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1. Fürstenfeld: Nikolaus Habjan: F. Zawrel - erbbiologisch und sozial minderw...
2. Fürstenfeld: Dr. Will & The Wizards – Zauber des Blues
3. Fürstenfeld: JOSH. räumt ab im Veranstaltungsforum
4. Fürstenfeld: Kroatisches Nationalballett Rijeka – Die ganze Welt ist Tan...
5. Irene Schweizer (geb. 02. Juni 1941 in Schaffhausen, gest. 16. Juli 2024)
6. Fürstenfeld: Saarländisches Staatsballett - Odyssey
Freitag 20.09.2024
Fürstenfeld: Nikolaus Habjan: F. Zawrel - erbbiologisch und sozial minderwertig
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Fotos: TJ Krebs
Die Geschichte hinter der Aufführung ist unglaublich und von einer zum Himmel schreienden Unerträglichkeit. Zudem gibt es keine ernst zu nehmende Entschuldigung, wenn Haupttäter realer Gewalt gegen die Menschheit, trotz staatlichem Wissen um deren Verbrechen, nicht zur Verantwortung gezogen werden. Sondern deren bestialische Kaltblütigkeit erst die Grundlage für gesellschaftlichen Aufstieg und politische Anerkennung bildet.
Aber der Reihe nach: Friedrich Zawrel (1929-2015) wuchs Ende der 1930er Jahre in Kinderheimen und Pflegefamilien auf und wurde 1941 in die Wiener Jugendfürsorgeanstalt „Am Spiegelgrund“, eine der größten NS-Euthanasie-Kliniken Österreichs, eingewiesen. Hier traf er auf den Psychiater Heinrich Gross, Stationsleiter der „Reichsausschuss-Abteilung“, der behinderte Kinder für abscheulichste Forschungszwecke missbrauchte, wissentlich missbrauchen ließ und letztendlich an deren Ermordung beteiligt war.
Nach dem Krieg wurde Gross, mit seiner Sammlung von über 800 Kinderhirnen(!), Leiter des eigens für ihn geschaffenen Ludwig-Boltzmann-Instituts zur Erforschung von Missbildungen des Nervensystems und zugleich meistbeauftragter Gerichtspsychiater Österreichs. 1953 trat er der SPÖ bei, zwei Jahrzehnte später erhielt er das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse.
Friedrich Zawrel geriet nach 1945, aufgrund von banalen Eigentumsdelikten, in die Fänge der österreichischen Justiz und sollte aus diesem Grund psychiatrisch begutachtet werden. So traf er, wie es der Zufall will, 1975 auf seinen einstigen Peiniger Heinrich Gross, mittlerweile Leiter des „Ludwig Boltzmann-Instituts zur Erforschung der Mißbildungen des Nervensystems“, der den offiziellen Auftrag hatte, über Zawrel ein nervenärztliches Gutachten anzufertigen. Zawrel erkannte Gross sofort und konfrontierte ihn mit seiner Vergangenheit. Daraufhin stellte Gross ihm ein Gutachten aus, aufgrund dessen er sechs Jahre in Haft kam. Er empfahl zudem, die anschließend dauerhafte Unterbringung in einer Anstalt für gefährliche Rückfalltäter.
Zawrel informierte über einen Journalisten die Öffentlichkeit, woraufhin eine jahrzehnte lange juristische Auseinandersetzung über die (erwiesene) Schuld des beamteten Arztes folgte, an deren Ende Heinrich Gross 90jährig zwar angeklagt, aber nie verurteilt starb.
Nikolaus Habjan hat aus den historischen Eckpfeilern dieser Geschichte mit der Kraft eines Überzeugungsaufklärers und dem Mut eines Freischärlers ein Puppenspiel geformt und dieses auf die Bühne gebracht. Selbst Habjans Gönner hatten Bedenken, ob diese Form der spielerischen Umsetzung gelingt, ob derartiger Schrecken mit künstlerischen Mitteln darstellbar wäre.
Genau das Gegenteil ist der Fall. Habjan nähert sich mit den Mitteln seiner einzigartigen Kunst in „F. Zawrel - erbbiologisch und sozial minderwertig“ geschickt wie erschütternd dem Menschheitsverbrechen, betreibt zugleich humanitäre Aufklärung und macht ein ganz klein wenig Hoffnung, in dem er derartiges moralisches wie rechtliches Versagen aus dem Kanon gesellschaftlicher Verschwiegenheit ans Licht der Öffentlichkeit trägt. Allein dafür gebühren ihm, Nikolaus Habjan, die höchsten Auszeichnungen. Was beim Publikum nach seinem gestrigen Auftritt im Fürstenfelder Veranstaltungssaal letztendlich blieb: Stummer Schrecken, maßlose Wut ob dieses ohnmächtig machenden Irrsinns. Auch deshalb: Standing Ovations.
Jörg Konrad




Erich Fried
Was geschieht


Es ist geschehen
und es geschieht nach wie vor
und wird weiter geschehen
wenn nichts dagegen geschieht.

Die Unschuldigen wissen von nichts
weil sie zu unschuldig sind
und die Schuldigen wissen von nichts
weil sie zu schuldig sind.

Die Armen merken es nicht
weil sie zu arm sind
und die Reichen merken es nicht
weil sie zu reich sind.

Die Dummen zucken die Achseln
weil sie zu dumm sind
und die Klugen zucken die Achseln
weil sie zu klug sind.

Die Jungen kümmert es nicht
weil sie zu jung sind
und die Alten kümmert es nicht
weil sie zu alt sind.

Darum geschieht nichts dagegen
und darum ist nichts geschehen
und geschieht nach wie vor
und wird weiter geschehen, wenn nichts dagegen geschieht.
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Fotos: Thomas J. Krebs
Freitag 13.09.2024
Fürstenfeld: Dr. Will & The Wizards – Zauber des Blues
Fürstenfeld: Joachim Ernst Berendt, einstiger Jazzpapst aus dem Schwarzwald, brachte den Blues vor über vier Jahrzehnten anlässlich des „American Folk Blues Festivals“ wie folgt auf den Punkt: „Die Blues-Musiker sind das ,Salz` der amerikanischen und vielleicht überhaupt der modernen westlichen Gesellschaft. Sie leben im Underground, in einer Katakombenwelt. Was dort hinuntersinkt, ist durch alles hindurchgegangen, was darüberliegt – und davon gesättigt“.
Genau diese bodenständige Überzeugung liegt dem künstlerischen Anspruch des Münchner Schamanen und Blues-MC (Master of Ceremonies) Dr. Will & The Wizards zugrunde. Auch wenn dieser erst weitaus später auf den Bühnen seiner süddeutschen Heimat diesen Zauber seiner Musik entfaltete. Aber letztendlich ist Dr. Will, Sänger, Schlagzeuger und Vorsteher seiner Band den Wizards, weit mehr, als nur als ein lokales Schwergewicht. Er ist, wie es sich für einen echten Blueser gehört, ebenso Meister des Boogie, des Rock'nRoll, des Soul, des Folk und, als Trommler versteht sich, ein wenig auch des Rockabilly.
Am Donnerstag war Will Hampel, wie der Doktor mit bürgerlichem Namen heißt, Gast der Reihe Blues First in Fürstenfeld und machte deutlich: Auch hier, im bayrischen, wird er gespielt, der Blues, der Boogie, der Rock'n Roll, der Soul, der Folk, der Rockabilly – mit Leidenschaft und facettenreich.
Hier und da schimmerten bei Will und seinem Quartett, ausgezeichnet besetzt mit Juergen Reiter (Bass), Sashmo Bibergeil (Gitarre und Gesang) und Uli Kuempfel (Banjo und Mandoline), auch ein wenig Tom Waits und ebenso der Altmeister Captain Beefheart durch, dieses dissonante Raubein und kantiger Partner von Frank Zappa. Ansonsten beriefen sich die Wizards mehr auf das 12-taktige Bluesschema, mit den kleinen, unmittelbaren Ausflügen in den Popolymp und seinen angrenzenden himmlischen Regionen. Das sind altbekannte Gleise, auf denen die Blues-Lok so richtig schnaufen und das Publikum mitziehen kann.
Dr. Will hatte als Paradiesvogel mit Federschmuck den voll besetzten Saal fest im Griff. Das Publikum folgte dem Meister bereitwillig, machte aus dem Auftritt des Quartetts im Kleinen Saal eine regelrechte Gospel-Messe - die auch weitab der Baumwollfelder Louisianas begeisterte.
Jörg Konrad
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Dienstag 10.09.2024
Fürstenfeld: JOSH. räumt ab im Veranstaltungsforum
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Anstelle des Sound of Heimat Fürstivals, das in den vergangenen beiden Jahren in Fürstenfeldbruck stattgefunden hat, gaben sich letzten Samstag der Österreicher JOSH., zusammen mit dem Trio Matakustik als Vorband, im Veranstaltungsforum Open Air die Ehre.

Das Trio Matakustik um den Sänger und Gitarristen Matthias Ortner spielten soliden Austropop und stimmten die Zuschauer mitreißend auf den Hauptact des Abends ein. Die Organisation klappte wie am Schnürchen, kurzer Bühnenumbau und dann legte JOSH. gleich ohne Umschweife los und ging in die Vollen. Seine Band, bestens gelaunt und eingespielt, zog vom Leder, ein Hit nach dem anderen begeisterte das Publikum. Angefangen von „Tanzen bei der Arbeit“ gleich zu Beginn, gefolgt von „Dann denk ich an Dich“, präsentierte JOSH. praktisch ein best of seiner Songs. Die „Wiener Taube“ oder das parodistische “Espresso & Tschianti“ durften nicht fehlen, genauso wenig wie das freche „Martina“, „Von dir ein Tattoo“ oder „Ich gehör‘ repariert“. Bei den zwanzig Songs seiner Setlist gab es zwischendurch immer wieder persönliche Ansprachen an sein Publikum und genügend Zeit für Soli seiner fantastischen Mitstreiter, die ihn auf seiner ausgedehnten Tour begleiten. JOSH. stellte an dem Abend auch unter Beweis, dass er nicht nur Sommerhits im Repertoire hat, sondern auch ein Händchen für’s Singer-Songwriter Genre, wie z.B. bei dem autobiografischen Song „ Ring in der Hand“. Alles in allem ein stimmungsvoller, begeisternder Open Air Abend bei sommerlichen Temperaturen in entspannter Stimmung vor der einmaligen Kulisse des Klosterhofes. Natürlich „Geht noch was“, nach seinem letzten offiziellen Song des Abend … JOSH. lässt sich nicht lange bitten und stimmt solo mit seiner Gitarre „Wenn ich heut‘ bei Dir bleib“ an, seine Band steigt nach und nach mit ein und last not least folgt natürlich noch: „Cordula Grün“ als krönender Abschluss des Abends.

Für das nächste Jahr sollte man sich unbedingt schon mal den 12. & 13. September freihalten – da wird es aller Voraussicht nach wieder in die nächste Runde gehen mit dem „Sound of Heimat Fürstival“, so das Ankündigungsschild mit einem Save The Date am Ausgang.
Text & Fotos: Thomas J. Krebs
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Mittwoch 17.07.2024
Fürstenfeld: Kroatisches Nationalballett Rijeka – Die ganze Welt ist Tanz
Fürstenfeld. Die ganze Welt ist Tanz – so könnte auch die Überschrift zum diesjährigen dancefirst-Festival lauten. Es war die seit 2016 vierte Ausgabe dieses international besetzten Ereignisses, das in Anspruch, Umsetzung und Wirkung sich mittlerweile einen der vordersten Plätze in der bundesrepublikanischen Festivallandschaft erkämpft hat. Tanzensembles und Compagnien unter anderem aus Frankreich, Spanien, Italien, Kanada, Slowenien, Südafrika, Algerien oder Israel haben mit ihren Aufführungen in den letzten Jahre fast durchgehend die Herzen des Publikums höher schlagen lassen.
Doch die „Macher“ dieses grandiosen kulturellen Spektakels setzen nicht nur auf internationale Reputation. Im Stadtsaal waren immer auch deutsche Spitzenensembles zu Gast, so zum Beispiel mehrmals die Formation tanzmainz aus der hessischen Landeshauptstadt, oder in diesem Jahr das Saarländische Staatsballett. Hinzu kommen Aufführungen lokaler Tanzgruppen, wie 2024 das Ballett Sinzinger, das Tanzstudio Ammersee, das Tanzstudio mosaico oder die Heimatgilde „Die Brucker“. Diese kluge Zusammenstellung von Internationalem und Regionalem wird vom Publikum mit großem Interesse angenommen und häufig frenetisch gefeiert.
Norbert Leinweber, Geschäftsführer und Werkleiter des Hauses antwortet auf die Frage, wie er persönlich das diesjährige dancefirst-Festival einschätzt: „ Wir sind begeistert vom überragenden Publikumsinteresse. Viele Aufführungen waren ausverkauft, alle fanden vor vollbesetztem Auditorium statt. Es freut mich, dass sich unsere Gäste so gut auch auf außergewöhnliche und herausfordernde Stücke einlassen und auch das Rahmenprogramm zu schätzen wissen. Insgesamt hat unser Festival, das das zweitgrößte Event für zeitgenössischen Tanz in Bayern ist, weiter Renommee gewonnen.
Die sechs Aufführungen wurden 2024 von 3.200 Gästen besucht. Hinzu kommen noch die Teilnehmer und Besucher des vielfältigen Festival-Rahmenprogramms, zu dem Vorträge, Tanzworkshops, Einführungen vor und Publikumsgespräche nach den Vorstellungen gehören.
Künstlerischer Leiter der Reihe ist von Beginn an Heiner Brummel, der in einem Interview an dieser Stelle über die Faszination Tanz ganz allgemein sagte: „Der Tanz braucht keine Worte. Ob Freud oder Leid, Mut oder Angst, Wirklichkeit oder Traum, er verkörpert unser Innenleben. Je phantasievoller und virtuoser die Bewegungen und Choreographien sind, umso berührender und mitreißender wird der Tanz. Dank der Lebendigkeit und hohen künstlerischen Qualität sollen auch die Festival-Aufführungen zu einem außergewöhnlichen sinnlichen Erlebnis werden.
Gelungen ist dieser Anspruch, sieht man einmal von der Reaktion des Publikums ab, auch inhaltlich allemal. Denn mit dieser Form der kulturellen Präsentation kommt ein völker- und nationenverständigendes Miteinander zum Ausdruck. Hier werden Gräben überbrückt, für Verständnis und Toleranz geworben, magische Momente geschaffen und ein humanistischer Geist gelebt.
Am gestrigen Dienstag beendete nun das Kroatische Nationalballett Rijeka mit „Transparada“ den diesjährigen Festivaljahrgang. Ein passenderer Schlusspunkt wäre kaum vorstellbar. Vier Tanzstücke, zwischen einer halben Stunde und knapp zehn Minuten Länge, brachten all die Facetten des Lebensgefühls Tanz zum Ausdruck und stellten den Körper als kommunikatives Instrument in den Vordergrund.
Temperamentvolle, furiose Inszenierungen, wie „Medium Rare“ von Nadev Zelner standen neben kleinen, poetisch verträumten Studien, wie „Duet Firebird“ von Choreograph Marco Goecke. Wunderbar, mit welchem Humor und welcher Selbstironie sich das kroatische Ensemble in „Table“ dem zeitgenössischen Tanz widmete.
Höhepunkt des Abends war vielleicht mit „Rite Of Spring“ die Choreographie von Masa Kolar, zum Strawinskis Klassiker „Le sacre du printemps“. Ein gewaltiges, explodierendes Stück Musik, über dem sich die Tänzer mit unglaublicher Dynamik zwischen Kontemplation und Kampf, zwischen sensiblen Innehalten und selbstbewusster Kühnheit bewegten. Ein brodelnder Vulkan getanzter Emotionen.
Nach einem solch bewegenden Abend stellt sich wie von selbst die Frage, die wir gern an Norbert Leinweber als Verantwortlichem weitergeben: Mit welchen Gedanken blicken Sie in die Zukunft dieser so großartigen Reihe?
Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir das Veranstaltungsforum mit dem dancefirst-Festival weiterhin alle zwei Jahre zu einem Hotspot der internationalen Tanzszene machen können und uns sowohl das Publikum als auch unsere Förderer und Sponsoren weiter die Treue halten. Ohne Frage zählen die Aufführungen zu den Highlights in unseren Programmkalender.
Jörg Konrad
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Dienstag 16.07.2024
Irene Schweizer (geb. 02. Juni 1941 in Schaffhausen, gest. 16. Juli 2024)
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Zwei Zauberer des Klanges
Das Duo Irene Schweizer und Pierre Favre als glänzender Abschluss des internationalen Jazzherbstes

Dachau. Die Zeiten, in denen ein Teil ihrer Konzerte Stückwerk war, es nicht selten darum ging, alles Konservative in Frage zu stellen, jeden melodischen Ansatz ungefragt über Bord zu werfen, sind endgültig vorbei. Irene Schweizer und Pierre Favre, die Protagonisten aus der Anfangszeit der freien Improvisation, sind gereift, in Würde gealtert. Aus einer Verweigerungshaltung sind greifbare und vor allem hörbare Visionen gewachsen, die heute ihre wunderbaren Blüten tragen.
Der Auftritt des Musikerpaares beendet am Samstag im Café Teufelhart die international besetzte Herbstsaison des jazz e.V. und war überzeugender Abschluss dieser außergewöhnlichen Rihe, die Musiker wie Peter Brötzmann, Ken Vandermark oder den polnischen Trompeter Piotr Wojtasik nach Dachau brachte.
Wie in einem akustischen Panoptikum ließ das Schweizer-Duo die Geschichte des Jazz vorüberziehen. Von den zerrissenen Akkorden des Ragtime, über den sperrigen Thelonious Monk, die zeitlose Klage des Blues, bis zu den multikulturellen Abenteuern Don Cherrys fand fast das ganze historische Spektrum Eingang in den Dialog. Klavier und Schlagzeug wurden zum Träger einer musikalisch faszinierenden Botschaft, dienten als Botenstoffe für emotionalen Ausdruck und intellektuellen Anspruch.
In einem Blindfoldtest des Magazins "Jazz'n More" erzählte Pierre Favre vor gut zwei Jahren, wie sehr er sich zu Beginn seiner Karriere vom Schlagzeugspiel des Amerikakners Philly Joe Jones inspiriert fühlte. Er spricht in diesem Zusammenhang von einem ungewöhnlich direkten, wuchtigen Ton, den Philly Joe trommelte.
Favre ist in der Lage, wuchtig und direkt den Swing als einen Grundrhythmus zu erforschen. Aber er ist dabei kein Timekeeper mit diesen notorischen Break-Allüren. Der Eidgenosse lässt der Snare-Drum, den Tom-Toms, der großen Trommel und all den vielen Becken freien Raum, erzählt auf ihnen unglaublich spannende, ja melodische Geschichten. Als ein rhythmischer Soundmagier spielt er filigran mit dem Klang, lässt kunstvolle Pausen, setzt schnarrende Zeichen oder trommelt einfach ekstatisch. Ein Autodidakt mit scharfem Sinn für musikalische Form.
Irene Schweizer am Klavier dehnt den Augenblick zu einer Ewigkeit, stolpert, scheinbar trunken vor Musik, über die Tastatur, wiederholt einen Akkord zum ersten Mal, erforscht seine Potenz, spielt ihn wieder, demontiert ihn bis zur Unkenntlichkeit, zerlegt das akustische Konstrukt tastend oder hämmernd in seine einzelnen Bestandteile. Am Ende des tönenden Experiments steht der Akkord weder strahlend noch geschliffen im Raum. Die Pianistin ist längst schon wieder weiter, auf der Suche nach neuen Herausforderungen. Es ist wie die fortwährende Analyse des Klaviers und seiner ungezählten abstrakten Möglichkeiten.
Doch Schweizer kann auch unglaublich romantisch spielen, Balladen mit fast kindlicher Naivität sensibel ergründen und die Vergänglichkeit des Augenblicks in ständigem Dialog mit ihrem musikalischem Partner spürbar werden lassen. Dieses Konzert hatte Größe und kommt dem, was der amerikanische Jazzpublizist Francis Davis einmal als ".. die nicht enden wollende Revolution .." nannte, erfreulich nahe.
Jörg Konrad
(Süddeutsche Zeitung / Dachau 24. November 2003)
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Freitag 12.07.2024
Fürstenfeld: Saarländisches Staatsballett - Odyssey
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Fotos: TJ Krebs
Bryan Arias, in Puerto Rico geborener Choreograph, sieht das Leben selbst als eine die Persönlichkeit formende Reise - auf der nicht immer alles wie gewünscht verläuft. Manchmal entspricht der Zielort so gar nicht den Planungen, manchmal verändern große Exkursionen das Wesen der Protagonisten, oft ist der Kurs gespickt mit Richtungswechseln und Abstechern. Wohin gelangt also die Spezies Mensch auf ihrer großen Lebensreise? Arias lässt diese Frage offen.
Mit Homers „Odyssee“ hat das vom Saarländischen Staatsballett umgesetzte Stück dabei nur am Rande zu tun, ebenso wenig mit Stanley Kubricks Sci-Fi Meisterwerk „2001 – Odyssey im Weltraum“. Doch zugleich schöpft der Choreograph bei seiner gewagten Reise durch die Menschheitsgeschichte aus beiden Vorlagen.
Seine in Tanz und Bewegung umgesetzten Fantasien und Befürchtungen die Welt betreffend bleiben in Odyssey ein wenig im Verborgenen. Nicht alles erschließt sich, bleibt auf manchmal auch spektakuläre Weise offen. Das kann man natürlich auch als Vorteil auslegen. Denn auf diese Art vervielfachen sich die Möglichkeiten ganz subjektiver Interpretationen enorm.
Ein wogender Ozean pulsierender Intelligenz und individueller Emotionen spült die Menschheit als Gruppe zu Beginn des Stückes durch Raum und Zeit. Miteinander verkettet, in rauschhaften Bewegungen verfangen, wirbeln die Schicksale von Religionen und Mythen, von Herrschenden und Beherrschten, von Erfindungen und Katastrophen über die Jahrhunderte durcheinander, scheinen widerstandslos getrieben, allein von der Willkür der Natur abhängig.
Das Bühnenbild gleicht einer düsteren Höhle, in schummriges Licht getaucht. Wenig Erhellendes weißt den Weg aus diesen Katakomben.
Menschheitsgeschichte in nur siebzig Minuten darzustellen, ist ein hehres Anliegen. Das sparsame Panorama der gesamten Spezies Menschheit wird auf der Bühne verkörpert, in dem Arias den Papst neben den Raumfahrer platziert, den Griechen neben den Römer, den Fliegeroffizier neben den barocken Edelmann. Dazwischen lustwandelt die Szenerie betrachtend, oft staunend ein bärtiges Wesen, in dem der Zuschauer nicht selten glaubt, sich selbst zu erkennen.
Das wirkt immer wieder plakativ, manchmal aufgesetzt, im Detail nicht immer überzeugend. Es lässt in einigen Sequenzen eine inhaltliche Dramaturgie vermissen, die der tänzerischen Vielfalt und Möglichkeiten des Ensembles gerecht wird und das Stück verbindend zusammenhält. Die durchgehend elektronische Sounduntermalung vermittelt Schmerz als auch Poesie und ist am ehesten in der Lage Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in völlig neuem Licht zu betrachten. Experimentelles Tanztheater, das letztendlich das Publikum begeisterte.
Jörg Konrad
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Autor: Siehe Artikel
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