Buchheim Museum: WIEDERENTDECKT & WIEDERVEREINT. Rahmen und Bilder von Ernst Ludwig Kirchner
"WIEDERENTDECKT & WIEDERVEREINT. Rahmen und Bilder von Ernst Ludwig Kirchner"
Ausstellung vom 03. Oktober 2024 bis12. Januar 2025
Buchheim Museum der Phantasie
Bernried - Die Ausstellung widmet sich der Idee des Gesamtkunstwerks bei Ernst Ludwig Kirchner: der Verbundenheit von Bild und Rahmen. Nahezu alle gezeigten Gemälde sind noch oder wieder von ihren originalen Künstlerrahmen umgeben. Bild und Rahmen gehörten für den
Expressionisten untrennbar zusammen, er gestaltete für fast jedes Werk einen individuellen Rahmen. Die Ausstellung bietet einen Überblick über seinen künstlerischen Umgang mit Rahmen in Analogie zu seiner malerischen Entwicklung von der Gründung der Künstlergruppe »Brücke«
in Dresden bis zu seiner Schaffenszeit in Davos. Wie Kirchner Bild und Rahmen als Einheit konzipierte, machen die rund 60 Exponate erlebbar: Neben den erhaltenen, heute kaum mehr existierenden originalen Bild-/Rahmenkombinationen, können hier erst kürzlich mit ihren Rahmen
wiedervereinte Bilder gezeigt werden – sehr seltene Glücksfälle, denn manche Bilder und Rahmen waren teils jahrzehntelang voneinander getrennt. Dass weiterhin geforscht wird und erhaltene originale Rahmen immer wieder Bildern zugeordnet werden können, macht eine
Installation deutlich, in der unter den gut ein Dutzend Leerrahmen drei mit Reproduktionen der ehemals darin enthaltenen Kirchner-Gemälden präsentiert werden. Wie Bildern trotz des Verlustes ihres ursprünglichen Rahmens ein Teil ihrer früheren Identität zurückgeben werden kann, ist hier an zwei Werken, für die ihr originaler Rahmen nachgebaut wurde, erfahrbar. Neben Kirchners Rahmengeschichte, die auch die Verwendung antiker Rahmen in seinem Spätwerk miteinbezieht, reflektiert die Ausstellung die lange verkannte kulturhistorische Bedeutung und den damit zusammenhängenden Verlust vieler originaler Kirchner-Rahmen.
Die Ausstellung rückt in den Blick, was bisher kaum gesehen und beachtet wurde, auch nicht von der Forschung: Ernst Ludwig Kirchners Rahmen sind integraler Bestandteil seiner Kunst. Gemälde und Rahmen bilden eine Einheit – höchste Zeit, sie als solche wiederzuentdecken!
Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938), Schlüsselfigur des deutschen Expressionismus und 1905 Mitbegründer der Künstlergruppe »Brücke«, setzte sich während seiner gesamten Karriere intensiv mit der Rahmung seiner Werke auseinander. Bild und Rahmen konnten für ihn nur als Einheit existieren: »Ungerahmte Bilder gebe ich niemals auf Ausstellungen, das geht bei meinen Arbeiten nicht. Wenn ich etwas mache, so recht und gut als irgend möglich, sonst lieber nicht«, schrieb er in einem Brief vom 5. Oktober 1937 an den Leiter der Basler Kunsthalle. Für fast jedes Gemälde entwarf und gestaltete der Künstler einen individuell auf das Bild abgestimmten Rahmen: Er zeichnete die Profile, fasste die rohen Rahmen meist in Goldbronze und bemalte sie anschließend farbig. Einzigartig ist vor allem sein Umgang mit Farbe in Abstimmung auf das jeweilige Gemälde: Kirchner begann in Davos über die Leinwand hinaus zu malen, verwendete die jeweils selben Farben häufig auch auf den Rahmen. Damit setzte er das für den Expressionismus programmatische Konzept des Gesamtkunstwerkes um: Für die »Brücke«-Künstler hörte das Bild nicht am Bildrand auf, die Kunst sollte sich mit dem Leben verbinden und über den Rahmen hinaus in die Welt hineinragen. Die Kunst strebte nach Entgrenzung, sollte gestaltend eingreifen in den Alltag. Sie sollte die Ausdrucksformen ihrer Zeit »unmittelbar und unverfälscht« in die Welt tragen, wie es in dem von Kirchner entworfenen Programm der »Brücke« von 1906 heißt. Freiheit, Unmittelbarkeit, Unverfälschtheit – mit diesen zentralen Ideen,
Werten und Ausdrucksmitteln entwickelte sich die Künstlergruppe »Brücke« zu einer der berühmtesten Avantgarden: Kirchner und seine Künstlerkollegen lehnten die autoritären Konventionen und konservativen Lebens- und Kunststile der wilhelminischen Ära ab und damit auch den damals üblichen, prächtig verzierten Goldrahmen. Ihre progressiven Rahmungskonzepte, ihre selbst gestalteten, eher schlichten Rahmen entspringen der Idee des Gesamtkunstwerkes, sie vermitteln zwischen Bild und Welt.
Ernst Ludwig Kirchners Künstlerrahmen halten nicht irgendein Werk an der Wand, sondern nur ihr eigenes – sie sind Seelenverwandte ihres Bildes. Als solche sind sie untrennbar mit dem Werk verbunden. Ästhetisch und programmatisch, jedoch nicht unbedingt physisch. Dass die nach Künstlerwillen unzertrennliche Einheit von Bild und Rahmen später sehr oft getrennt wurde, ist leider keine Seltenheit und betrifft nicht nur die Werke Ernst Ludwig Kirchners, sondern aller »Brücke«-Künstler. Heute sind Kirchners originale Bild-Rahmen-Kombinationen kaum noch zu
finden, denn die Rahmen fielen oft dem jeweiligen Geschmack ihrer Besitzer und Besitzerinnen und dem Zeitgeist ihrer Epoche zum Opfer. Vielen Sammlern und Sammlerinnen, Museumsdirektoren und -direktorinnen, Kunsthändlern und Kunsthändlerinnen erschienen seine bemalten, »einfachen« Rahmen viel zu schlicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die meisten Künstlerrahmen entfernt und durch üppige, meist goldene und somit vermeintlich wertvollere Rahmen ersetzt. Bis heute sind viele originale Rahmen verschollen, der kultur- und kunsthistorische Verlust ist unermesslich.
Die Ausstellung WIEDERENTDECKT & WIEDERVEREINT zeigt und bringt zusammen, was immer schon zusammengehörte: das Bild und seinen von Künstlerhand gestalteten Rahmen. Nie zuvor wurden für eine monografische Kirchner-Ausstellung so viele Gemälde in ihren originalen Rahmen zusammengetragen – ein fast unmögliches Vorhaben, da die meisten originalen Rahmen auf dem Weg ins Heute verloren gingen. Dank der Zusammenarbeit mit dem Kirchner Museum Davos – dort befindet sich ein großes Konvolut an Gemälden, das sich noch im ursprünglichen Künstlerrahmen befindet –, dem Beitrag des Kirchner-Nachlasses und der Galerie Henze & Ketterer in Wichtrach/Bern sowie internationaler Leihgaben aus Museen und Privatsammlungen können nun rund 40 Gemälde in ihren originalen Künstlerrahmen gezeigt werden. Neben den erhaltenen originalen Bild-Rahmen-Kombinationen gehören auch erst kürzlich mit ihren ursprünglichen Künstlerrahmen wiedervereinte Bilder dazu. Solche Rückführungen sind sensationelle Glücksfälle. Als jüngstes Beispiel einer solchen Wiedervereinigung ist Kirchners Gemälde »Blick ins Tobel«, 1919–1920, zu nennen. Durch eine einzigartige, internationale Museumskooperation können Bild und Rahmen hier erstmalig wieder
als Einheit der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Buchheim Museum der Phantasie
Am Hirschgarten 1,
82347 Bernried am Starnberger See
Abbildungen:
- Ernst Ludwig Kirchner
Kopf mit Pfeife (Otto Mueller mit Pfeife), 1913
Öl auf Leinwand
Früher, einfacher Bretterrahmen mit aufgenagelter Halbrundstableiste, Goldbronze mit grünlicher Lasur
Brücke-Museum, Berlin
Foto: Nick Ash, Berlin / Brücke-Museum, Berlin
- Ernst Ludwig Kirchner
Zwei gelbe Akte mit Blumenstrauß, 1914
Wachs-Öl-Emulsion auf Leinwand
Plattenrahmen mit Profilstufen innen und außen, Goldbronze verschiedenfarbig passend zum Bild lasiert
Bündner Kunstmuseum Chur, Ankauf mit einem Beitrag des Bündner Kunstvereins
Foto: Thomas Strub / Bündner Kunstmuseum Chur
- Ernst Ludwig Kirchner
Artisten an Ringen (und Trapez), 1923/1928
Öl auf Leinwand
Mehrfach profilierter Rahmen, stark farbig zum Bild passend gefasst
Galerie Henze & Ketterer, Wichtrach/Bern
Foto: Galerie Henze & Ketterer, Wichtrach/Bern
- Ernst Ludwig Kirchner
Badende Frauen (Triptychon, Mittelbild), 1915/1925
Öl auf Leinwand
Rahmen aus zwei Leisten, mit Goldbronze gefasst und unregelmäßig dunkel patiniert
Kirchner Museum Davos, Schenkung Nachlass Ernst Ludwig Kirchner 1990
Foto: Stephan Bösch / Kirchner Museum Davos
- Ernst Ludwig Kirchner
Der Geiger Häusermann I, 1927
Öl auf Leinwand
Getreppter Profilrahmen, Goldbronze mit farbigen Lasuren passend zum Bild
Museum Biberach, Leihgabe aus Privatbesitz
Foto: Museum Biberach