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1. Reinhard Kleist: LOW – David Bowie’s Berlin Years
2. Jackie Thomae „Glück“
3. Ines Geipel „Fabelland“
4. Werner Timm „Meisterwerke – Käthe Kollwitz“
5. Curzio Malaparte „Die Haut“
6. Caroline Peters „Ein anderes Leben“
Bilder
Dienstag 21.01.2025
Reinhard Kleist: LOW – David Bowie’s Berlin Years
Kaum zu glauben, dass es bereits drei Jahre her ist seit Illustrator und Comiczeichner Reinhard Kleist seinen ersten Band über David Bowie’s Ziggy Stardust Years veröffentlicht hat. „Starman“ beleuchtete den Aufstieg des Ausnahmekünstlers und die Ziggy Stardust Ära. Nun ist endlich „Low“ erschienen, der zweite und abschließende Teil von Reinhard Kleists David Bowie's Year-Reihe. Erneut ist es ihm gelungen dieses hoch komplexe Kapitel aus Bowies Laufbahn tiefgehend zu ergründen und aufzuzeichnen. Sein Album „Low“ stellt einen markanten Wendepunkt seiner Karriere dar und den Beginn der sogenannten Berlin Trilogie.

Wir schreiben das Jahr 1976, Bowie ist gerade auf dem Höhepunkt seines Schaffens, gleichzeitig verfolgen ihn die Dämonen der Drogen, Stress mit seinem Manager und der nervenaufreibende Starrummel. Vom rastlosen Los Angeles, ohne Ruhe oder einen geeigneten Rückzugsort, führt Bowies Reise nach (West)-Berlin. Jene Stadt, die gestern wie heute ein Schmelztiegel ist für Kunst, Sub(kultur), unzählige Künstler inspiriert und hervorgebracht hat. Zu dieser Zeit endet jeder Ausflug in Berlin irgendwann an einer Mauer. Trotzdem fühlt sich Bowie befreit, das Pulsieren der Stadt und die Szene wirken sich positiv auf sein Schaffen aus, er erfindet sich in dieser Zeit neu und kreiert seinen nach wie vor visionären Sound. Kleists unverwechselbarer Zeichenstil zieht den Leser dabei förmlich in das Berlin der siebziger Jahre. Mit dabei in diesem Abenteuer sind natürlich Romy Haag, Begegnungen mit Mick Jagger, Brian Eno, Edgar Froese von Tangerine Dream und last not least Iggy Pop, mit dem er drei Jahre lang im fünfstöckigen Apartmenthaus in der Hauptstrasse 155 in Schöneberg zusammen lebte. Reinhard Kleists Geschichte ist mehr ein Trip als eine normale Graphic Novel. Gerade wenn man diese Zeit aktiv miterlebt hat stellen sich Flashbacks ein, wie bei Zitaten über die Musik von Kraftwerk, die Bowie seinerzeit mal als Vorgruppe engagieren wollte. Bei seiner Begeisterung für die Gruppen „Neu“ oder „Cluster“ fühlt man sich spontan in die siebziger Jahre zurück katapultiert. Kleist setzt Bowie‘s Berlin Years mit Liebe zum Detail um, vielem ist man seinerzeit selbst begegnet und verschollen geglaubte Erinnerungen tauchen beim Lesen plötzlich wieder auf: zum Beispiel die legendären Hansa Studios in unmittelbarer Nähe der Berliner Mauer, in deren Schatten Zeitgeschichte geschrieben wurde, der illustre Club S.O. 36 oder das wunderbare Brücke Museum.
Das Ganze wurde wieder brillant koloriert von Thomas Gilke, der mit Geschick und Fingerspitzengefühl die einzelnen Sequenzen der Story in atemberaubende Farben taucht.

Low umfasst 176 Seiten, mit einer wunderbaren Bildergalerie am Schluss, ist als Hardcover beim Carlsen Verlag erschienen und kostet in der Normalausgabe 25,-- € .
Zusätzlich erscheint wieder eine limitierte Sonderausgabe mit einem signierten Druck für 59,-- € .
Text: Thomas J. Krebs



Reinhard Kleist
"Low - David Bowie's Berlin Years | David Bowie in Berlin"
Carlsen
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Dienstag 14.01.2025
Jackie Thomae „Glück“
„Sie hatten fünfundzwanzig Jahre Zeit, Mutter zu werden, sehen Sie´s mal so.“ Diesen Satz hört Marie-Claire von Dr. Nonnenmacher, ihrer Frauenärztin. Ein Name, der nichts Gutes verheißt, wenn man sich dringend ein Kind wünscht, denkt Marie-Claire. Kurz vor ihrem 40. Geburtstag ist ihr schlagartig bewusst geworden, dass es bald zu spät ist. Warum ist ihr nicht früher aufgefallen, dass sie unter Zeitdruck steht? Dass sie die einzige wichtige Deadline ihres Lebens im Blick hätte haben müssen, denn das ist es doch eigentlich, was zum Glück gehört: ein Kind.
Vor einigen Jahren machte der Begriff „Regretting motherhood“ Schlagzeilen. Eine soziologische Studie hatte erstmals die Empfindungen von Frauen untersucht, die ihre Mutterschaft bereuen. In Jackie Thomaes Buch „Glück“ geht es um das gegenteilige Phänomen: um Frauen um die 40, die verzweifelt darüber sind, nicht Mutter geworden zu sein und denen nur noch ein kleines Zeitfenster bleibt.
Jackie Thomae erzählt aus wechselnder Perspektive von mehreren Frauen aus Berlin, die miteinander bekannt oder befreundet sind. Trotz des ernsten Themas ist das Buch unterhaltsam und spannend zu lesen. Die Autorin ist eine genaue Beobachterin des wohlhabenden Mittelschichtmilieus, das sie mit Klugheit und pointiertem Witz beschreibt. Ihre Figuren behandelt sie mit Sympathie, aber auch mit einer leicht ironischen Distanz.
Im Mittelpunkt des Romans stehen eine Radiomoderatorin und eine Politikerin, Marie-Claire Sturm und Anahita Martini. Beide sind 39, beruflich sehr erfolgreich und befinden sich in einer tiefgreifenden Lebenskrise. Marie-Claire, unabhängig und selbstbewusst, hat sich in der Medienbranche einen Namen gemacht. Nach mehreren Beziehungen und zwei Abtreibungen ist sie ohne festen Partner und meint nun zu erkennen, dass ihre bisherigen Lebensentscheidungen falsch waren. Das Verlangen nach einem Kind ist übermächtig und beherrscht all ihre Gedanken und Gefühle. Als sie ein Interview mit der aufstrebenden Bildungssenatorin Anahita Martini führt, stellt sie mit Erstaunen fest, dass diese taffe Frau hinter ihrer perfekten Fassade derselbe Schmerz quält: der Kummer darüber, kein Kind zu haben.
Anahita ist geschieden. Sie stammt aus einer in Deutschland hervorragend integrierten persischen Familie. Seit sie 18 ist, hat sie zielstrebig und ehrgeizig an ihrer Karriere gearbeitet und steht nun kurz davor, Europaabgeordnete in Brüssel zu werden. Ihr Migrationshintergrund ist kein Thema für sie. Sie leidet unter ihrer Einsamkeit und ihrer Kinderlosigkeit, die sie als Schmach empfindet und zu verheimlichen versucht. Ausgerechnet sie, die keine eigene Familie vorzuweisen hat, ist Senatorin für Bildung und Familie?
Ihren beiden Protagonistinnen stellt Jackie Thomae Nebenfiguren an die Seite und eröffnet mit ihren Lebensgeschichten weitere Perspektiven auf die Frage, ob Kinder zum Lebensglück gehören. Da ist Maren, die selber nie Kinder wollte und es zu ihrem Geschäftsmodell gemacht hat, Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch durch Atemtherapie und Meditation zu helfen. Oder Lydia, die Frau von Anahitas Bruder. Sie hat ihren Beruf aufgegeben und widmet sich ihrem Mann und ihren Kindern. Ihr Problem sind die anderen Mütter, diese perfekten Mittelklassemütter in den angesagten Berliner Vierteln, die Jackie Thomae mit vergnüglichem Spott aufs Korn nimmt.
Marie-Claire und Anahita stehen für eine Generation von Frauen, die, vom alten Rollenbild befreit, ihre Karriere verfolgt und sich gleichberechtigt gefühlt haben. Mit Ende 30 werden sie jedoch mit der Tatsache konfrontiert, dass Männer theoretisch bis zu ihrem Lebensende in der Lage sind, Kinder zu zeugen, für sie selbst aber bald Schluss ist mit der Reproduktionsfähigkeit. Die feministische Verheißung, als Frau das eigene Leben frei und selbstbestimmt gestalten zu können, kommt hier an ihre Grenzen. Und potentielle Väter, um doch noch auf den letzten Metern Mutter zu werden, sind in ihrem Alter schwer zu finden, denkt sich Marie-Claire. Der Markt ist fast leergefegt, Männer wollen Jüngere, die Realität ist gnadenlos sozialdarwinistisch. Hat ihre Großmutter doch Recht gehabt? Kommt es für eine Frau vor allem darauf an, rechtzeitig mit dem richtigen Mann eine Familie zu gründen? Hat sie die falschen Ziele verfolgt und versagt?
Im letzten Teil ihres Buches spielt Jackie Thomae mit einer utopischen Idee. Wie wäre es, wenn es eine Pille gäbe, die diese Ungerechtigkeit der Natur ausgleichen und es Frauen ermöglichen würde, ohne Altersgrenze Kinder zu bekommen? Wie könnte sich dann das Leben von Marie-Claire, Anahita und anderen Frauen verändern? Es bleibt offen, ob es sich dabei um eine hoffnungsvolle oder doch eher um eine bedrohliche Zukunftsvision handelt.
Lilly Munzinger, Gauting

Jackie Thomae
„Glück“
Claasen
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Mittwoch 08.01.2025
Ines Geipel „Fabelland“
Ines Geipels „Fabelland“ erschien vor dem politisch unrühmlichen, aber nachvollziehbaren Ende der bundesrepublikanischen Dreierkonstellation – als Regierungskoalition auch kurz „ die Ampel“ genannt. „Fabelland“ erschien auch vor dem erschütterndem Anschlag eines scheinbar Verblendeten/Psychopathen/Mörders, der auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt für eine unsagbare Katastrophe sorgte. Direkt hat „Fabelland“ mit diesen beiden Geschehen nichts zu tun – indirekt hingegen schon. Denn Ines Geipel beschäftigt sich nicht erst seit „Fabelland“ mit den Themen innerdeutscher Politik, deren Ursachen und Auswirkungen. Es ist das mittlerweile sechste Buch, neben Textsammlungen, Biographien und Sachbüchern, in dem sich die deutsche Schriftstellerin, Publizistin und Hochschullehrerin intensiv mit der einstigen DDR auseinandersetzt. Wie kaum eine andere Autorin legt sie dabei den Finger tief in die Wunde dessen, was 1989 als ein Glücksfall in die Geschichte eingegangen ist und mit dem wir uns heute aufgrund einer ausufernden Radikalisierung erneut auseinandersetzen müssen. Denn Freiheit und Demokratie werden besonders von politisch rechtsnationalen Strömungen bedroht, so dass Rassismus, Antisemitismus und immense Fremdenfeindlichkeit wieder auf der Tagesordnung stehen.
Geipels Hauptaugenmerk liegt in „Fabelland“ im Bereich der ungenügenden historischen Aufarbeitung der DDR-Geschichte. Wären, neben dem verständlichen Freudentaumel 1989, ernsthaft und allumfassend die politischen Strukturen der SED-Diktatur kritisch analysiert worden, anstatt die bestehende ostdeutsche Wirtschaft kontinuierlich zu zerschlagen, wäre der Weg der Einheit ein anderer gewesen und die Nachwirkungen von insgesamt 59 Jahren Diktatur(!!!) mit Sicherheit um einiges positiver.
Etliches bei der (oberflächlichen) Vergangenheitsbewältigung innerhalb der DDR nach 1989 erinnerte an die Aufarbeitung der Nazidiktatur, für die das ostdeutsche Land als Staat sich nie wirkliche verantwortlich fühlte. Denn der Gründung der DDR im Jahre 1949 blendete man jegliche Schuldfrage und Rechenschaft von vornherein aus.
Die heute an der Berliner Hochschule für Schauspielkunst lehrende einstige Leistungssportlerin verweist aber auch auf die schmerzvolle und konfliktreiche Vergangenheitsbewältigung im Westen nach 1945. Erst mit den Studentenausschreitungen 1968 wurde sich mit den Themen des Nationalsozialismus intensiver und vor allem individueller auseinandergesetzt.
Der Osten gab den Altnazis, die natürlich auch in der sowjetisch besetzten Zone an neuen Karrieren arbeiteten, bis auf ganz wenige Ausnahmen, einen „Persilschein“, erklärten sich sogar zu den Siegern der Geschichte und bauten mit ihrer Hilfe und ihrer Erfahrung die nächste Diktatur auf.
Dass nach 1989 rechte Ressentiments greifen konnten, lag auch an den spürbaren Veränderungen, die sich nach der Wiedervereinigung in Industrie und Wirtschaft vollzogen. Denn der Aufbau der Demokratie im Osten ging 1989 für viele mit dem Verlust der eigenen Arbeitsplätze einher und damit mit der Angst um die eigene Existenz. Die Demokratisierung des Westens war hingegen in den 1950er Jahren eng mit neuen Arbeitsmöglichkeiten und dem damit einhergehenden (west-)deutschen Wirtschaftswunder verbunden.
Insofern hatten die kommunistischen Altkader der einstigen DDR, die auch 1989 untereinander noch immer gut vernetzt waren, leichtes Spiel, Unmut in der Bevölkerung zu säen und eine latente Unzufriedenheit zu fördern. Denn was hilft die Reisefreiheit, wenn sich die Menschen diese nicht leisten können? Der Opfermythos begann Blüten zu treiben und der Leitsatz lautete (bis in unsere Tage): Es war doch früher alles nicht so schlimm.
Von dieser Befindlichkeitslage aus Unzufriedenheit, Widerspruch und Trotz, ist es nur ein kleiner Schritt, sich hinter gefährlichen Dämagogen und Populisten zu versammeln und mit diesen gemeinsam störend wie destruktiv auf die Gesellschaft einzuwirken.
Gleichzeitig gelingt es den etablierten Volksparteien nicht, gegen diese negative Entwicklungen konstruktiv vorzugehen, sich im Sinne einer gemeinsamen Aufklärung zu positionen, eine Vergangenheitsbewältigung funktional aufzubauen und effektiv voranzubringen. Stattdessen scheitert jede gewinnbringende und zielführende Zusammenarbeit untereinander aufgrund narzistischer Nabelschau und parteiinterner Machtkämpfe.
All diese Entwicklungen fasst Ines Geipel griffig und verständlich zusammen. „Fabelland. Der Osten, der Westen, der Zorn und das Glück“ ist zugleich ein nachdenklich machender Text, dem inhaltlich nicht an jeder Stelle empirische Studien zugrunde liegen. Der jedoch aufgrund genauer Beobachtung und Überlegung komplizierte Zusammenhänge und Gefühlslagen stimmig auf den Punkt bringt. Sollten Spätgeborene die Fragen aufwerfen, wie das Staats-Konstrukt DDR aufgebaut, wie dieser Unrechtsstaat organisiert war und welche Auswirkungen er nach der Wiedervereinigung 1989 auf das gesamtgesellschaftliche Leben der Bundesrepublik Deutschland hat, so sind Ines Geipels Bücher als Orientierungshilfe wärmstens zu empfehlen.
Jörg Konrad

Ines Geipel
„Fabelland“
S. Fischer
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Mittwoch 04.12.2024
Werner Timm „Meisterwerke – Käthe Kollwitz“
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In Berlin gibt es ein Museum unter ihrem Namen, Straßen und Schulen in Deutschland sind nach ihr benannt: Käthe Kollwitz. Als Grafikerin, Malerin und Bildhauerin gehört sie zu den bekanntesten deutschen Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts.
Geboren 1867 in Königsberg, gelebt und gearbeitet in Berlin, München und Paris, gestorben 1945 in Moritzburg bei Dresden, ist ihre künstlerische Qualität und die zutiefst humanistische Haltung ihr besonderes Merkmal. Kämpferische Arbeiten wie die Kreide- und Pinsellithographien „Nie wieder Krieg!“, „Nieder mit dem Abtreibungs-Paragraphen“ oder „Die Überlebenden – Krieg dem Krieg!“ haben eindeutig gesellschaftspolitischen Charakter.
Insofern ist es nur logisch, dass der Verlag Schirmer/Mosel in der Reihe „Große Künstlerinnen der Gegenwart“ den Band „Meisterwerke – Käthe Kollwitz“ neu auflegt. Werner Timm, Leiter der Ostdeutschen Galerie in Regensburg hat für dieses Buch einen einführenden und einfühlenden Essay unter dem Titel „Ich will wirken in dieser Zeit“ geschrieben.
Käthe Kollwitz wollte mit ihrer Kunst nicht nur anregen, sondern auch evozoiren, indem sie einen Teil der gesellschaftlichen Realität in ihren Werken verarbeitete - entgegen der zeitgenössischen Avantgarde. Ihre Arbeiten dokumentieren klar und klagen Stellung beziehend zugleich soziale Ungerechtigkeiten an. Ihre Bilder zeigen Leid und Elend und wirken in ihrer Darstellung oft düster. Hier finden (oft selbst erlebte) Angst, Schmerz und Trauer einen existenziellen Ausdruck.
Käthe Kollwitz nahm Kunstunterricht bei dem Maler Gustav Naujok und dem Kupferstecher Rudolf Mauer und besuchte anschließend in Berlin die Damenakademie des Vereins der Berliner Künstlerinnen.
Sie lernte Gerhard Hauptmann und Arno Holz kennen, engagierte sich früh politisch und drückte entsprechend schon in jungen Jahren in ihren Arbeiten gesellschaftlich relevante Themen und Überzeugungen in einer formalen Gestaltung aus. So entstanden anfangs Radierungen und Lithographien zu Hauptmanns Theaterstück „Die Weber“, die, wie auch der Zyklus „Bauernkrieg“ in Berlin für großes Aufsehen sorgten. Max Liebermann und Adolph Menzel, die damals bekanntesten deutschen Maler, erkannten sofort ihre Begabung und förderten sie nach Kräften.
Kollwitz suchte nach politischen Ausdrucksformen, wobei dieses Engagement nach dem Tod einer ihrer beiden Söhne 1914 in der Flandernschlacht zunahm.
Sie wurde Mitglied der Akademie der Künste in Berlin und übernahm 1928 die Leitung des Meisterateliers für Grafik. Die Nazis zwangen sie 1933 zum Austritt aus der Preußischen Akademie ein indirektes Ausstellungsverbot hielt sie jedoch nicht von intensiver künstlerischer Arbeit ab.
Vielleicht kann man eine Notiz aus dem Jahre 1920 als ihr Oevre, ihren persönlichen Motor in der Umsetzung von Kunst bezeichnen: „Ich hab als Künstler das Recht, aus allem den Gefühlsgehalt herauszuziehn, auf mich wirken zu lassen und nach außen zu stellen.“
Jörg Konrad

Werner Timm
„Meisterwerke – Käthe Kollwitz“
Schirmer/Mosel

Abbildungen:

- Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden, 1942,?
Lithographie
courtesy Schirmer/Mosel

- Kopf eines Kindes in den Händen der Mutter, 1900,?
Bleistift
© Photo Elke Estel, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

- Ruf des Todes, 1934/35,
Lithographie
© Photo Wolfgang Schmidt, Regensburg
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Mittwoch 27.11.2024
Curzio Malaparte „Die Haut“
Er gehörte zu den umstrittensten Figuren der Literaturszene in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Kurt Erich Suckert, Sohn einer Italienerin und eines Deutschen, geboren 1898 im toskanischen Prato wurde als Autor bekannt unter dem Pseudonym Curzio Malaparte (in bewußter Anspielung auf Bonaparte, in dessen Namen eine Zufriedenheit zum Ausdruck kommt, wohingegen Malaparte soviel wie „der schlechte Teil“ bedeutet). Er galt schon zu Lebzeiten als ein stark polarisierender Charismatiker, ja als Exzentriker. Eine schillernde Gestalt, Freiwilliger im 1. Weltkrieg, 1919 als Attaché in Warschau tätig, dann Anhänger Mussolinis und Mitglied der faschistischen Partei Italiens, von dieser als Verräter eingeschätzt und verurteilt, als Journalist in ganz Europa und Nordafrika unterwegs, im 2. Weltkrieg Spion für die Amerikaner, nach Kriegsende überzeugter Kommunist - der seine Villa auf Capri den Chinesen vererbte – aber auf seinem Sterbebett 1957 letztendlich zum Katholizismus übertrat.
Berühmt geworden ist Malaparte durch zwei Bücher. „Kaputt“, ein Roman dessen Grundlage seine Arbeit als Kriegsberichterstatter bildete und „Die Haut“, ebenfalls ein Roman, dessen Handlung in Neapel nach dem Sieg der Alliierten über Italien spielt, die anschließend gemeinsam gegen die Deutschen kämpfen. In zum Teil grauenhaften, erschütternden Bildern schildert Malaparte, im Buch als Verbindungsoffizier der Amerikaner auftretend, den Kriegs- und Nachkriegsalltag. Es herrscht eine völlig verkommene Moral, als der Ergebnis des Krieges, als Folge des herrschenden Hungers und der völlig fehlenden (politischen) Orientierung. Es sind schmerzlich makabre Bilder, in denen sich Frauen zur Prostitution erniedrigen, junge Burschen für eine Tüte Bonbons zu Strichjungen werden. Zugleich erzählt Malaparte die Geschichte Neapels jener Zeit mit einer gewissen distanzierten Kühle, einem zwar sprachgewaltigen, aber zynistischen Vokabular, das in seiner Analyse, aber auch Wirkung stark an Celines „Reise ans Ende der Nacht erinnert“ und dabei ein gewaltiges provozierendes Potenzial entfacht.
Malaparte wurde, obwohl immer wieder als Opportunist verschrien, der sich den gesellschaftlichen Gegebenheiten schonungslos anpasst, ja sich ihnen sogar selbstaufgebend unterordnet, von öffentlicher Seite Amoralität und Antipatriotismus vorgeworfen. Aufgrund der oft verunglimpfenden Darstellungen der Neapolitaner erklärte man ihn in der drittgrößten Stadt Italiens sogar zur unerwünschten Person.
Trotzdem darf, ja muss man einschätzen, dass „Die Haut“ ein flammendes Plädoyer gegen Krieg ist. Der Autor beschreibt die mit jeder Form von Zerstörung und existenzieller Bedrohung einhergehende emotionale, wie letztendlich auch intellektuelle Verwahrlosung und ist damit ein beklemmendes Bekenntnis gegen Gewalt.
Der Vatikan setzte das Buch gleich nach Erscheinen auf den Index, wobei es in Deutschland, ein Jahr später 1950 erscheinend, zum Bestseller avancierte.
Jörg Konrad

Curzio Malaparte
„Die Haut“
Rowohlt
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Dienstag 12.11.2024
Caroline Peters „Ein anderes Leben“
„Heute ist die Beerdigung meines Vaters, und für mich ist es die Auferstehung meiner Mutter.“ So beginnt der Roman „Ein anderes Leben“. Alle treffen sich am Grab von Bow, dem Vater der Icherzählerin: sie selbst, ihre beiden älteren Halbschwestern mit ihren Ehemännern, Kindern und Vätern. Eine große Patchworkfamilie. Doch im Zentrum ihrer Gedanken und Erinnerungen steht für die jüngste Tochter ihre Mutter, die schon lange vor dem Vater gestorben ist. Auch Zeit ihres Lebens war Hanna immer im Mittelpunkt.
„Ein anderes Leben“ ist das literarische Debut der deutschen Schauspielerin Caroline Peters; ein feinfühliger, differenzierter und immer wieder sehr amüsanter Familienroman, eine bewegende Mutter-Tochter-Geschichte und das hinreißende Portrait einer unkonventionellen Frau. Vieles ist von Caroline Peters eigener Familiengeschichte inspiriert, vor allem die Figur von Hanna; vieles ist Fiktion. Denn eine Erzählung muss nicht wahr sein, um wahrhaftig zu sein, „…es reicht, wenn sie gut und glaubwürdig ist“.
Die Erzählerin des Romans wächst in den 1970er und 80er Jahren im Rheinland auf. Ihre Mutter hatte in Heidelberg Slavistik und Germanistik studiert, zusammen mit drei Freunden. Alle vier verdienten sich nebenbei Geld durch den Verkauf von Lexika und teilten ihre Begeisterung für Nachschlagewerke, für Wissensvermittlung durch das Wort. Die drei jungen Männer teilten auch eine andere Leidenschaft: Hanna. Und Hanna heiratete nach ihrer Promotion nacheinander ihre drei besten Freunde und bekam von jedem eine Tochter. Bow, der dritte Ehemann, baute ein großes Haus, in dem er mit Hanna und den drei Mädchen lebte.
Die Geschichte wird nicht linear erzählt. Die Autorin springt immer wieder zwischen der Gegenwart, Erinnerungen der Icherzählerin und Reflexionen über das Erinnern selbst hin und her. In zahlreichen, lebendig geschilderten Episoden entsteht das Bild von Hanna, einer Frau, die sich mit sprühendem Charme und enormer Energie dem spießigen Frauenideal der Nachkriegszeit entgegenstellt und der Vorstellung, eine Mutter müsse ihre eigenen Bedürfnisse denen von Ehemann und Kindern unterordnen. Die „schwächlichste aller Verhaltensweisen“ ist für sie, es so zu machen wie alle anderen. Die alte und bis heute aktuelle Frage, ob und wie eine Frau sich als Mutter und Ehefrau ihre Identität und Freiheit bewahren kann, wird im Roman in einer reflektierten und gleichzeitig unterhaltsamen Variante thematisiert.
Für die innere Freiheit spielt die Literatur eine zentrale Rolle. Aufgewachsen im Krieg, als Flüchtlingskind mit Angst und Not konfrontiert, hatte Hanna Lesen als Flucht vor der bedrückenden Realität für sich entdeckt. Auch als Erwachsene begeistert sie die Welt der Phantasie, der Sprache, der Literatur und hebt sie über den oft langweiligen und banalen Alltag hinaus. Sie übersetzt, schreibt Lyrik, arbeitet in der Unibibliothek der Slawischen Fakultät und flirtet mit Studenten. Den Sonntagmorgen verbringt sie oft mit ihrer Tochter im Bett, bei Sekt und Dostojewski-Lektüre, einer warmen „Höhle aus Daunendecke und Wörtern“. Mittags gibt es meist Essen aus der Dose. Das richtige Wort einer Übersetzung ist Hanna wichtiger als Küche und Hausarbeit, sie will als Intellektuelle und extravagante Frau bewundert werden, nicht als Hausmütterchen.
Doch auch in ihrer dritten Ehe gelingt es Hanna nicht, ihre Sehnsucht nach Autonomie zu verwirklichen, den Spagat zwischen Mutter und Künstlerin zu leben. Sie passt sich den Wünschen ihres Ehemanns an und verwandelt sich in eine „cremefarbene Gattin“. Das hat sie sich bei den Zahnarztgattinnen und golfspielenden Damen der Nachbarbarschaft abgeschaut, bei den „richtigen Leuten“, die sie aber heimlich verachtet. Doch schließlich wird sie von Wut und Empörung überschwemmt.
Hanna nimmt sich eine eigene Wohnung, lässt ihre pubertierende jüngste Tochter beim Vater und kann sich jetzt ganz ihrer Arbeit, dem Übersetzen und Dichten, widmen. Endlich hat sie ein Zuhause, das sie „ihren sich überschlagenden Gedanken, den vielen Worten in ihrem Kopf und ihrer Seele schuldig war.“
Caroline Peters hat keine Heldinnengeschichte geschrieben. Hanna ist eine durchaus ambivalente Mutterfigur. Es ist nicht einfach, die Tochter einer Mutter zu sein, die ihre Kinder zwar liebt, aber sich selbst in den Mittelpunkt stellt. Einer faszinierenden Frau, die meist fröhlich und selten streng ist, die aber auch mal ihr Kind in der Kita vergisst und sich lieber selbst zuhört als ihrer Tochter.
So geht es in Caroline Peters Erinnerungsbuch auch um die Auseinandersetzung mit einer längst verstorbenen Mutter, die zu deren Lebzeiten nicht stattgefunden hat, um Vorwürfe, um Verständnis und Versöhnung.
Lilly Munzinger, Gauting

Caroline Peters
„Ein anderes Leben“
Rowohlt
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