Eine Besetzung, die damals Wellen schlug und ein Album, das in seiner in sich ruhenden Dynamik und berührenden Poesie bis heute fasziniert. Eingespielt im Februar 1996 in New York gehört „
Angel Song“ zu den Klassikern des modernen (Kammer-)Jazz. Vier Musiker, deren Karrieren nicht unterschiedlicher verlaufen konnten und die trotz dieser Verschiedenartigkeit doch über einen traumwandlerischen Pfad zueinander fanden.
Da ist
Lee Konitz (Jahrgang 27), dieses Altsaxophon spielende Urgestein Jazz, der, ähnlich seinem Partner auf dem vorliegenden Album Kenny Wheeler (Jahrgang 30), sowohl die amerikanische Variante des Jazz beherrschte, wie er auch deren europäische Ästhetik verinnerlichte und glänzend zum Ausdruck brachte. So war er als Sideman und damit Geburtshelfer an der Entstehung von
Miles Davis „Birth of the Cool“-Album beteiligt, spielte mit
Charles Mingus und
Derek Bailey und mit dem
Brandenburgischen Staatsorchester (anlässlich eines Tributes für den deutschen Komponisten und Musikjournalisten
Günter Buhles).
Kenny Wheeler gehörte an Trompete und Flügelhorn zumindest für eine Weile der zweiten Reihe der europäischen Aventgardemusiker um Alexander von Schlippenbach an, ehe er mit seinen weiten melodischen Bögen und den melancholisch verhangenen Musikgeschichten so inspirierend wirkte;
Bill Frisell (Jahrgang 51), war aufgrund seiner Sensibilität und Empathie schon damals einer der meistbeschäftigten Gitarristen der Szene. Er ist keiner dieser Geschwindigkeitsapostel an den Saiten, sondern mehr der reduzierte, introvertierte Typ mit Wirkung und Einfluss. Und zu guter letzt
Dave Holland (Jahrgang 46), einer besten und effektivsten auf seinem Instrument, einer der Räume öffnet und schließt, der virtuos improvisiert, unerschütterlich die Zeit hält und ebenso kraftvoll begleitet, wie er mit wunderbaren lebendigen Figuren homogen gestaltet.
Komponiert hat „Angel Song“ komplett Kenny Wheeler und es scheint, als habe er die Stücke einzig für diese schlagzeuglose Besetzung verfasst, sie den Solisten förmlich auf den Leib geschrieben. Die Instrumentalstimmen passen wunderbar zueinander – und selbst ihrer scheinbaren akustische Divergenz, wie zum Beispiel im Stück „Unit“, wohnt in der Verbindung des etwas nasalen Altsax und dem drahtigen Gitarrensound ein poetischer Zauber inne. Nichts an diesen Aufnahmen ist überflüssig, keine eitlen Floskeln, schon gar kein Geschwätzigkeit. Sparsamkeit ist Trumpf auf „Angel Song“. Aber das musikalische Versmaß passt perfekt, zielt auf das Wesentliche. Sehnsuchtsvolle Miniaturen, die Zukünftiges und Vergängliches beinhalten und in ihrer Traurigkeit einfach nur freudig stimmen.
Jörg Konrad
Kenny Wheeler, Lee Konitz, Dave Holland, Bill Frisell
„Angel Song“
ECM „Luminessence“-Series (Vinyl)