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1. Alice Zawadzki / Fred Thomas / Misha Mullov-Abbado „Za Gorami“
2. Jakob Karlzon „Winter Stories“
3. Avishai Cohen „Ashes To Gold“
4. Younee „Improvisations – Live In Germany“
5. Hans-Joachim Roedelius „90“
6. Svaneborg Kardyb „Superkilen“
Freitag 08.11.2024
Alice Zawadzki / Fred Thomas / Misha Mullov-Abbado „Za Gorami“
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Vor sieben Jahren wurde die amerikanisch-polnische Sängerin, Violinistin, Improvisatorin und Komponistin Alice Zawadzki von den Machern des südenglischen Bath International Music Festival beauftragt, ein Trio zu gründen. Ihre Wahl fiel auf den Pianisten, Komponisten und Improvisator Fred Thomas, sowie den in Jazz und Klassik gleichermaßen bewanderten Bassisten Misha Mullov-Abbado. Die Chemie zwischen allen drei war von Beginn an außergewöhnlich und bildete damit die Grundlage für ein weiteres gemeinsames musizieren.
Mit „Za Gorami“ hat das Trio im Sommer letzten Jahres in der Schweiz sein Debüt aufgenommen, wodurch diese im Laufe der Jahre gereifte Zusammenarbeit erstmals auch auf Tonträger dokumentiert ist. Es ist ein stilles wie ergreifendes Debüt, ein Album voller symbolischer Querverweise, mit Klängen von raffinierter Beiläufigkeit, das seine Energie und Intensität aus einem unerschütterlich scheinenden Miteinander zieht.
Man spürt auf „Za Gorami“ die ungeheure musikalische Erfahrung seiner Protagonisten. Ihr Repertoire setzt sich aus Impressionen und Zitaten argentinischer und französischer Folklore zusammen, es finden sich zahlreiche Verweise auf die sephardische Kultur und deren Lieder in ladinischer Sprache. Zugleich spürt man die große Nähe zur Kammermusik und zu sensibler Improvisationskunst.
Alles durchläuft bei diesem Trio einem sich gegenseitig ergänzenden individuellen Filterungsprozess, der statt Fülle oder Vielfalt letztendlich einträchtige Musik präsentiert.
Stile, Regionen, Charaktere verschmelzen mit- und ineinander, beinhalten Wehmut, Würde und Vergänglichkeit. Musik mit Authentizität und Identität.
Jörg Konrad

Alice Zawadzki / Fred Thomas / Misha Mullov-Abbado
„Za Gorami“
ECM
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Mittwoch 06.11.2024
Jakob Karlzon „Winter Stories“
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Für Weihnachtslieder mag es dem einen oder anderen doch noch etwas früh erscheinen. Trotzdem hat sich Jakob Karlzon mit seinen „Winter Stories“ dem jährlichen Lichterfest stark genähert. „Ich wollte eine Balance finden“, sagt er, „es sollte kein konventionelles Weihnachtsalbum werden, sondern eher ein Winteralbum.
Trotzdem scheint es für Songs wie „The First Noel“ und natürlich den Klassiker „Silent Night“ noch etwas früh. Lässt man diese weihnachtlichen Gassenhauer mal aus dem Spiel, ist dieses Soloalbum eine sehr entspannte, atmosphärisch stimmungsvolle Produktion geworden.
Wer die bei Jakob Karlzon gewohnt zupackenden Momente, die „Gitarrenriffs auf dem Klavier“, sucht, wird kaum fündig.
Vor gut zehn Jahren äußerte sich der Pianist einmal wie folgt: „Ich habe als Kind und Jugendlicher schon viel Metal und Electro gehört. Auch wenn die Musik selbst eigentlich nichts für Pianisten ist - aber die transportierte Energie, die ist es schon!“ Dementsprechend hatte er auch immer wieder Intensivsongs im Trioformat wie „Dirty“ oder „Here To Stay“, letzterer ist ein Song der kalifornischen Metal-Band Korn, im Programm. Im von Brüchen und perlenden Läufen durchzogenem Spiel vereinte der Pianist Pop, Rock und Swing. Karlzon hatte den Mut, mit einfachen Mitteln große Wirkung zu erzielen.
Natürlich hat jeder Künstler das Recht auf Veränderung. Nur sollte man der Gefahr einer Entwicklung hin zur Beliebig- und Unverbindlichkeit begegnen. Warten wir also voller Optimismus auf das kommende Frühjahr, oder auch auf den kommenden Sommer und hören, wohin uns die musikalische Reise des großen Jakob Karlzon führt.
Jörg Konrad

Jakob Karlzon
„Winter Stories“
Warner
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Dienstag 05.11.2024
Avishai Cohen „Ashes To Gold“
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Diese Musik ist das Ergebnis seelischen Aufbegehrens und innerer Zerissenheit. Man hört dem neuen Album von Avishai Cohen eine gewisse Dramatik an, man spürt Melancholie und Beunruhigung, Schmerz und Verzweiflung. Der israelische Trompeter, der hier auch berückende Atmosphären auf der Flöte schafft, verarbeitet mit seinen Landsleuten Trauma und Verzweiflung. So wechselt „Ashes To Gold“ zwischen tragischer Poesie und trotziger Zuversicht. Die Musik pulsiert, sie brodelt vor Schwermut und nimmt in manchen Sequenzen den Atem. Es ist ein Anspielen gegen Pessimismus und Furcht. Die Art von Bewältigungsstrategie, die Musikern nun einmal zur Verfügung stehen.
Avishai Cohen ging im Herbst letzten Jahres nach Tel Aviv, um im vertrauten Umfeld für ein kommendes Album neue Kompositionen zu schreiben. In Israel erlebte er die unvorstellbaren Massaker des 7. Oktober. „Ich konnte nichts schreiben“, erzählte Cohen später. „Ich konnte die Trompete nicht anfassen. Anfang November sagte ich Yonathan [seinem Pianisten Yonathan Avishai], dass ich die Tour und die Aufnahme absagen müsse, aber er sagte ‚Nein. Wir müssen hingehen und Musik machen.‘ Die Art, wie er es sagte, war kraftvoll. Ich wusste, dass er recht hatte.
Die Hauptteile der Suite „Ashes To Gold“, benannt nach der alten japanischen Kunst des Kintsugi, bei der es um das fragmentarische Zusammensetzen von zersplitterter Keramik geht, entstand großteils innerhalb nur eines Monats „ …. mitten im Wahnsinn des Krieges. Mit Raketen, die über meinen Kopf flogen, Alarmen und Sirenen, die losgingen und so weiter.“ Später, auf Tour, vervollständigte Cohen diese Suite, die letztendlich Stimmungen und Atmosphären, Wut und Verzweiflung zum Ausdruck bringen. Und trotzdem ist letztendlich eine stolze, eine erhabene Musik entstanden, Klänge, die trotz aller Niedergeschlagenheit Hoffnung machen. Auch, weil sie sich keiner Sprachlosigkeit hingeben, sondern stattdessen die unsagbare Trauer gefühlsbetont verarbeiten und ausdrucksvolles Klima von gelebtem Leid schaffen.
Das Quartett, zu dem neben Cohen und Avishai noch Barak Mori am Bass und Schlagzeuger Ziv Ravitz gehören, hat dieses Album mit einer wunderbaren Interpretation des Adagio assai aus Maurice Ravels Klavierkonzert in G-Dur und der Komposition „The Seventh“ vervollständigt. So begegnen sich auf „Ashes To Gold“ Schwermut und Entschlossenheit, Ratlosigkeit und Zuversicht
auf Augenhöhe und berühren tief.
Jörg Konrad

Avishai Cohen
„Ashes To Gold“
ECM
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Autor: Siehe Artikel
Montag 04.11.2024
Younee „Improvisations – Live In Germany“
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Ihre Konzerte sind das reinste musikalische Abenteuer. Gekennzeichnet von Temperament, Virtuosität und Poesie, bewegen sich Younees Auftritte in einem Zwischenreich von strenger und diszipliniert vorgetragener Klassik und einer zugleich überbordenden, charismatischen Spontanität. Younee, die südkoreanische Pianistin, Sängerin und Komponistin verließ 2008 mit nur 23 Jahren klassisch ausgebildet ihre Heimat und zog nach London. Seit 2013 wohnt sie in Würzburg. Hier hat sie (vorerst) ihren Lebensmittelpunkt gefunden, in welchem sie all die bisherigen so unterschiedlichen und prägenden Einflüsse, Gegebenheiten und Situationen verarbeitet. Und Younee wäre keine ernst zu nehmende Künstlerin, wenn von diesen Erkenntnissen nicht auch ihre Arbeit maßgeblich beeinflusst wäre.
Das Ergebnis dieses Assimilationsprozesses ist auf Younees drittem Album „Improvisations – Live In Germany“ besonders spürbar. Zwanzig Improvisationen präsentiert die Pianistin, in denen sie Stimmungen und Befindlichkeiten ausdrückt, die neben ihrer spieltechnischen Fertigkeit eine tief berührende Sensibilität offenbaren (einige Titel improvisiert Younee aus dem Stegreif, nach Zuruf aus dem Publikum, wie „Frühling“ oder „Cuba“).
Aber sie hat auch Beethoven-Zitate im Gepäck, referiert musikalisch in Ingolstadt über den Vollmond, in St. Wendel über die Beziehung zwischen Korea und Johann Sebastian Bach und nennt eine Improvisation in der Münchner Unterfahrt schlicht „Unterfahrt“.
Alles was Younee spielt reicht weit über den „Jazzalltag“ hinaus. Es sind mutige, glänzende Ideen, die sie umsetzt, aneinanderreiht.
Beschwörend, fast grollend schlägt sie in die Tastatur. Das Temperament ihrer Jugend bricht sich zeitweise Bahn. Am liebsten alle Riten über Bord werfen. Dann wieder klingt sie zart und verletzlich, hinterfragt, fast verzagt, die stillen Momente des Lebens. Wie gesagt – Ihre Konzerte sind das reinste Abenteuer und „Improvisations – Live In Germany“ macht einfach Appetit auf mehr.
Jörg Konrad

Younee
„Improvisations – Live In Germany“
Membran
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Autor: Siehe Artikel
Mittwoch 30.10.2024
Hans-Joachim Roedelius „90“
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Eines der letzten Alben von Hans-Joachim Roedelius trägt den bezeichnenden wie passenden Titel: „Einfluss“ (DGG). Denn kaum ein anderer Instrumentalist aus Deutschland hat die Musik der letzten fünf Jahrzehnte derart geformt und eben auch beeinflusst, wie der am 26. Oktober 1934 in Berlin geborene Experimental-, Ambient- und Elektronikmusiker, der Pianist, Komponist und Improvisator Roedelius. Ohne ihn kein Kraftwerk, kein Tangerine Dream, kein Ambient, kein Techno. Seine Musik begeistert bis heute Brian Eno, die Einstürzenden Neubauten und die Red Hot Chilly Peppers und auch David Bowie war ein großer Fan dieses kreativen Unruhegeistes.
Dessen Biographie liest sich wie die moderne Abenteuergeschichte eines Menschen auf der Suche nach der eigenen Bestimmung. "Erst" seit den 1960er Jahren steht bei ihm die Musik im Mittelpunkt. Zuvor war er Kinderdarsteller in Ufa-Filmen, hat im Steinkohlebergbau gearbeitet, war noch in der DDR inhaftiert, weil er dort den Wehrdienst verweigerte, hatte nach seiner Flucht in den Westen eine Anstellung als Masseur im Pariser Elyseepalast, arbeitete als Sterbebegleiter, Eisverkäufer, Babysitter in der Kommune 1 in Westberlin. Krieg, Flucht, Gefängnis haben ihm besonders zugesetzt. Und so wundert es nicht, dass Hans-Joachim Roedelius in einem Interview des Tagesspiegel 2018 auf die Frage, ob seine Musik der Gegenpol zu den Widrigkeiten seines Lebens sei antwortete: „Ich habe so ein großes Bedürfnis nach Balance. Ich bin einfach ein unverbesserlicher Romantiker. Nur Kunst und Wissenschaft können die Welt vor dem Chaos retten.“ Ein unbeugsamer Optimist.
Dass ein Musiker heutzutage seinen 90. Geburtstag begeht, ist an sich schon eine Seltenheit. Dass dieser aber noch immer beeindruckende Aufnahmen einspielt und Live auftritt, scheint unglaubhaft. Doch zu seinem Jubiläum erschien dieser Tage die CD- bzw. eine LP-Box "90" mit bisher unveröffentlichtem Materiel von ihm. Ein Großteil dieser Aufnahmen stammt von den legendären 2-Spur-Revox-Bändern, sind eingespielt auf Roedelius Farfisa-Orgel und auf verschiedenen Piano, bearbeitet mit seinem Echolette-Bandverzögerungsgerät. Es handelt sich um tief berührende Klanginstallationen, impressionistische Klaviermotive, tönende Landscapes in knurrender Schönheit die Schneisen in die Soundgezeiten fräsen. Roedelius verpasst den Tönen Farben, veredelt andersherum Farben zu Tönen. Es gibt stilistische Unschärfen und fragmentarische melodischen Ansätze. Letztendlich werden keine klanglichen Höhepunkte angestrebt, sondern eine Balance zwischen Raum und Zeit geschaffen.
Unglaublich aber wahr: Am 26. November 2024 wird Hans Joachim Roedelius, der von der Chicago Tribune als „bestgehütetes Geheimnis der Musik des 20. Jahrhunderts“ betitelt wurde, live in den Münchner Kammerspielen gastieren.
Jörg Konrad
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Autor: Siehe Artikel
Dienstag 29.10.2024
Svaneborg Kardyb „Superkilen“
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Jazz im eigentlich Sinn spielt das Duo Svaneborg Kardyb eigentlich nicht. Trotzdem sind die beiden Musiker fester Bestandteil der dänischen Jazz-Szene. Wahrscheinlich weil sich der Keyboardspieler Nikolaj Svaneborg und der Schlagzeuger Jonas Kardyb eine Freiheit bei der Verarbeitung unterschiedlicher Stile herausnehmen, die man am ehesten bei Jazzmusikern findet.
So nutzen beide die musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten von melodischem Minimalismus, eingängigen und treibenden Grooves, feinen elektronischen Vibes, Zitate aus der europäischen Klassik und brillanten, subtilen Improvisationen. Gleichzeitig finden sich in ihrer Musik immer wieder nordische Motive, angelehnt an skandinavische Volksmusik und einen weiträumigen, Landschaftsbilder entwerfenden Sound.
Der Titel „Superkilen“, zu deutsch „Superkeil“, ist der Name eines Parks in Kopenhagen, der, im ethnisch vielfältigen Stadtteil Nørrebro gelegen, von Künstlern genutzt wird, um unterschiedliche Denk- und Verhaltensweisen von Migranten und Einheimischen verständlich zu machen. Das Studio, welches Nikolaj Svaneborg betreibt, liegt gleich neben dieser städtischen Begegnungsstätte, so dass die hier stattfindenden Aktionen und Planungen indirekt auch das Leben beider Musiker beeinflussen. So entwickeln sich seit gut zehn Jahren, so lange existieren Svaneborg Kardyb, unerwartete musikalische Formulierungen, finden poetische Perkussionsmuster und exotische Harmonien zusammen. Alles bewegt sich dabei in einem ruhigen Fluss, findet beseelte Selbstverständlichkeiten, weitab aller Schöngeisterei. Das Faszinierende entsteht aufgrund der Ambivalenzen von Ideen und bringt die Musik eloquent zum Schweben.
(Svaneborg Kardyb sind am 16. November im Bergson Kunstkraftwerk in München zu Gast)
Jörg Konrad

Svaneborg Kardyb
„Superkilen“
Gondwana
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Autor: Siehe Artikel
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