Landsberg. Es ist an die drei Jahrzehnte her, da sprengte ein Roman des damals noch relativ unbekannten dänischen Autors Peter Høeg die Bestsellerlisten deutschsprachiger Literaturgazetten. Ein Krimi in Zeiten als diese, ähnlich den Kochbüchern, in der Welt der Bücher noch ein Nischendasein fristeten. Gleichzeitig war im Grunde aber klar: An diesem Text musste inhaltlich mehr sein, als dass ein einfacher Kriminalfall von einem verqueren (Privat-)Detektiv mit überdurchschnittlichem Intelligenzquotienten auf noch so skurrile Weise gelöst würde.
Høeg strickte in „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ aus unterschiedlichsten Problemaspekten, von denen manche Kritiker behaupteten, es wären vielleicht zu viele, eine Geschichte, die, aus heutiger Perspektive betrachtet, ihrer Zeit ein wenig voraus schien. Aber das Publikum damals kaufte, las und liebte dieses Buch, das von einem vom Dach gestürzten sechsjährigen Eskimojungen, einer Naturwissenschaftlerin aus Grönland, von Alkoholsucht, einem weit zurück liegenden, aber bis in die Gegenwart wirkenden Katastrophenszenario und mehreren Nordland-Expeditionen handelte. Die Story wurde (natürlich) verfilmt, dramatisiert und erfuhr am Donnerstag als Puppenspiel des Erfurter Theater Waidspeicher eine Aufführung im Stadttheater Landsberg.
Eine Geschichte, die ihre Dramaturgie, ihren Charme und ihre Brisanz durch das Zusammenspiel von Handpuppen und Schauspielern entwickelte, die tatsächlich aufgrund ihres ästhetischen Konzepts und der spieltechnischen Umsetzung zumindest die Verfilmung deutlich in den Schatten stellt. Frank Alexander Engel hat diese Aufführung inszeniert und kann sich bei der Umsetzung des Stoffes auf ein engagiertes und professionelles Ensemble stützen.
Die Handlung wirkt hingegen ein wenig hölzern, abgesehen davon, dass hier Menschen mit Umwelt- bzw. Naturkatastrophen konfrontiert werden, die in der Lage sind, biologische Grundlagen auf der Erde gehörig aus dem Gleichgewicht zu bringen. In diesem Kontext kommt der kleine Jesaja zu Tode und die 37jährige arbeitslose Mathematikerin und Geologin Smilla Jaspersen zeigt auf, dass es sich hier um Mord handelt, als dem Ergebnis eines politischen und wirtschaftlichen Komplotts.
Beide, Smilla als auch Jesaja haben grönländische Wurzeln, wobei das Verhältnis zwischen Grönland, einem politisch selbstverwalteten Bestandteil des Königreichs Dänemark, und Dänemark seit Jahrhunderten von sozialen Spannungen geprägt ist. Insofern bekommt die Geschichte neben der individuellen Identitätsfindung auch eine gewisse gesellschaftliche Sprengkraft und damit einen gegenwärtigen, sehr realen Bezug.
Das Ensemble des Theater Waidspeicher mit Karoline Vogel, Kathrin Blüchert, Paul Günther, Tomas Mielentz und Maurice Voß spielt selbst und führt die Handpuppen auf eine sehr inspirierende und, trotz der herausfordernden und manchmal rücksichtslosen Lebenswirklichkeit, immer wieder beeindruckend poetische Art und Weise. Oft sind es nur kleine Nuancen, wie die Körpersprache der Figuren, die berühren und die Charaktere deutlicher herausschälen. Ein insgesamt anregender und fesselnder Theaterabend, der vom Publikum mit Begeisterung aufgenommen und Bravo-Rufen bedacht wurde.
Jörg Konrad