Das Wunderkind wird 60! Im zarten Alter von 13 Jahren wurde Anne-Sophie Mutter von Stardirigent Herbert von Karajan entdeckt. Es folgt eine beispiellose Weltkarriere. Über sich selbst hat sie mal gesagt: „Wenn Sie mich kennenlernen wollen, müssen Sie mich auf der Bühne erleben“. Fragen nach ihrem Privatleben schätzt sie nicht. Wie porträtiert man also eine solche Ausnahmekünstlerin?
Filmemacherin Sigrid Faltin dachte, wenn sie die Künstlerin ins Gespräch mit ihr vertrauten oder für sie spannende Menschen bringt, erfährt man über sie mehr. Befragt, wen sie sich als Gesprächspartner wünscht, nannte Anne-Sophie Mutter spontan: den Tennisstar Roger Federer, den New Yorker Magier Steve Cohen, den Dirigenten Daniel Barenboim, den legendären Filmkomponisten John Williams (u.a. „Star Wars“), Komponist Jörg Widmann und ihren langjährigen Pianisten Lambert Orkis, „musikalisch my best buddy“. Im Austausch mit diesen Wegbegleitern erzählt sie, warum sie sich mit Hochleistungssportlern identifiziert, wie sie zu ihren Konzert-Roben gekommen ist, und warum sie bedauert, mit dem Klavierspielen aufgehört zu haben. Sie spricht ausführlich über den frühen Tod ihres Mannes, ihr Leben als alleinerziehende Mutter, und den Drahtseilakt, all das mit einer atemberaubenden Weltkarriere als professionelle Musikerin in Einklang zu bringen.
Die vierfache Grammy®-Gewinnerin hat neben zahlreichen internationalen Preisen und Auszeichnungen ein Bundesverdienstkreuz I. Klasse sowie zwei Ehrendoktortitel für ihre Leistungen erhalten.
Ein Film von SIGRID FALTIN
ANNE-SOPHIE MUTTER – EIN BIOGRAPHISCHER ÜBERBLICK
Anne-Sophie Mutter ist ein musikalisches Phänomen: Seit nunmehr 46 Jahren konzertiert die Virtuosin weltweit in allen bedeutenden Musikzentren und prägt die Klassikszene als Solistin, Mentorin und Visionärin.
Dabei ist die viermalige Grammy® Award Gewinnerin der Aufführung traditioneller Kompositionen genauso verpflichtet wie der Zukunft der Musik: 31 Werke hat sie bislang uraufgeführt – Thomas Adès, Unsuk Chin, Sebastian Currier, Henri Dutilleux, Sofia Gubaidulina, Witold Lutoslawski, Norbert Moret, Krzysztof Penderecki, Sir André Previn, Wolfgang Rihm, Jörg Widmann und John Williams haben für Anne-Sophie Mutter komponiert.
Darüber hinaus widmet sie sich der Förderung musikalischen Spitzennachwuchses und zahlreichen Benefizprojekten. Zudem wählte sie der Stiftungsrat der Deutschen Krebshilfe 2021 zur neuen Präsidentin der gemeinnützigen Organisation. Seit Januar 2022 gehört sie dem Stiftungsrat von Lucerne Festival an. Im Herbst 1997 gründete sie den „Freundeskreis Anne-Sophie Mutter Stiftung e.V.“, dem 2008 die Anne-Sophie Mutter Stiftung zur Seite gestellt wurde. Im Rahmen dieser beiden gemeinnützigen Institutionen werden die Stipendiaten nach ihren individuellen Bedürfnissen unterstützt. Und seit 2011 teilt Anne-Sophie Mutter regelmäßig das Rampenlicht mit ihrem Stipendiaten-Ensemble „Mutter’s Virtuosi“.
AUSZEICHNUNGEN
Die Krzysztof-Penderecki-Musikakademie Krakau verlieh ihr im März 2022 die Ehrendoktorwürde. Im Oktober 2019 wurde Anne-Sophie Mutter mit dem Praemium Imperiale in der Kategorie Musik ausgezeichnet; im Juni erhielt sie den Polar-Musikpreis. Polen verlieh Anne-Sophie Mutter als erster deutschen Künstlerin im März 2018 die Gloria-Artis-Medaille für kulturelle Verdienste in Gold. Im Februar 2018 wurde die Geigerin zum Ehrenmitglied der Accademia Nazionale di Santa Cecilia ernannt. Rumänien verlieh Anne-Sophie Mutter im November 2017 den Kulturverdienstorden im Rang eines Großoffiziers; im gleichen Monat ehrte sie Frankreich mit der Verleihung der Insignien eines Kommandeurs im französischen Orden der Künste und der Literatur. Im Dezember 2016 zeichnete sie das spanische Ministerium für Bildung, Kultur und Sport mit der „Medalla de oro al Mérito en las Bellas Artes“ aus. Im Januar 2015 wurde Anne-Sophie Mutter zum Honorary Fellow des Keble College der University of Oxford ernannt. Im Oktober 2013 wurde sie ausländisches Ehrenmitglied der American Academy of Arts & Sciences, nachdem sie im Januar mit dem Orden der Lutoslawski Gesellschaft (Warschau) ausgezeichnet worden war. 2012 verlieh ihr der Atlantic Council den Distinguished Artistic Leadership Award. 2011 erhielt sie den Brahms-Preis sowie für ihr soziales Engagement den Erich-Fromm-Preis und den Gustav-Adolf-Preis. 2010 verlieh ihr die Technisch-Naturwissenschaftliche Universität Norwegens in Trondheim die Ehrendoktorwürde; 2009 wurde sie mit dem Europäischen St. Ullrichs Preis sowie dem Cristobal Gabarron Award ausgezeichnet. 2008 erhielt Anne-Sophie Mutter den internationalen Ernst von Siemens Musikpreis sowie den Leipziger Mendelssohn Preis.
Die Geigerin ist Trägerin des Großen Bundesverdienstkreuzes, des französischen Ordens der Ehrenlegion, des Bayerischen Verdienstordens, des Großen Österreichischen Ehrenzeichens sowie zahlreicher weiterer Auszeichnungen.
ANMERKUNGEN DER AUTORIN
Neulich habe ich noch einmal nachgeschaut, wann ich zum ersten Mal Kontakt aufgenommen habe zu Frau Mutters Büro mit der Frage, ob ich einen Film über ASM, wie sie von ihrer Umgebung respektvoll genannt wird, machen kann. 2015. Hätte man mir damals gesagt, dass der Film über sie 2023 veröffentlicht wird – ich glaube, ich hätte den Mut verloren. Auch hier gut, dass man nicht in die Zukunft schauen kann.
Bei einem ersten Kennenlernen im Frühsommer 2015 in Freiburg, als Frau Mutter dort auftritt, trage ich ihr meine Idee vor: Sie soll in dem Film Menschen treffen, die ihr wichtig sind. Meine Hoffnung dahinter: dass sie, die bekannt dafür ist, Privates strikt privat zu halten, sich diesen
Vertrauten eher öffnet als einer Filmemacherin. Sie hört sich mein Vorhaben freundlich an. Auf meine Frage, mit wem sie sich gerne einmal unterhalten möchte, antwortet sie spontan: Roger Federer! Spannend, denke ich und sehe überhaupt kein Problem darin, wenn ich bei Federers Management im Namen von Frau Mutter anfragen würde. Acht Jahre später weiß ich es besser. Im Herbst 2015 dann eine Absage von Frau Mutter. Das ZDF macht gerade einen Film über sie, ein zweiter ist ihr zu viel. Schnitt. Drei Jahre später drehe ich einen Film über Herbert von
Karajan und bitte Frau Mutter um ein Gespräch über ihre Erlebnisse mit dem Maestro. Sie sagt sofort zu. Nach dem Interview frage ich sie, ob sie sich an meine Anfrage zu einem Film über sie erinnere. Oh ja. Ob wir es denn nochmal miteinander versuchen sollten. Doch, schon.
Ich möge mich bei ihrem Büro melden für ein detaillierteres Gespräch. Recht schnell haben Frau Mutter, ihr Bruder, der sie berät, und ich die Gesprächspartner zusammen, mit denen wir filmen wollen. Genauso schnell ist klar, was alles nicht gehen wird: Nicht bei ihr daheim drehen, nicht mit ihren Kindern, nicht mit ihren Brüdern. Eine gemeinsame Wanderung jedoch (statt eines Spaziergangs entlang der Isar wie in den vielen Filmen über sie zuvor) kann sie sich vorstellen. „Aber passen Sie auf“, warnt mich ihr Bruder. „Meine Schwester ist wie eine Bergziege. Fit und schnell.“ Wie recht er hat, werden wir zu spüren bekommen.
Nach mehreren Anläufen erreiche ich in den USA eine Assistentin von Federers Management: Anne-Sophie who? Sorry, no time. Ich recherchiere in Tenniskreisen, wie ich direkter an den Tennisstar herankommen könnte. Großes Gelächter, wenn ich meine Idee vortrage. „Wissen Sie überhaupt, wer alles sich mit Federer treffen möchte? Könige, Präsidenten...“ Das schreckt mich nicht. Wir haben ja auch einiges zu bieten. Schriftliche Anfrage an die info@Adresse des Federer-Managements. Auf die dritte Mail endlich eine Antwort: „Unfortunately Roger’s schedule for the next year is completely booked.“ Eine Stunde später eine zweite Mail von Federers Agentur: „My apologies for the double email. We would like to extend an invitation to Ms. Mutter to see Roger...“
Ich jubele, sehe mich am Ziel, die Terminsuche beginnt. Federers Assistentin und ich werden ziemlich beste Freundinnen. Es ist kompliziert. Wenn er in Europa ist, spielt sie in Übersee, und umgekehrt.
Im Herbst 2019 erster Drehtag mit Frau Mutter und dem Weltklasse-Magier Steve Cohen in New York. Ein zauberhaftes Gespräch, in dem Steve sich traut, ein heikles Thema anzuschneiden: Frau Mutters viel bewundertes Bühnen-Outfit. Ihm grollt sie nicht bei seiner Frage nach ihrer Garderobe. Das Konzept scheint aufzugehen. Termine mit Barenboim und Widmann werden gemacht - und Makulatur. Es folgt der große Lockdown. Nach der ersten Corona-Welle wage ich nachzufragen, was die gemeinsame Wanderung macht. Termin und Ort werden mir durchgegeben: Ende August in Kitzbühel, ihrer Wahlheimat. Es ist der heißeste Tag des Jahres, mein wunderbarer Kameramann Jürgen Carle hat die falschen Schuhe an. Frau Mutter kümmert sich fürsorglich um das strapazierte Kamerateam, am Tag nach der Wanderung lässt sie noch Empfehlungen durchgeben, wie Jürgen seine malträtierten Füße kurieren müsse (Arnika Globuli D12!).
Der zweite Lockdown. Frau Mutter erkundigt sich nach dem Wohlergehen unseres Teams („Ist das Baby schon da?“ – Unser Tonmann Michael Kirn erwartet sein erstes Kind), an Weiterdrehen ist nicht zu denken. Erst nach einem Jahr treffen wir uns wieder.
Federers Management ist mittlerweile völlig abgetaucht, meine ziemlich beste Freundin spurlos ins Home Office verschwunden, ihre Kolleginnen wissen von nichts, Mails werden nicht beantwortet. Wir lesen über sein lädiertes Knie, jetzt müsste er doch Zeit haben für uns, er steigt wieder ein in den Tenniszirkus, es folgen Corona-Wellen drei und vier, dann, ich erwische meine ziemlich beste Freundin wieder am Telefon, die Hiobsbotschaft: „Roger has to postpone his talk with Anne-Sophie for a year.“ Ich bitte einen befreundeten amerikanischen Sport-Agenten um Hilfe. Auch er erhält eine Abfuhr. Wegen Corona sind Kontakte mit Menschen außerhalb der Tennis-Blase zu gefährlich. Ich treffe immer wieder auf Menschen, die engen Kontakt zu Federer haben, wie sie beteuern. Wenn ich sie um Hilfe bitte, tauchen sie ab. Ich beginne mich damit abzufinden, dass der Film ohne Roger Federer stattfinden wird. Aber wie sage ich es Frau Mutter?
Schnittbeginn. Meine engagierte Editorin Petra Hölge ist begeistert, wie oft Frau Mutter ihre Kunst mit der von Federer vergleicht. Sie wandert sogar mit einem Federer-Käppi. „Wir müssen einen Clip schneiden und ihn an Federers Management schicken“, schlägt Petra vor. Wir wissen, es ist unser letzter Versuch, und der darf nicht an einer info@Mailadresse scheitern. Ich überlege mir, wie die E-Mail-Adresse von Federers engstem Berater lauten müsste und schicke den Clip ohne großen Umweg über all die Vorzimmerhüterinnen auf gut Glück an die mutmaßliche Mailadresse. Nach einem Tag die Antwort: „We will try to organize.“
Wir jubeln als hätten wir Wimbledon gewonnen. Zum ersten Mal bin ich dankbar für Federers Verletzung – er hat endlich Zeit. Selbst die neue hochansteckende Omikron-Variante kann das Treffen drei Monate später nicht mehr verhindern. Am letzten Drehtag treffen eine wunderbar aufgekratzte Frau Mutter mit ihrem mindestens ebenso aufgeregten Sohn auf einen herrlich unkomplizierten Tennisstar, der damals noch hofft, wieder den Anschluss an die Tennis-Tour zu finden.
Bedingung für den Film ist von Anfang an, dass Frau Mutter den Film vor der Veröffentlichung sehen kann. Eine letzte Hürde? Sie ist damit einverstanden, bei der Privatvorführung des Films im Münchner Kino Studio Isabella gefilmt zu werden. Frau Mutters spontane Reaktionen während des Films haben wir als Bonustrack verarbeitet. Viel Spaß beim Schauen!