Die Venus ist noch immer das auffälligste Objekt am Abendhimmel. Da im Juni die Dunkelheit erst nach 22 Uhr MESZ (Mitteleuropäische Sommerzeit) einsetzt, ist sie schon während der Dämmerung deutlich sichtbar. Am 21.Juni nähert sich der zunehmende Mond unserem Schwesterplaneten und es kommt zu einer engen Begegnung. Eine Woche zuvor ist es die abnehmende Mondsichel, die am frühen Morgen des 14.Juni dem Gasriesen Jupiter noch näher zu sein scheint. Beide Konstellationen sind natürlich nur ein perspektivischer Schein, denn im Gegensatz zum Erdmond, der im Mittel 386.000 Kilometer von der Erde entfernt ist, hat der Planet Mars zur Zeit einen Abstand von fast 100 Million Kilometern. Jupiter, der König unter den Planeten, ist mit derzeit 590 Millionen Kilometern mehr als 1500 mal weiter entfernt von der Erde als der Erdtrabant.
Am 21. Juni beginnt der astronomische Sommer. Dementsprechend ist das aus den Sternen Wega (Leier), Deneb (Schwan) und Atair (Adler) bestehende Sommerdreieck bereits 23 Uhr deutlich im Süden zu erkennen. Schon immer haben Frauen die Entwicklung der modernen Astronomie entscheidend mitgeprägt. In den vergangenen Jahren hat sich Kosmos schon mehrfach mit dieser Thematik beschäftigt (Kosmos 82). Jetzt haben die amerikanische Raumflugbehörde NASA und die europäische Raumfahrtagentur ESA gemeinsam beschlossen, ein Teleskop der allerneusten Generation nach einer ebenso verdienstvollen wie bedeutenden Astronomin zu benennen: Das für große Beobachtungsflächen konzipierte Raumteleskop war unter der vorläufigen Bezeichnung WFIRST (Wide Field Infrared Survey Telescope) bekannt geworden. Nun erhält das Infrarot-Teleskop den Namen Nancy Grace Roman Space Telescope - kurz NGRST.
Sicherlich eine bessere Namenswahl als beim James Webb Space Telescope, denn im Gegensatz zum NASA-Administrator James Webb kann die im Jahre 1925 in Nashville, Tennessee geborene Nancy Roman schon als junge Frau auf eine Bilderbuchkarriere verweisen. So konnte sie nach einem vorzeitig abgeschlossenen Studium der Mathematik und Physik bereits mit 24 Jahren den Doktorgrad erwerben und war dann von 1949 bis 1955 einerseits als Dozentin an der University of Chicago und andererseits als Forscherin am Yerkes-Observatorium tätig. Für ihre bahnbrechenden Erfolge auf dem Gebiet der Radioastronomie wurde sie als eine der ersten Wissenschaftlerinnen überhaupt 1962 von John F. Kennedy mit dem Women Federal Award ausgezeichnet. Als führende Mitarbeiterin bei der NASA hatte sie sich in den darauffolgenden Jahren vor allem im Kongress intensiv für den Bau des Hubble-Weltraumteleskops eingesetzt, was ihr den Spitznamen „Mutter Hubble“ einbrachte. Bekanntlich wurde ihre Hartnäckigkeit belohnt und inzwischen zählt das in die Jahre gekommene Hubble-Space-Telescope zu den großen Erfolgsgeschichten der Astronomie. Doch gerade gegenüber dem HST soll das neue NGRST entscheidende Vorteile haben. Projektleiter Marco Sirianni von der ESA erklärte dies an einem eindrucksvollen Beispiel. „Kürzlich wurde unsere Nachbargalaxie M31 Andromeda durch ein Mosaik aus über 400 Einzelbildern des Hubble-Teleskops dargestellt. Die gleiche riesige Fläche kann das NGRST mit gerade einmal zwei Bildern abdecken.“
Dafür sind vergleichsweise gigantische Datensätze notwendig: Während Hubble bisher in mehr als 30 Jahren Betrieb 170 Terabyte gesammelt hat, erwartet man bei Webb 1000 Terabyte. Das Grace Roman Telescope wird hingegen bei fünfjähriger Betriebsdauer mehr als 20.000 Terabyte zu verarbeiten haben. Mit dieser Datenmenge wird es dann vielleicht erstmals möglich sein, die genaue Zahl der Milliarden von Galaxien im Universum zumindest abzuschätzen. Anschließend soll in den beteiligten Instituten mit vereinten Rechenkapazitäten das erste hochpräzise 3D-Modell des Kosmos erstellt werden. Auch die Expansionsgeschwindigkeit des Universums gilt es neu zu vermessen und es wird sich zeigen, ob Einsteins Theorien Bestand haben werden.
Bis es soweit ist, muss sich allerdings die Gemeinde der Astronomen in Geduld üben. Der geplante Start des mit drei Milliarden Dollar veranschlagten NGRST ist zunächst für 2027 vorgesehen. Bleibt zu hoffen, dass Elon Musk und seine Firma Space X alle Zeitpläne einhalten können und die Budgetvorgaben im vorgegebenen Rahmen bleiben. Das kann man aber erst mit Gewissheit sagen, wenn an Bord einer Falcon Heavy-Rakete alle hochempfindlichen Geräte sicher verstaut sind. Nur so kann das größte jemals gebaute Infrarot-Teleskop pünktlich seinen Dienst antreten.
2027 wird auch das erste Bild des neuen Extremly Large Telescopes des Europäischen Südobservatoriums (ELT der ESO) erwartet. Hier liegen die Baumaßnahmen in der chilenischen Atacama-Wüste im Plan und dem „First Light“, des von 16 europäischen Ländern finanzierten Projektes, steht momentan nichts im Wege.
Gegen Ende der Dekade wird es dann für die moderne Astronomie zu einem „Showdown“ kommen, denn die beiden Teleskope der Superlative werden ungeahnte Datenmengen generieren und eine Vielzahl von fantastischen Bildern zur Verfügung stellen und somit zeigen, dass die älteste Wissenschaft der Menschheit zu den dynamischsten Forschungsgebieten unserer Zeit gehört.
Klaus Huch, Planetarium Halberstadt