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Sonntag 17.11.2024
Olching: Shunske Sato und Shuann Chai – Einer der Höhepunkte des Jahres
Olching. Beethoven schrieb seine Violinsonate Nr. 9 (Op. 47) im Frühjahr 1803. Eigentlich widmete er diese Komposition dem Geiger George Augustus Polgreen Bridgetower, dem Sohn eines afrokaribischen Vaters und einer europäischen Mutter, der sich um diese Zeit in Wien aufhielt und häufig mit dem Komponisten zusammen traf. Beethoven war von dessen Musikalität und Virtuosität völlig begeistert. Als das Stück dann 1805 erschien, eignete er es jedoch, aufgrund persönlicher Differenzen mit Bridgetower, dem französischen Geigenvirtuosen Rodolphe Kreutzer zu, der in jener Zeit als Soloviolinist an der Großen Oper Paris und in der Privatkapelle Napoleons auftrat. Nach Aussage von Hector Berlioz soll der Geiger das Werk jedoch nie gespielt haben. Im Gegenteil, er habe sich, laut Berlioz, recht abfällig über diese Komposition geäußert.
Überhaupt hatte Beethoven in jenen Jahren mit seinen Sonaten keinen großen öffentlichen Erfolg. So sprach die Leipziger Allgemeine musikalische Zeitung aufgrund des umfangreichen Kopfsatzes und der spieltechnischen Schwere des Stückes gar von einem „ästhetischen oder artistischen Terrorismus“. Der russische Autor Leo Tolstoi hingegen nutzte die Komposition 1889 als Grundlage für seine Novelle „Kreutzersonate“.
Der Vortrag dieser außergewöhnlichen Sonate durch die Pianistin Shuann Chai und den Geiger Shunske Sato am heutigen Sonntag zur 11-11 Matinee im Olchinger KOM darf wohl als einer der Höhepunkte des Jahresprogramms 2024 im Hause eingeschätzt werden. Ein Duo, dass in seiner professionellen wie leidenschaftlichen Herangehensweise an die Beethovenvorgaben Maßstäbe setzt. Das beinahe blinde Zusammenspiel der beiden prägte die temperamentvolle Dynamik der Komposition. Ein faszinierender Dialog, der die musikalischen Kontraste des Stückes herausarbeitete, ohne die Interpretation auf Augenhöhe zu vernachlässigen. Die Präzision der beiden Solisten im Umgang mit dem Material, die anregende Phrasierung in den einzelnen Sätzen vermittelte etwas Rauschhaftes, etwas pulsierend Vitales, denen das Publikum mit großer Begeisterung folgte.
Doch zuvor widmeten sich Shuann Chai, die am Hammerflügel spielte, welcher ihr vom Greifenberger Institut für Musikinstrumentenkunde zu Verfügung gestellt wurde und Shunske Sato einer anderen Beethoven Komposition, der Sonate Nr. 6 (Opus 30), einem Stück, das ungefähr zur gleichen Zeit entstand wie die Kreutzersonate. Beethoven hielt sich zu dieser Zeit in Wien auf und es begann, trotz seinem beginnenden tragischen Hörleiden, hier die vielleicht produktivste Phase seines Schaffens. Gleichzeitig ist sein Gemütszustand, nicht zuletzt durch die ihn beeinträchtigende Qual, in jener Zeit arg gedrückt, was in seinem „Heiligenstädter Testament“ zum Ausdruck kommt.
Beethoven widmete diese Komposition dem jungen Zaren Alexander I., der als Gegenspieler Napoleons galt, mit dem der Komponist einst sympathisierte. Insofern ist diese Sonate auch ein Ausdruck der eigenen politischen Positionierung Beethovens.
Trotzdem ist diesem Stück ein lyrischer Grundgedanke zu eigen, sind die einzelnen Sätze leicht verspielt, manchmal fast heiter geraten. Dies ist eben auch Ausdruck des Übergangs innerhalb der Kompositionsarbeit Beethovens, vom „Leichten, Alltäglichen“ hin zum dramaturgisch Herausfordernden.
Shunske Sato und Shuann Chai fanden einen wie es schien leichten, oder sagen wir besser harmonisch nuancierten Zugang. Sie spielten mit Noblesse und inspirierender Eleganz, bewegten sich angemessen zwischen der erforderlichen metrischen Strenge und einem brillanten lebendigen Austausch.
Jörg Konrad
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Freitag 15.11.2024
Landsberg: Eric Bibb – Solistischer Zeremonienmeister
Foto: Luke Rhys Melvin
Landsberg. Endlich Blues – möchte man rufen! Dabei ist es (fast) egal, ob Country-, Chicago-, Delta- oder Memphis Blues. Denn Blues gehört ganz allgemein zu den Roots; ohne ihn kein Jazz, kein Rock'n Roll – wahrscheinlich auch kein Pop. Zumindest würde dieser heute völlig anders klingen.
Eric Bibb, 1951 in New York geboren und heute in Schweden lebend, verkörpert als Musiker all das, was den Blues authentisch macht und zugleich dessen Richtungen, in die er sich im Laufe der Jahrzehnte entwickelt hat. Bibb war am Donnerstag in Landsberg und flutete mit seinen überwiegend zwölf Takten, mit seinem Folk, seinem Gospel und seinem Songwriting das Stadttheater. Dabei verkörperte er bei weitem nicht das nörgelnde Raubein, den leiderfahrenen, von der Last des Lebens geschundenen Outlaw. Er scheint eher ein gemäßigter Vertreter seiner Zunft, der jedoch all die Erfahrungen, die Musikalität und auch den Nachdruck und die Intensität musikalisch im Gepäck hat. Vielleicht also ein nordamerikanischer Volkssänger, der in seiner ganzen Breite das verkörpert, was die populäre Musik bis heute ausmacht und der als kultureller Botschafter hinaus in die Welt zieht, um seine Geschichten zu erzählen. Und die haben es in sich, schließlich ist seine Biographie, mit all den Realitäten und Visionen Ausgangspunkt für seine außergewöhnlichen musikalischen Reisen.
Bibb hat berühmte Vorfahren, die ihn in ihrer ganzen Leidenschaft und Kreativität geprägt haben. Da wäre sein Vater, ein Kämpfer für Gerechtigkeit, ein Vertrauter Martin Luther Kings, selbst Schauspieler und zumindest damals bekannter (Broadway-) Sänger. Bei ihm zu Hause gingen die Koryphäen des Folk und Blues, wie Bob Dylan, der heute fast vergessene Richie Havens, Pete Seeger oder Taj Mahal ein und aus. Sein Onkel ist kein geringerer als John Lewis, Pianist und Mitbegründer des legendären Modern Jazz Quartet, Wegbereiter des Third Stream, Komponist etlicher Jazz-Standards und natürlich über Jahre Sideman von Miles Davis. Was blieb Eric anderes übrig, als selbst (engagierter) Musiker zu werden!
In Landsberg präsentierte er Originale aus der eigenen Feder und Klassiker des Blues, zitierte den unvergleichlichen Leadbelly und die ihm sehr vertraute Odetta. Seine Stimme ist im Vortrag fest, klar und überzeugend, er ist ein ausgezeichneter Fingerpicker und wirkt mit seinem Instrument auf der großen Bühne, wie der eigne solistische Zeremonienmeister. Treibende Blues-Grooves, luftige Folkmotive, harsch angerissene Gitarrensaiten – bei ihm bewegt sich alles zwischen Tradition und Moderne. Und wenn dann zum Ende des ereignisreichen Abends auch seine Ehefrau Ulrika Bibb mit auf der Bühne sitzt und Eric mit ihrer wunderbaren Stimme unterstützt, ist beim Publikum kein Halten mehr.
Übrigens hat Eric Bibb auf seinem letzten Album „In The Real World“ ein Duo mit der britischen Schauspielerin Lily James eingespielt („Victory Voices“), die momentan im nahegelegenen Penzing mit Pierce Brosnan an „Cliffhanger 2“ arbeitet. Sie ließ es sich nicht nehmen das Konzert des Predigers gegen strukturellen Rassismus und Ungerechtigkeit und für Gerechtigkeit und Menschlichkeit in Landsberg zu besuchen.
Jörg Konrad
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Montag 11.11.2024
Landsberg: Dieter Ilg Trio - Nun auch Ravel
Foto: Till Brönner
Landsberg. Er hatte, wenn auch nicht alle, so doch schon viele der großen Klassiker im Repertoire: Bach, Beethoven, Wagner, Verdi – und nun auch Ravel. Dieter Ilg, der Bassist, beschäftigte sich für sein neues Projekt konzentriert mit dem französischen Impressionisten. Vielleicht fällt es bei ihm auch am leichtesten einen Bezug zum Jazz herzustellen, denn Ravel (1875-1937) ließ sich in seiner Kompositionsarbeit stark von Jazz und Blues beeinflussen und war zudem mit George Gershwin befreundet. Als Gershwin gar bei Ravel Unterricht nehmen wollte, soll dieser gesagt haben: „Warum wollen Sie ein zweitklassiger Ravel werden, wo Sie doch ein erstklassiger Gershwin sind?“
Nun präsentierte am Sonntagabend das Dieter Ilg Trio seinen musikalischen Bezug zu dem Franzosen live im Landsberger Stadttheater. Dass sich Jazzmusiker intensiv mit klassischen Komponisten auseinandersetzen, ist nicht neu. Doch Dieter Ilg, Rainer Böhm am Klavier und Schlagzeuger Patrice Heral gehen völlig andere Wege, als zum Beispiel Jaques Loussier mit seinen Bach-Projekten, oder der turbulent swingende Eugen Cicero, der Anfang der 1970er Jahre Tschaikowsky und Liszt verjazzte.
Die Vertonungen durch das Ilg-Trio klingen modern, sie gehen über die swingende Grundierung und improvisatorische Geläufigkeit der beiden Vorgänger hinaus. Ilgs Musik, durchweg auf originalen Ravel-Kompositionen fußend, wirkt dramaturgisch vielschichtig, spannungsreich, substanziell und vor allem befinden sich alle drei Musiker während des gesamten Konzerts instrumental auf Augenhöhe. Diese Musik atmet, pulsiert, bewegt sich zum Teil auch weit entfernt von den Vorgaben. Ihre Artikulationsskala scheint unerschöpflich, ob lyrisch, temperamentvoll, kontemplativ oder leidenschaftlich motorisch – das Trio befand sich in einem ständigen interpretatorischen Schöpfungsprozess.
Exemplarisch die Abstrahierung der wohl bekanntesten Ravel-Komposition, dem „Bolero“, über die dessen Schöpfer selbst einmal sagte, es sei ein „reines Orchesterstück ohne Musik“. Dem Trio ging es am Sonntag weniger um das stete Anschwellen, das sich steigernde Crescendo als Merkmal. Die drei Musiker zerpflückten das Stück, bearbeiteten individuell den Marschrhythmus, das Thema und die Harmonien, versetzten und verschoben alles, wie in einem Puzzle, fanden zueinander, entfernten sich wieder voneinander – ohne die tonale Kommunikationsbasis zu verlieren. Nichts diente hier einem ästhetischen Selbstzweck. Rainer Böhm beeindruckte am Klavier besonders durch seine Intensitätsschübe, seine raffiniert fließenden Improvisationen, aber auch durch einen lyrischen Gestus. Der aus Montpellier stammende Schlagzeuger Patrice Heral ist auch ein Klangzauberer, der mit Schlegeln, Besen, Sticks, oder ganz einfach mit dem Hand Drumming immer neue (rhythmische) Farben entwarf. Grundiert wurde alles professionell, cool und brodelnd von Dieter Ilg, der mit seinem Instrument Freiräume aufriss, die von seinen beiden Mitmusikern essentiell und innovativ gefüllt wurden.
Jörg Konrad
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Foto Sarah Maria Sun: Thomas Schloemann
Samstag 09.11.2024
Landsberg: Silence Is Golden
Landsberg. Was haben „Le rire Physiologique“ von Georges Aperghis, Gustav Mahlers „Rheinlegendchen“ und George und Ira Gershwins „The Man I Love“ gemein? Es sind allesamt Liebeslieder, die teilweise mit einem leichten Augenzwinkern die Magie und weltliche Verlorenheit des Verliebtseins im Allgemeinen im Blick haben und den „Beziehungsstress“ derartiger Romanzen im Besonderen thematisieren. Sarah Maria Sun (Gesang), Kilian Herold (Klarinette) und Jan Philip Schulze (Klavier) haben sich ein aufreizendes Programm unter dem flachsigen Titel „Silence Is Golden“ erarbeitet, das abwechslungsreich, harsch und zugleich wunderschön, herausfordernd bis provozierend, manchmal gar bizarr die Klassik und deren Randgebiete durchforstet. Und die drei sind fündig geworden, tasteten sich beim Landsberger Rathauskonzert am Freitagabend mit Schuberts „Der Hirt auf dem Felsen“ langsam an das Publikum heran, um nach dem maniriert interpretierten Jazzstandard „The Man I Love“ in Kabarett-Songs von Benjamin Britten zu landen und mit Bernstein-Kompositionen die Leichtigkeit von Broadway-Melodien zu unterstreichen
Nach der Pause wurde es ernst – mit noch mehr Humor, mit Slapstick und Hysterie, mit Spontanität und Energie und vollem Körpereinsatz. Speziell „Le rire physiologique“ (1982) von Georges Aperghis, einem theatralisch in Szene gesetzten Sketch über die unterschiedlichen Variationen des Lachens, und György Ligetis „Mysteries of the grand macabre“ (Ligeti hatte dieses absurde Theaterstück mit seinen drei Arien selbst als Anti-Oper bezeichnet) leben vom Temperament, vom vocalen und instrumentalen Ausdruck der Ausführenden, auch vom Mut, was diese Repertoirezusammenstellung betrifft. Denn Walzer-Glückseligkeit, neben vocalen Staccato-Attacken, schnalzende, kehlige Laute neben wunderschönen Klarinettenmotiven – das will erst einmal selbstbewusst über die Bühne gebracht werden. Alles zusammen klang wie ein großer aufregender Baukasten, randvoll mit Traditionen und Visionen, mit Interaktionen und dramaturgischer Lust. Auf diese Weise bricht man allzu Konservatives mit Leidenschaft auf und zeigt damit neue Wege in der Klassik. Und das alles zur großen Begeisterung des Publikums. Besser geht’s nicht!
Jörg Konrad
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Samstag 26.10.2024
Germering: Anke Helfrich Trio – Engagierter Jazz
Germering. Das Klaviertrio ist eine der beliebtesten Besetzungen im Jazz. Etabliert haben dieses Format Erroll Garner und Bud Powell Ende der 1940er Jahre, gefolgt von Ahmad Jamal, die zwar jeweils völlig unterschiedliche Persönlichkeiten waren, aber sich doch besonders in dieser Gruppierung kreativ und abenteuerlustig zeigten.
Heute sind die jährlichen Album-Veröffentlichungen in dieser Besetzung kaum noch zu zählen. Was jedoch nicht bedeutet, das Thema wäre ausgereizt, oder es gäbe diesbezüglich musikalisch nichts Neues mehr zu sagen resp. zu spielen.
Auch die deutsche Pianistin Anke Helfrich favorisiert das Klavier-Trio, zu dem sie aber hin und wieder Gastsolisten einlädt. Ihre letzte Produktion, „We'll Rise“ von 2023 sprengte jedoch den rein musikalischen Rahmen, in dem sich die in Namibia aufgewachsene Musikerin in zehn Songs auf Künstlerinnen und Aktivistinnen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen bezog. Mit diesem Programm gastierte das Anke Helfrich Trio am Freitagabend in der Reihe Jazz It in der Germeringer Stadthalle. Und es war ein furioses Konzert, das den Jazz in den unterschiedlichsten Schattierung präsentierte.
Eine der großen Favoriten der Pianistin ist Thelonious Monk, dieses geniale, sich zwischen Exzentrik und pianistischer Tektonik bewegende Genie am Instrument. Wichtigen Frauen an Monks Seite ist zum Beispiel das Stück „The Nell-Nica“ gewidmet, einer Zusammenstellung aus den Namen seiner Ehefrau Nellie Smith und der Jazz-Mäzenin Pannonica (genannt Nica) de Koenigswarter. Andere Kompositionen ehren die Malerin Frida Carlo („Prologue: Colors of Frida“), die britische Forscherin Rosalind Franklin, die australische Ausnahmesportlerin Cathy Freeman („’Cos I’m Free“) oder die Pianistin Geri Allen („Time Will Tell“). Eine engagiertes Herangehen, nicht nur was den musikalischen Aspekt Anke Helfrichs betrifft, sondern auch die Sichtbarmachung einer gesellschaftlichen Eigenart besonders der Vergangenheit, die enormen Leistungen von Frauen nicht entsprechend zu würdigen.
Die Musik des Trios bewegt sich natürlich auf den Spuren eines kantigen Thelonious Monk, der für Anke Helfrich eine Art Hausheiliger ist. Zugleich swingt aber das Trio unglaublich gelenkig, finden die langjährigen musikalischen Partner Dietmar Fuhr (Bass) und Jens Düppe (Schlagzeug) fast im Blindflug zueinander. Alles an diesem Abend scheint einem überzeugenden Gedanken des Teamplays geschuldet – selbst die einzelnen Solopassagen wären ohne die Vorlagen und Beiträge der Mitspielerin und des Mitspielers kaum vorstellbar. Manches gelingt in diesem Zusammenspiel schmerzhaft schön, anderes beeindruckt aufgrund der blitzschnellen Wechsel und eigenwilligen Struktur der Kompositionen. Es wird verschoben und verdichtet, am Tempo geschraubt und der Gruppendynamik viel Raum gelassen. Letztendlich bleibt ein Musikabend, der insgesamt reines Vergnügen war – für Kopf und Bauch.
Jörg Konrad
Das neue Programm der Germeringer Reihe Jazz It für 2025 steht. Die Termine:
24. Januar 2025: Marialy Pacheco (Klavier)
21. März 2025: Markus Harm Group
06. Juni 2025: Peter Gall Quintet
19. September 2025: Scott Hamilton & Friends
28. November 2025: Libor Smoldas NYC Trio (mit Jay Anderson, bass & Adam Nussbaum, drums)
Autor: Siehe Artikel
Donnerstag 24.10.2024
München: Anja Lechner Solo – Fest der Poesie
Fotos: TJ Krebs
Himmelfahrtskirche. Es ist knapp zehn Jahre her, da antwortete
Anja Lechner in einem Interview des „Alpenfeuilleton“ auf die Frage, wie sie den Grad der Freiheit in ihrem Spiel beschreiben würde: „
Man kann die richtigen Noten auch „richtig“ falsch spielen, wenn man zum Beispiel zu wenig über die verschiedenen Epochen Bescheid weiß und keine Unterschiede in der Artikulation und Phrasierung im Ausdruck macht.“ Und an anderer Stelle zum gleichen Thema: „
Musik ist Musik, Kategorien existieren für mich persönlich nicht.“
Am Mittwoch gastierte Anja Lechner an jenem Ort, an dem auch ihr letztes Album „Bach Abel Hume“ (ECM) eingespielt wurde: Der
Himmelfahrtskirche in
München Sendling. Und sie spielte virtuos im Sinne von ausdrucksstark, kraftvoll und vital und dabei doch immens sinnlich, sie schuf in wunderbarer Akustik Klangbilder, die tief berührten, und doch auch fröhliche Miniaturen beinhalteten. Ihre Interpretationen von
Johann Sebastian Bach (1685-1750),
Tobias Hume (1579-1645) und
Carl Friedrich Abel (1723-1787) - eine unwiderstehliche Mischung aus Kraft, Geschmeidigkeit, Melancholie und beeindruckendem Einfühlungsvermögen.
Das Besondere an Anja Lechner ist, dass sie den kompositorischen Vorgaben, so unterschiedlich diese sich schon aufgrund ihrer Entstehung und der Biographien ihrer Verfasser darstellen, auf Augenhöhe begegnet. Egal welche Stimmungsbilder die Musik erfordert, ob dramatisch temperamentvoll, tänzerisch leicht oder einfach nur verspielt, die Cellistin wird den Vorgaben respektvoll und feinsinnig gerecht. Aufgrund ihres zu Beginn formulierten Standpunktes erschließt sich bei ihr die Musik wie selbstverständlich, sie wird ohne Netz und doppelten Boden zu einem solistischen Fest von Können, Charme und Eloquenz. Dieser Abend hatte fast alles, was Musik zu bieten hat: Nachdenklichkeit, Hingabe, Schönheit, Subtilität, Poesie - und auch Stille.
Jörg Konrad
(Rezension zum Album „Bach Abel Hume“
hier)
Autor: Siehe Artikel
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