Was hingegen beide Geschlechter miteinander eint, ist das Dilemma, dass sich Sängerinnen und Sänger immer an ihren instrumentalen Kollegen messen lassen müssen, die sie aber häufig mit einer ordentlichen Portion Emotionalität auszugleichen in der Lage sind. Denn der Gesang, speziell die menschliche Stimme, gehört, neben den Trommeln, zu den ganz frühen Verständigungsmitteln der Menschheit. Sally Placksin, Autorin, Wissenschaftlerin und Journalistin, schrieb einmal über die Wurzeln des Jazzgesangs, „ … die lägen in den Rufen und Rhythmen, den Spirituals und Hymnen, der erdigen Melodik des Blues und den synkopischen Tonfolgen, aus denen die Schwarzen Kraft schöpfen für ihre Hoffnung und ihre Trauer, für ihre Freuden und ihren Kampf ums Überleben.“
Das trifft auch auf Jasmin Bayer zu, obwohl der klassische Überlebenskampf vielleicht nicht unbedingt ihren kontinuierlichen Tagesablauf bestimmt. Doch in ihrer Musik lassen sich all diese Komponenten des Jazzgesangs ausfindig machen, mal in stärkeren Nuancen, mal eher wie beiläufig hingehaucht. Vor allem ist sie sich dieser Wurzeln vollkommen bewusst.
Dieser Tage erschien das vierte Album der in Pforzheim geborenen und heute in München lebenden Jazzeuse. „Poetic License“ beinhaltet unterschiedliche Kompositionen, die in einem Zeitraum von knapp 100 Jahren entstanden sind. Es befinden sich Standards im Repertoire, die zum Klassiker des Genres geworden sind, wie „Embraceable You“ von George und Ira Gershwin, oder „Strangers In The Night“, die Frank Sinatra Hymne aus der Feder des deutschen Bert Kaempfert.
James Bond-Fan ist Jasmin Bayer vielleicht auch, denn immerhin hat sie drei Titelsongs aus dieser glanzvollen Agentenreihe im Programm. Hinzu kommt „Rise Like A Phoenix“, mit dem der Österreicher Thomas Neuwirth alias Conchita Wurst den Eurovision Song Contest 2014 gewonnen hat. Und natürlich hat die Sängerin auch einige eigene Kompositionen im Gepäck, ausschließlich geschrieben und getextet in Zusammenarbeit mit ihrem Pianisten Davide Roberts.
Jasmin Bayer bringt auf „Poetic License“ die verschiedenen Ausgangssituationen der Songs und deren unterschiedliche Stimmungen nuanciert zusammen. Trotz der interpretatorischen Dynamik, das Spektrum reicht von treibenden, temperamentvollem Songwriting, bis hin zur poetischen Balladenkunst, fällt die Balance auf, die das Album insgesamt ausstrahlt und wunderbar zusammenhält. Es ist Jazz, mit einer Prise Popappeal, deren Melodien sofort ins Ohr und deren Rhythmen in die Beine zielen. Jasmin Bayer hält diese Eckpfeiler und Ausgangspunkte stimmlich zusammen, gibt ihnen einen sehr individuellen Bezug – ohne alle exaltierte Allüren.
Jasmin Bayers Band agiert zurückhaltend. Sie gibt ihr Halt und Inspiration, begleitet voller Empathie und schafft musikalisch verbindliche Stimmungen. Mit dem Münchner Trompeter Florian Brandl besitzt das Quartet einen außergewöhnlichen Solisten, dessen Spiel die Songs wie zusätzliche Gesangslinien umweben, der ebenso emotional, wie auch abgeklärt agiert.
Jörg Konrad
Jasmin Bayer
„Poetic License“
Timezone
„Poetic License“
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