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7. Curzio Malaparte „Die Haut“
8. Caroline Peters „Ein anderes Leben“
9. Zora del Buono „Seinetwegen“
10. René Aguigah „James Baldwin: Der Zeuge – Ein Porträt“
11. Ein Bild und seine Geschichte: Thomas Hoepker „Blick von Williamsburg, Br...
12. James Ellroy „Die Bezauberer“
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Mittwoch 27.11.2024
Curzio Malaparte „Die Haut“
Er gehörte zu den umstrittensten Figuren der Literaturszene in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Kurt Erich Suckert, Sohn einer Italienerin und eines Deutschen, geboren 1898 im toskanischen Prato wurde als Autor bekannt unter dem Pseudonym Curzio Malaparte (in bewußter Anspielung auf Bonaparte, in dessen Namen eine Zufriedenheit zum Ausdruck kommt, wohingegen Malaparte soviel wie „der schlechte Teil“ bedeutet). Er galt schon zu Lebzeiten als ein stark polarisierender Charismatiker, ja als Exzentriker. Eine schillernde Gestalt, Freiwilliger im 1. Weltkrieg, 1919 als Attaché in Warschau tätig, dann Anhänger Mussolinis und Mitglied der faschistischen Partei Italiens, von dieser als Verräter eingeschätzt und verurteilt, als Journalist in ganz Europa und Nordafrika unterwegs, im 2. Weltkrieg Spion für die Amerikaner, nach Kriegsende überzeugter Kommunist - der seine Villa auf Capri den Chinesen vererbte – aber auf seinem Sterbebett 1957 letztendlich zum Katholizismus übertrat.
Berühmt geworden ist Malaparte durch zwei Bücher. „Kaputt“, ein Roman dessen Grundlage seine Arbeit als Kriegsberichterstatter bildete und „Die Haut“, ebenfalls ein Roman, dessen Handlung in Neapel nach dem Sieg der Alliierten über Italien spielt, die anschließend gemeinsam gegen die Deutschen kämpfen. In zum Teil grauenhaften, erschütternden Bildern schildert Malaparte, im Buch als Verbindungsoffizier der Amerikaner auftretend, den Kriegs- und Nachkriegsalltag. Es herrscht eine völlig verkommene Moral, als der Ergebnis des Krieges, als Folge des herrschenden Hungers und der völlig fehlenden (politischen) Orientierung. Es sind schmerzlich makabre Bilder, in denen sich Frauen zur Prostitution erniedrigen, junge Burschen für eine Tüte Bonbons zu Strichjungen werden. Zugleich erzählt Malaparte die Geschichte Neapels jener Zeit mit einer gewissen distanzierten Kühle, einem zwar sprachgewaltigen, aber zynistischen Vokabular, das in seiner Analyse, aber auch Wirkung stark an Celines „Reise ans Ende der Nacht erinnert“ und dabei ein gewaltiges provozierendes Potenzial entfacht.
Malaparte wurde, obwohl immer wieder als Opportunist verschrien, der sich den gesellschaftlichen Gegebenheiten schonungslos anpasst, ja sich ihnen sogar selbstaufgebend unterordnet, von öffentlicher Seite Amoralität und Antipatriotismus vorgeworfen. Aufgrund der oft verunglimpfenden Darstellungen der Neapolitaner erklärte man ihn in der drittgrößten Stadt Italiens sogar zur unerwünschten Person.
Trotzdem darf, ja muss man einschätzen, dass „Die Haut“ ein flammendes Plädoyer gegen Krieg ist. Der Autor beschreibt die mit jeder Form von Zerstörung und existenzieller Bedrohung einhergehende emotionale, wie letztendlich auch intellektuelle Verwahrlosung und ist damit ein beklemmendes Bekenntnis gegen Gewalt.
Der Vatikan setzte das Buch gleich nach Erscheinen auf den Index, wobei es in Deutschland, ein Jahr später 1950 erscheinend, zum Bestseller avancierte.
Jörg Konrad

Curzio Malaparte
„Die Haut“
Rowohlt
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Dienstag 12.11.2024
Caroline Peters „Ein anderes Leben“
„Heute ist die Beerdigung meines Vaters, und für mich ist es die Auferstehung meiner Mutter.“ So beginnt der Roman „Ein anderes Leben“. Alle treffen sich am Grab von Bow, dem Vater der Icherzählerin: sie selbst, ihre beiden älteren Halbschwestern mit ihren Ehemännern, Kindern und Vätern. Eine große Patchworkfamilie. Doch im Zentrum ihrer Gedanken und Erinnerungen steht für die jüngste Tochter ihre Mutter, die schon lange vor dem Vater gestorben ist. Auch Zeit ihres Lebens war Hanna immer im Mittelpunkt.
„Ein anderes Leben“ ist das literarische Debut der deutschen Schauspielerin Caroline Peters; ein feinfühliger, differenzierter und immer wieder sehr amüsanter Familienroman, eine bewegende Mutter-Tochter-Geschichte und das hinreißende Portrait einer unkonventionellen Frau. Vieles ist von Caroline Peters eigener Familiengeschichte inspiriert, vor allem die Figur von Hanna; vieles ist Fiktion. Denn eine Erzählung muss nicht wahr sein, um wahrhaftig zu sein, „…es reicht, wenn sie gut und glaubwürdig ist“.
Die Erzählerin des Romans wächst in den 1970er und 80er Jahren im Rheinland auf. Ihre Mutter hatte in Heidelberg Slavistik und Germanistik studiert, zusammen mit drei Freunden. Alle vier verdienten sich nebenbei Geld durch den Verkauf von Lexika und teilten ihre Begeisterung für Nachschlagewerke, für Wissensvermittlung durch das Wort. Die drei jungen Männer teilten auch eine andere Leidenschaft: Hanna. Und Hanna heiratete nach ihrer Promotion nacheinander ihre drei besten Freunde und bekam von jedem eine Tochter. Bow, der dritte Ehemann, baute ein großes Haus, in dem er mit Hanna und den drei Mädchen lebte.
Die Geschichte wird nicht linear erzählt. Die Autorin springt immer wieder zwischen der Gegenwart, Erinnerungen der Icherzählerin und Reflexionen über das Erinnern selbst hin und her. In zahlreichen, lebendig geschilderten Episoden entsteht das Bild von Hanna, einer Frau, die sich mit sprühendem Charme und enormer Energie dem spießigen Frauenideal der Nachkriegszeit entgegenstellt und der Vorstellung, eine Mutter müsse ihre eigenen Bedürfnisse denen von Ehemann und Kindern unterordnen. Die „schwächlichste aller Verhaltensweisen“ ist für sie, es so zu machen wie alle anderen. Die alte und bis heute aktuelle Frage, ob und wie eine Frau sich als Mutter und Ehefrau ihre Identität und Freiheit bewahren kann, wird im Roman in einer reflektierten und gleichzeitig unterhaltsamen Variante thematisiert.
Für die innere Freiheit spielt die Literatur eine zentrale Rolle. Aufgewachsen im Krieg, als Flüchtlingskind mit Angst und Not konfrontiert, hatte Hanna Lesen als Flucht vor der bedrückenden Realität für sich entdeckt. Auch als Erwachsene begeistert sie die Welt der Phantasie, der Sprache, der Literatur und hebt sie über den oft langweiligen und banalen Alltag hinaus. Sie übersetzt, schreibt Lyrik, arbeitet in der Unibibliothek der Slawischen Fakultät und flirtet mit Studenten. Den Sonntagmorgen verbringt sie oft mit ihrer Tochter im Bett, bei Sekt und Dostojewski-Lektüre, einer warmen „Höhle aus Daunendecke und Wörtern“. Mittags gibt es meist Essen aus der Dose. Das richtige Wort einer Übersetzung ist Hanna wichtiger als Küche und Hausarbeit, sie will als Intellektuelle und extravagante Frau bewundert werden, nicht als Hausmütterchen.
Doch auch in ihrer dritten Ehe gelingt es Hanna nicht, ihre Sehnsucht nach Autonomie zu verwirklichen, den Spagat zwischen Mutter und Künstlerin zu leben. Sie passt sich den Wünschen ihres Ehemanns an und verwandelt sich in eine „cremefarbene Gattin“. Das hat sie sich bei den Zahnarztgattinnen und golfspielenden Damen der Nachbarbarschaft abgeschaut, bei den „richtigen Leuten“, die sie aber heimlich verachtet. Doch schließlich wird sie von Wut und Empörung überschwemmt.
Hanna nimmt sich eine eigene Wohnung, lässt ihre pubertierende jüngste Tochter beim Vater und kann sich jetzt ganz ihrer Arbeit, dem Übersetzen und Dichten, widmen. Endlich hat sie ein Zuhause, das sie „ihren sich überschlagenden Gedanken, den vielen Worten in ihrem Kopf und ihrer Seele schuldig war.“
Caroline Peters hat keine Heldinnengeschichte geschrieben. Hanna ist eine durchaus ambivalente Mutterfigur. Es ist nicht einfach, die Tochter einer Mutter zu sein, die ihre Kinder zwar liebt, aber sich selbst in den Mittelpunkt stellt. Einer faszinierenden Frau, die meist fröhlich und selten streng ist, die aber auch mal ihr Kind in der Kita vergisst und sich lieber selbst zuhört als ihrer Tochter.
So geht es in Caroline Peters Erinnerungsbuch auch um die Auseinandersetzung mit einer längst verstorbenen Mutter, die zu deren Lebzeiten nicht stattgefunden hat, um Vorwürfe, um Verständnis und Versöhnung.
Lilly Munzinger, Gauting

Caroline Peters
„Ein anderes Leben“
Rowohlt
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Dienstag 17.09.2024
Zora del Buono „Seinetwegen“
Im August 1963 verunglückte der junge Arzt Dr. Manfredi del Buono auf einer Schweizer Landstraße tödlich. Ein großer Chevrolet knallte in einer Kurve bei einem Überholmanöver in den VW Käfer, in dem der Arzt und sein Schwager saßen. Der Fahrer des Chevrolet und der Schwager überlebten, Manfredi del Buono starb einige Tage später im Krankenhaus. Er hinterließ eine Frau und eine acht Monate alte Tochter.
Sechzig Jahre später hat Zora del Buono, eine Schweizer Architektin und Schriftstellerin, ein beeindruckendes Buch geschrieben, in dem sie den Unfalltod ihres Vaters aufzuarbeiten versucht. „Seinetwegen“ ist eine autobiographische Recherche, die vom Verlag nicht als Roman bezeichnet wird. Denn das Buch ist weitgehend nicht fiktional. Namen und Daten von Vater, Mutter, Großeltern und der Autorin selbst sind nicht verändert; nur die Daten von Personen, die nicht zur Familie gehören, wurden verfremdet. Authentische Schwarz-Weiß-Fotos illustrieren das Geschehen.
Zora del Buono stellt sich selbst die Frage, ob es nicht egozentrisch und für andere uninteressant sei, wenn sie von ihrer ganz eigenen Geschichte berichtet. Doch sie findet eine Herangehensweise, die weit über das rein Autobiographische hinausführt. In kurzen Abschnitten beleuchtet sie die unterschiedlichsten Aspekte des Dramas ihrer Familie und bezieht häufig Gesellschafts- und Zeitgeschichte mit ein. Sie schreibt z.B. über ihre Angst vor Nähe, die sie auf den frühen Verlust ihres Vaters zurückführt. Sie erzählt von prominenten Unfallopfern wie Isadora Duncan und Albert Camus. Oder sie äußert den Verdacht, dass das Urteil im Prozess gegen den Unfallverursacher deshalb so milde ausgefallen ist, weil ihr Vater Italiener war. Darauf folgt ein Kapitel über Fremdenfeindlichkeit in der Schweiz der 1960er-Jahre.
Immer wieder sind Kaffeehausunterhaltungen mit Freunden eingeschoben, einer Psychiaterin und einem Künstler, die - wie der Chor im antiken Drama - Zoras Recherche interpretieren und kommentieren.
Trotz der Schwere des Stoffes schreibt die Autorin in einem lockeren, meist sachlichen, manchmal humorvollen, immer jedoch völlig unsentimentalen Ton. So gestaltet sie ein vielfältiges Mosaik aus Erinnerungen, Gesprächen, Reflexionen und zeitgeschichtlichen Bezügen.
Ihr Buch hat Zora del Buono ihrer Mutter gewidmet, die „mit so viel Würde ihr Leben allein geschafft hat“. Die Mutter, eine attraktive Frau, hat nicht wieder geheiratet, ihre Tochter alleine großgezogen und Karriere als Kunsthistorikerin gemacht. Ihr Leben lang hat sie um Zoras Vater getrauert, aber kaum über ihn gesprochen. Schweigen war ihre Überlebensstrategie. Im Alter sinkt sie zunehmend in eine schwere Demenz. In dieser Situation, als ihr auch die Mutter entgleitet, empfindet die 60-jährige Autorin eine tiefe Einsamkeit und eine große Sehnsucht nach ihrem unbekannten Vater. Das gibt ihr den Anstoß für ihre Spurensuche. Beim Stöbern in alten Briefen, Fotos und Filmen begegnet er ihr als ein charmanter, allseits geschätzter Arzt und Wissenschaftler. Doch, wie sie gegen Ende ihres Buches feststellen muss: Der Einzige, dem sie wirklich nähergekommen ist, ist nicht ihr Vater, sondern der Mann, der ihn auf dem Gewissen hatte.
Anfangs kennt sie nur die Initialen seines Namens. Ihre intensive Recherche führt Zora del Buono über die Gerichtsakten zum Unfall schließlich bis in das Dorf, in dem er lebte und starb, und zu Personen, die ihn noch kannten. Je mehr sie über ihn weiß, desto weniger erscheint er ihr als empathieloser Töter, sondern als Mensch, mit dem sie Mitgefühl hat. Sie erfährt, dass er nach der Katastrophe mit ihrer Mutter korrespondiert hat und mehrmals ins Krankenhaus gefahren ist, um sich nach ihrem Vater zu erkundigen; dass er als Kind adoptiert wurde und immer alleine gelebt hat. Vor allem ihre Vermutung, er könnte – wie sie selbst - homosexuell gewesen sein, bringt ihn ihr nahe und „hebt ihn in ihre Welt“, wie sie schreibt. Könnte er vielleicht sogar einmal Gast im subkulturellen Berlin der 1980er- und 1990er-Jahre gewesen sein, wo sie die intensivste Zeit ihres Lebens verbracht hat? „Du hattest so ein schlimmes Bild von ihm…. Dich hat deine Recherche auch verändert.“ sagt ein Freund zu ihr.
„Seinetwegen“, ein faszinierendes, sehr humanes Buch, steht auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2024. Zu Recht.
Lilly Munzinger, Gauting

Zora del Buono
„Seinetwegen“
C.H.Beck
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Donnerstag 29.08.2024
René Aguigah „James Baldwin: Der Zeuge – Ein Porträt“
James Baldwin gehört zu den bedeutendsten amerikanischen Autoren, mit stark politischem und sozialem Anliegen. Und wenn er auch als Romanautor, Essayist, Dramatiker und Lyriker im 20. Jahrhundert bekannt geworden ist, tritt er in seinen Texten vor allem als ein überzeugter Menschenrechtsaktivist in Erscheinung. Anlässlich seines 100. Geburtstages ist im C.H.Beck Verlag die Biographie „James Baldwin – Der Zeuge“ von René Aguigah erschienen. Ein Porträt des Autors und Menschen und eben auch des Menschenrechtsaktivisten.
Baldwins (literarische) Inhalte kreisen immer um die eigenen Diskriminierungen und damit um die ihn ganz persönlich betreffenden Themen. Rassismus und Sexualität als Stigmatisierung begegnete ihm ein Leben lang. Dieses Gefühl erfahrener Ungerechtigkeit erzeugt eine spürbare Wut, die er in literarischen Texten zu kanalisieren verstand und in späteren Diskussionsforen beeindruckend zum Ausdruck brachte.
Im März 1978 gab James Baldwin dem Kritiker der Zeit Fritz J. Raddatz ein Interview und der Schriftsteller antwortete auf die Frage, ob er denn das Leben in Amerika nicht mittlerweile weniger rassistisch erleben würde: „Die Weißen haben uns, seit wir auf dem Sklavenblock zur Auktion standen, benutzt und weggeworfen, wie sie es heute mit ihren Autos oder Kleenex-Tüchern tun. Wir waren und sind Ware. Rassenkampf ist Klassenkampf. Jede Arbeitslosenstatistik noch heute, 1978, bestätigt das. Sie haben uns gedemütigt, unsere Identität zerstört.“
Der Blickwinkel, aus dem René Aguigah in „Der Zeuge – Ein Porträt“ James Baldwins Leben skizziert, ist entsprechend auch der des politisch engagierten und sexuell diffamierten Menschen.
Zwar beschreibt Aguigah chronologisch die Umstände, die Baldwin zum anerkannten Autor haben werden lassen. Zugleich arbeitet er aber auch faszinierend heraus, dass sich überzeugtes Eintreten für Menschenrechte und literarisch anspruchsvolle Texte als Romancier nicht unbedingt ausschließen. Im Gegenteil: Gerade Baldwin versteht es, wie nur wenige andere, bodenständige Geschichten zu erzählen, die weitab jedweden propagandistischen Niveaus stehen.
Dafür sind seine Texte, trotz dem überzeugenden Plädoyer gegen Rassismus und Homophobie, literarisch zu anspruchsvoll.
Baldwins Essays hingegen sind regelrechte Kampfschriften der Bürgerrechtsbewegung. Intelligent verfasst und mit klarer politischer Haltung als ein Realist des Lebens erkennbar. Er konnte präzise analysieren und zugleich Prosatexte von poetischer Überzeugungskraft schreiben.
René Aguigah, Leiter des Literaturressorts im Deutschlandfunk, bringt auf knapp zweihundert Seiten diese verschiedenen wie faszinierenden Facetten Baldwins Persönlichkeit zum Ausdruck. Er beschäftigt sich intensiv mit einigen seiner Texte, zeigt die Widersprüche und Divergenz seines Denkens auf, die Baldwin sehr wohl auch selbst bewusst waren und unter denen er fast ein Leben lang litt. Aguigah macht zudem deutlich, wie sehr der in Harlem geborene Autor ein Suchender war, der sich trotz seiner Nähe zu Martin Luther King und Malcolm X nicht als stolzer Amerikaner fühlte, der in Paris in der Obdachlosigkeit lebte und auch das Laben als erfolgreicher Schriftsteller kennenlernte.
Das jedoch vielleicht wichtigste, was René Aguigah mit „James Baldwin: Der Zeuge – Ein Porträt“ vermittelt, ist die Neugier, die er auf Baldwins Bücher macht. Wer sie kennt, bekommt fast unstillbare Lust, sie noch einmal zu lesen. Und wer Baldwin, aus welchen Gründen auch immer, bisher nicht gelesen hat, wird es jetzt mit Sicherheit tun.
Jörg Konrad

Einige von Baldwins Romanen sind anlässlich seines 100. Geburtstages neu übersetzt jetzt bei dtv erschienen:
Wie lange, sag mir, ist der Zug schon fort (Roman)
Von einem Sohn dieses Landes (Essays)
Kein Name bleibt ihm weit und breit (Essay)
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Donnerstag 22.08.2024
Ein Bild und seine Geschichte: Thomas Hoepker „Blick von Williamsburg, Brooklyn, auf Manhatten, 11. September 2001“
Bilder
Wir leben in einem Zeitalter der Bilderflut. Aufgrund der digitalen Entwicklung hat deren Umfang in den letzten Jahrzehnten noch einmal enorm zugenommen. Man kann getrost feststellen, dass unsere Aufmerksamkeit mittlerweile im Sekundentakt mit fotografischen Eindrücken überschüttet wird, so dass eine differenzierte Analyse oder auch nur Wahrnehmung des einzelnen Objekts kaum mehr möglich ist. Egal, ob es sich um private Fotos, journalistische Arbeiten, Werbung, Fernsehbilder oder die häusliche Wandkunst handelt - Bilder sind allgegenwärtig und damit wirkmächtig, lösen Emotionen und spontane Gedanken aus, schaffen Erinnerungen und schwören Visionen herauf. Oder sie sind eben, wie die meisten, in Sekundenbruchteilen wieder vergessen.
Der Münchner Schirmer/Mosel Verlag hat jetzt eine kleine Buchreihe ins Leben gerufen, die unter dem Motto „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“ ihren Weg zum Publikum sucht. Jeder Band beschäftigt sich einem ikonischen Bild aus den Bereichen Fotografie, Malerei oder Film. Dieses wird von einem Autor, Schriftsteller oder Historiker kommentiert.
Einer der ersten Bände dieser Reihe widmet sich einer Arbeit des deutschen Dokumentarfilmregisseurs und Magnum-Fotografen Thomas Hoepker. Es handelt sich um die Arbeit „Blick von Williamsburg, Brooklyn, auf Manhatten, 11. September 2001“.
Michael Diers, Kunsthistoriker und Hochschullehrer in Hamburg und Berlin, verfasste zu diesem außergewöhnlichen, den Anschlag auf das World Trade Center dargestellten Foto, ein weitreichendes, hochinteressantes wie nachdenkliches Essay.
Hoepke „schoss“ dieses Foto nicht zufällig. Er arbeitete damals in New York, hörte von der Katastrophe und suchte mit seinem Fahrzeug den schnellstmöglichen Weg nach Manhatten. Doch alle Straßen waren verstopft. So fotografierte Hoepke auf dem Weg in die Innenstadt am anderen Ufer des East River fünf Jugendliche, „die unbekümmert in der Sonne sitzen und miteinander plaudern, während hinter ihnen die Stadt in Schutt und Asche fällt – sie schauen nicht einmal hin“. So die folgenreiche Deutung dieses Bildes.
Erstmals aufgefallen ist dieses Foto erst 2005, also über vier Jahre nach dem eigentlichen Ereignis. Hoepke ließ es erst nicht veröffentlichen. Bis dahin wurden überwiegend spektakuläre Aufnahmen ausgewählt und gezeigt, jene Bilder, die die damalige Stimmungslage der Nation, die noch frischen Wunden, den Hass, die Wut und die Rachegelüste ausdrückten.
Doch die Einschätzung des Bildes und seines Inhalts traf nur bedingt zu. Als Hoepke es dann freigab, zu einer Ausstellung unter dem Titel „Political Photography“ im Münchner Stadtmuseum, entbrannte in den USA über die New York Times ein scharfer Disput, ob man denn genau wisse, was diese fünf Jugendlichen am East River in diesem Moment tatsächlich gedacht und gefühlt haben. Von nicht wenigen wurden die Personen auf dem Bild als ein Teil der typischen, durch übereifrigen (Medien-)Konsum abgestumpften, gefühllosen amerikanischen Generation fehlinterpretiert.
Interessanterweise meldeten sich nach der New York Times-Debatte zwei der dort abgebildeten Jugendlichen (Walter Sipser und Chris Schiavo) zu Wort und erläuterten ihren damaligen Seelenzustand: „Wir waren zutiefst geschockt und fassungslos, wie alle anderen, denen wir an diesem Tag begegneten.“ Hinzu kommt eine etwas diffuse Einschätzung der Szenerie von Thomas Hoepker, der die fünf damals so beschrieb: „Möglicherweise haben sie Menschen verloren und es hat sie beschäftigt, aber es hat sie nicht erschüttert“.
Die weitere Diskussion ausgehend von diesem Bild beschäftigte sich mit Stellungnahmen von Fotojournalisten gegenüber ihren eigenen Arbeiten, oder derer ihrer Kollegen. „Fotojournalisten sollten wie Künstler nicht versuchen, ihre eigene Arbeit zu interpretieren.
Letztendlich kommt auch Hoepke bezüglich der Aufnahme zu der Überzeugung: Man solle niemals Vermutungen anstellen.
Jörg Konrad

Die anderen beiden Bücher der Reihe „Ein Bild und seine Geschichte“:
Die Öffnung des Brandenburger Toresb am 22. Dezember 1989“ und
Schwäne im Schilf von Caspar David Friedrich“ zum Inhalt.

Thomas Hoepker
„Blick von Williamsburg, Brooklyn, auf Manhatten, 11. September 2001“
Ein Bild und seine Geschichte
Michael Diers / Ulrich Pohlmann
Schirmer/Mosel Verlag
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Mittwoch 14.08.2024
James Ellroy „Die Bezauberer“
Der Hohepriester der Hardboiled-Literatur hat wieder zugeschlagen. James Ellroys neuer Roman „Die Bezauberer“ spielt in den frühen 1960er Jahren und ist einmal mehr randvoll mit knappen Hauptsätzen – auch hier eines der Erkennungsmerkmale auf den über 660 Seiten des Amerikaners. Fakten und Fiktionen gehen bei Ellroy wie gewohnt Hand in Hand, wenn er sich intensiv mit dem Mythos Marilyn Monroe beschäftigt. Fred Otash, der wegen seiner Niedertracht und Brutalität aus dem Los Angeles Police Departments entlassene Privatdetektiv, recherchiert in der ihm eigenen typisch korrupten und charakterlich kaltblütigen Weise über die Schauspielerin, deren Tod, ihrem (Liebes-)Verhältnis zum amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy und dem seines Bruders, Generalstaatsanwalt Robert „Bobby“ Kennedy. Weitere handelnde Personen in Nebenrollen: Liz Taylor, Richard Burton, Rock Hudson, Peter Lawford, Jimmy Hoffa und ungezählte andere.
Aus all diesen Personen und dem menschlichen Sumpf aus Drogen, Sexismus, Rassismus, Gewalt und Korruptin schafft Ellroy in „Die Bezauberer“ eine alptraumhafte Symphonie, in der es keine „Guten“ und keine wahren „Helden“ gibt. Höchstens Opfer, die immer aus dem Blickwinkel des Verbrechens beschrieben werden, in dem die Grenzen zwischen Korruption und Korrektheit, zwischen Vergeltung und Gerechtigkeit, zwischen Gewalt und Gier, Skrupellosigkeit und Heuchelei fließend sind.
In über zwei Dutzend Romanen, von denen allein sieben zum Teil erfolgreich verfilmt wurden, beschäftigt sich der Autor seit gut vier Jahrzehnten mit den größten Mythen der US-amerikanischen Gesellschaft. In seinen Büchern wird abgehört, beschattet, betrogen, gedealt, verletzt, korrumpiert, konsumiert und umgebracht. In den hochvirtuosen wie komplex erzählten Handlungsträngen entladen sich nicht selten regelrechte Orgien aus Gewalt und Hass. Letztendlich dienen diese Schilderungen jedoch allein der Bewältigung seines eigenen Traumas - der Ermordung seiner Mutter, als er zehn Jahre alt war (der Fall ist bis heute nicht aufgeklärt).
Auch sind Ellroys Texte, die ebenso von skrupellosen Widerlingen, als auch hoffnungslos Gestrandeten erzählen, als ein Spiegel der amerikanischen Gesellschaft an ihren Rändern zu verstehen, die am scheinbaren gesellschaftlichen Glück anderer teilhaben wollen aber letztendlich im eigenen Morast versinken.
Übrigens besitzt Fred Otash, die Hauptfigur auch in dem Ellroy-Roman „Allgemeine Panik“, deutliche Bezüge zu einer realen Figur gleichen Namens, der als Polizist, Privatdetektiv und Autor, sein Geld hauptsächlich mit Intrigen, Korruption, Bestechung, Erpressung und deren Veröffentlichung in Klatschmagazinen verdiente und 1992 starb. Auch diente diese Gestalt dem Privatdetektiv Jake Gittes in Roman Polanskis Film „Chinatown“ (gespielt 1974 von Jack Nicholson) als Vorlage.
Auch „Die Bezauberer“ beinhaltet das „Sittengemälde einer Welt im Abwärtsstrudel“. Wer Ellroy liest braucht Nerven wie Drahtseile.
Jörg Konrad

James Ellroy
„Die Bezauberer“
Ullstein
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Autor: Siehe Artikel
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