere Menschen in unserem Umfeld entwickeln können.
„Bei Regen in einem Teich schwimmen“ von George Saunders ist nicht nur eine ebenso unterhaltsame wie fundierte Anleitung zum besseren Lesen und Schreiben, sondern auch eine Schule der Empathie.
Lilly Munzinger, Gauting

George Saunders
„Bei Regen in einem Teich schwimmen“
Von den russischen Meistern lesen, schreiben und leben lernen
Luchterhand
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Freitag 21.10.2022
Sara Mesa „Eine Liebe“
Sara Mesa ist, laut Klappentext des Romans „Eine Liebe“ und den Mitteilungen des Verlages Wagenbach, in Spanien so etwas wie ein literarischer Superstar. Dieser Roman wurde von der größten Tageszeitung „El País“ gar zum besten Buch des Jahres gekürt.
Die Geschichte, die die aus Madrid stammende Autorin erzählt, ist dabei ganz schlicht und klingt inhaltlich und atmosphärisch recht vertraut.
Natalie („Nat“), von Beruf Übersetzerin, flüchtet aufgrund einiger Schwierigkeiten in ihrem persönlichen Umfeld und Berufsleben, von der Großstadt aufs Land. Hier, in einem alten, heruntergekommen Haus, will sie zur Ruhe kommen, ihre Situation analysieren und vielleicht auch einen Neuanfang starten. Sie möchte sich in der scheinbaren Einsamkeit neu orientieren.
Doch schon im Verhalten der Bewohner des kleinen Ortes, der sinnigerweise La Escapa, zu deutsch Die Flucht heißt, spürt sie eine gewisse Distanz, die bis zur Ablehnung ihrer Person reicht.
Es beginnt damit, dass das Haus in dem sie lebt defekt und voller Ungeziefer ist und der Besitzer sich weigert, vorhandene Mängel zu beheben. Stattdessen fühlt sie sich von ihm und seiner aufdringlichen Art bedrängt. Trotzdem übernimmt sie als persönlichen Schutz und gegen die Einsamkeit einen schlecht erzogenen Hund von ihm.
Unsicherheit und Missverständnisse bestimmen ihren Alltag, der auch durch den Kontakt zu einem „Althippie“, der in der Nachbarschaft lebt, keine wirkliche Besserung erfä. Erst als ein „Deutscher“, wie er fälschlicherweise genannt wird, auftaucht, ihr handwerkliche Hilfe gegen Sex anbietet, verändert sich ihr Leben deutlich.
Sara Mesa erzählt diese Geschichte sehr sparsam, beschreibt selbst das Obsessive der Handlung in einem eher nüchternen Sprachduktus. Sie beschränkt sich auf das Wesentliche, dringt bei den Beschreibungen Nat Gedankenwelt nicht analytisch in deren Psyche vor. Man könnte meinen, sie lässt die Geschichte laufen und ist selbst gespannt, wie sich Nat behauptet – oder eben nicht.
„Nat“ scheint die Kontrolle über ihr Leben langsam aber sicher wieder zu erlangen, bis sich die Situation wieder völlig ändert.
Jörg Konrad

Sara Mesa
„Eine Liebe“
Wagenbach
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Mittwoch 28.09.2022
Siegfried Schmidt-Joos (Hrsg.) „Jazz-Echos aus den Sixties“
Fast wäre es beim 10. Deutschen Jazzfestival zu einem Skandal gekommen. Gelächter, ironischer Beifall, Zwischenrufe („Aufhören“) unterbrachen die Musik. Einige Besucher verließen mitten im Konzert den Saal. Der Leiter der Gruppe, die gerade spielte, musste mit einer Geste das Publikum um Geduld bitten. Die bewies es dann auch, aber in den erleichterten Schlussbeifall mischten sich Buh-Rufe.“ So schrieb Manfred Miller 1966 in der „Gondel“ über den Auftritt der Wolfgang Dauner Band in Frankfurt am Main. Die „Gondel“, ein monatlich erscheinendes Magazin, das über Jahre die 8-seitige Beilage „Jazz-Echo“ vertrieb, beinhaltete Pinups, Erotik, Unterhaltung und Informationen aus der Film- und Modewelt. Auf den Weg gebracht hatte diese Beilage Joachim-Ernst Berendt Mitte der 1950er Jahre, damals unter dem Pseudonym Joe Brown. Die Vermittlung von Jazz eben auch außerhalb einschlägiger Fachzeitschriften war für ihn von außergewöhnlicher Dringlichkeit.
So erschienen unter dem Dach dieses (Männer-)Magazins hochinteressante Artikel über Jazzstile und deren Protagonisten, über Festivals zeitgenössischer Musik und über neue Entwicklungen in der Szene.
Siegfried Schmidt-Joos, der übrigens die Redaktion des „Jazz-Echos“ 1959 übernahm, hat mit dem vorliegenden Buch viele dieser Artikel zusammengefasst und damit ein Stück bundesrepublikanischer Jazzgeschichte neu zugänglich gemacht. So lässt sich aus heutiger Perspektive die Wirkung und Rezeption von Instrumentalisten wie Ornette Coleman (1965), Don Cherry (1965), Sonny Rollins (1963), John Lee Hooker (1963) oder Manfred Schoof (1967) nachvollziehen. Es sind, nicht nur aus der Gegenwart betrachtet, spannende Texte, die mit Sachverstand, Toleranz und Leidenschaft die musikalische als auch gesellschaftliche Aufbruchstimmung jenes Jahrzehnts zum Ausdruck bringen. Zu den Autoren gehören, neben jenem oben erwähnten Manfred Miller und dem Herausgeber der „Jazz-Echos aus den Sixties – Kritische Skizzen aus einem hoffnungsvollem Jahrzehnt“ auch der französische Musiker und Journalist Mike Zwerin, der US-amerikanischer Journalist, Historiker und Jazz-Kritiker Nat Hentoff, der deutsche Jazzspezialist Werner Burkhardt, Ingolf Wachler und natürlich Joachim-Ernst Behrendt. All diesen Autoren sind in der Lage, Musik in einem flüssigen und wunderbar zu lesenden Schreibstil zu vermitteln. Bedenkt man zudem, dass in den Jahren des Erscheinens dieser Texte Jazz noch als „Disharmonie, Degeneration der Musik, Musik für Primitive, Entartung der Kunst, Zerreißprobe für die Nerven“ öffentlich verfemt wurde.
Siegfried Schmidt-Joss, einer sehr großen Leserschaft bekannt geworden als Herausgeber des legendären ersten „Rock-Lexikon“ im Jahr 1973, sowie folgender überarbeiteter Auflagen, wurde 1936 in Gotha/Thüringen geboren. Er gründete noch in der DDR einen der ersten offiziellen Jazzclubs (Halle an der Saale), flüchtete 1957 in die Bundesrepublik, studierte unter anderen bei Carlo Schmid und Theodor W. Adorno Kulturwissenschaften. Er arbeitete über Jahrzehnte als Musikredakteur für das Radio (Radio Bremen, RIAS u.a.), moderierte Musiksendungen im Fernsehen und schrieb als Autor für viele deutschsprachige Zeitungen (Spiegel, Twen, Brigitte, Fono-Forum, Jazzpodium u.v.a.). Schmidt-Joos widmete sich mit gleicher leidenschaftlichen Hartnäckigkeit den Phänomen des Rock und Pop und darf heute als einer der wichtigsten Chronisten dieser Kulturformen benannt werden.
Jörg Konrad
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Autor: Siehe Artikel
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