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1. Landsberg: Bobo Stenson Trio – Zwischen Melancholie und Avantgarde
2. Fürstenfeld: Elchin Shirinov Trio – Würdevoller Musikabend
3. Regensburg: Nachlese zum Sparks & Visions Jazzfestival in Regensburg
4. Barre Phillips (geb. 27. Oktober 1934 San Francisco, gest. 28. Dezember 202...
5. Gilching: Tuija Komi & Band „Joulu & Jul“
6. Zakir Hussain (geb. 09. März 1951 in Bombay, gest. 15. Dezember 2024 in Sa...
Sonntag 09.02.2025
Landsberg: Bobo Stenson Trio – Zwischen Melancholie und Avantgarde
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Fotos: Thomas J. Krebs
Landsberg. Blickt man in die Archive, dann findet man Bobo Stenson in Deutschland akustisch zugänglich erstmals im Jahr 1965. Der aus Vasteras, Schweden, stammende Pianist gehörte, gemeinsam mit dem indonesischen Bassisten Vicktor Kaihatsu und dem holländischn Schlagzeuger Pierre Courbouis, zum Gunter Hampel Quartett. Die Band ging damals, nach einer dreiwöchigen Tour, ins Grunewald Studio in Berlin und begleitete eine der wohl großartigsten deutschen Jazzsängerinnen: Inge Brandenburg. Das Album „It's Alright With Me“ gehört heute zu den historischen Aufnahmen und gilt auf dem Vinylmarkt als Rarität.
Sechs Jahrzehnte später sitzt Bobo Stenson in Landsberger Stadttheater am Flügel. Doch sein Spiel hat sich verändert, ist freier geworden, in seiner herausfordernden Brüchigkeit individueller, er klingt aber auch in einer zupackenden Bestimmtheit stärker nach musikalischem Abenteuer. Ein Hybrid zwischen Melancholie und Avantgarde, dessen folkloristische Bezüge in einer modernen Musizierhaltung münden, dessen dramaturgisch stringente Strukturen sich in freiem Spiel wieder auflösen. Trotzdem ein lyrisches Pulsieren allenthalben.
Die Bühne teilte sich der mittlerweile 80jährige mit seinen beiden Landsleuten Anders Jormin (Bass) und Jon Fält (Schlagzeug). Ein eingespieltes Trio, das seit zwanzig Jahren gemeinsam unterwegs ist und dabei zeitlos jazzigen Glanz verbreitet.
Woher er seine Inspirationen nimmt? In Landsberg geisterten, ausgehend von seinem letzten Album „Sphere“ Namen durch den Raum, die viel mit seiner Musik verbinden: Charles Ives, die amerikanische Schlüsselfigur der Neuen Musik, der Klangschamane Don Cherry, der katalanische Romantiker Frederic Mompou oder der sich politisch positionierende kubanische Liedermacher Silvio Rodriguez. Natürlich spürt man auch die Gegenwart von Bach und Coleman – aber letztendlich bleibt Stenson immer Stenson, ein aufrichtiger Fundamentalist und Visionär der nordischen Spielweise. Ein eben verlässlich inspirierender Begleiter, (sparsamer) Solist und Improvisator.
Und dann wäre da Anders Jormin, als Bassist ebenfalls wie Stenson seit Jahrzehnten bei ECM. Im wahrsten Sinne des Wortes ein Fels in der Brandung – sowohl akustisch als auch optisch. Seine hochtönende Ornamentik, seine tieftönenden Rhythmusfiguren erden jede Form von Musik, lassen jedoch auch Raum für spontane Bemerkungen, für einen eleganten Austausch, für dynamische Kommunikation. Ein Maßstab setzender Instrumentalist mit Formsinn und Esprit.
Und natürlich Jon Fält, ein Schlagwerker mit Spielwitz. Mal klingt sein Drumset wie massiver Steinschlag, dann wieder wie eine gut geölte Swingmaschine, die Beats explodieren an anderer Stelle förmlich und im nächsten Moment steckt er kopfüber in seiner Perkussions-Installation. Ein rhythmischer Springteufel und Sprengmeister. Mit ihm wird ein Auftritt wohl nie zur Routine.
Alle drei verhalten sich generationsübergreifend respektvoll und beeindruckend heiter wie freundlich zueinander (in momentanen Zeiten eine Auffälligkeit an sich) und sie scheinen vor allem enormen Spaß an ihrer Arbeit zu haben - trotz aller Reisestrapazen und diesem komplexen Repertoire. Zwei Zugaben sind Pflicht.
Jörg Konrad
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Donnerstag 30.01.2025
Fürstenfeld: Elchin Shirinov Trio – Würdevoller Musikabend
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Fotos: Thomas J. Krebs
Fürstenfeld: Wir fruchtbar der Jazzstamm trotz seiner starken Verästelungen, Triebe und Absenker gedeiht, ist immer wieder faszinierend. Vielleicht gerät er ja auch genau deshalb so üppig und fruchtbar.
Denn selbst dann, wenn um uns herum die Welt Kopf zu stehen scheint, sie regelrecht am Durchdrehen ist – auf den Jazz, in seiner Kreativität, Innovation und seiner Menschen verbindenden Humanität ist Verlass. So wie gestern Abend, als im Kleinen Saal des Veranstaltungsforum in Fürstenfeld der aserbaidschanische Pianist Elchin Shirinov mit seinem Trio das Positive dieser Welt musikalisch zum Ausdruck brachte. Drei Instrumentalisten, deren Musik in den rauchigen Kaschemmen und auf den folkloristischen Allgemeinplätzen dieser Welt seinen Ausgang nahm und die heute modernes Jazzspiel zum Ausdruck bringen.
Mit Sicherheit kann man das Zusammenspiel der fantastischen Drei auch als eine Summe ihrer Individualität und Erfahrung benennen. Denn einerseits ist es die Herkunft, ihre jeweilige Sozialisation, die die Grundlage für ihr kreatives Tun schafft. Andererseits ist es das bewusste Arbeiten an ihrer Überzeugung, mit ihrer Musik etwas kulturell Verbindendes zu schaffen.
Elchin Shirinov überzeugt am Klavier ebenso als Virtuose, wie auch als Poet. 1982 in Baku geboren, ist er Autodidakt, hat keine Universitäten besucht – ganz im Gegensatz zu seinen beiden Brüdern. Darin ähnelt Elchin den altvorderen Jazzstars, die das Spiel auf der Straße, den Clubs, von ihren Vorbildern gelernt und übernommen haben. Alles was er umsetzt hat seinen Ausgangspunkt in folkloristischen Motiven. Er ist, entsprechend seiner Herkunft, ein Grenzgänger zwischen europäischer und asiatischer Kultur. Durch den aus Kansas City stammenden Bassisten Joe Martin und den in Santa Cruz, Kalifornien geborenen Schlagzeuger Jeff Ballard bekommen die Kompositionen und Interpretationen Elchins einen stark swingenden, am Postbop orientierten Drive, der die Musik in völlig neue Fahrwasser manövriert. Sie brechen die ohnehin schon vertrackte Rhythmik der Stücke noch einmal zusätzlich auf, wobei Martin am Bass vor allem durch seine melodische Begleitung und Ballard durch sein lautmalerisches Schlagzeugspiel begeistern. Wenn sich alle drei gemeinschaftlich in ihre Musik knien, wirkt das klangliche Geschehen auf der Bühne überaus komplex, spielen die dynamischen Komponenten, das eigenständige Agieren und das Reagieren auf den Nebenmann, eine überaus wichtige Rolle. Manchmal klingt die Musik seltsam dissonant, manchmal flirrend nervös, dann wieder einfach und schön. Elchin sucht nicht das musikalische Streitgespräch, aber er ist am Instrument beweglich und leidenschaftlich. Er hat auch keine Probleme Popsongs von Lionel Richie zu vertonen, sie in ein von Improvisationen durchzogenes Jazzgewand zu kleiden. Das alles macht diesen Musikabend so besonders, so mitteilsam, so empathisch, so würdevoll - wie verrückt sich auch die Welt um uns herum entwickelt.
Jörg Konrad
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Montag 27.01.2025
Regensburg: Nachlese zum Sparks & Visions Jazzfestival in Regensburg
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Fotos: Thomas J. Krebs
Zum dritten Mal fand dieses Jahr das Internationale Jazzfestival Sparks & Visions in Regensburg statt. Vor drei Jahren als mutiges Experiment unter der Leitung von Anastasia Wolkenstein initiiert, ist das Festival mittlerweile eine unabdingbare Konstante im Kalender Ende Januar. In der einmaligen Atmosphäre des altehrwürdigen klassizistischen Theater am Bismarckplatz gab es wieder drei Tage Musik und Bands zu hören und zu entdecken. Das Festival glänzt nicht durch zugkräftige Namen, sondern macht die Zuhörer neugierig auf Projekte sowie Konzerte fernab des Mainstream und ist wohl eine der weltoffensten Veranstaltungen im Jazz.

Den Auftakt bestritt die Formation InEvitable Extended unter der Leitung von Evi Filippou, die bereits letztes Jahr im Duo mit Robert Lucaciu für Furore sorgte. Im Sextett präsentierte sie spannenden Jazz gemischt mit griechischen Elementen. Eine absolute Entdeckung war der französische Posaunist Robinson Khoury mit seinem Trio MŸA, der mit elektronischer Finesse das Genre Jazz & Weltmusik neu definierte. Zum Abschluss des ersten Abends gab es dann noch „klassisches“ Piano-Trio unter der Leitung des griechischen Bassisten Petros Klampanis, mit Kristian Randalu am Piano und dem Schlagzeuger Ziv Ravitz. Hier dominierte der gelungene, poetisch jazzige Sound zum Ausklang des ersten Abends. Klampanis, als vielbeschäftigter Bassist in der Jazzszene unterwegs, ist mit seinem Trio Projekt Latent Info endlich mal wieder als musikalischer Leader präsent. Der zweite Abend startete mit der Sängerin Simin Tander, ihren typisch afghanisch geprägten Jazzimprovisationen, zusammen mit Björn Meyer am Bass, Schlagzeuger Samuel Rohrer und der indischen Violinistin Harpreet Bansal. Die junge polnische Jazzszene war vertreten mit der Band O.N.E., einem rein weiblich besetzten Quartett, das den Zuhörern einheizte. Als Abschluss gab es dann noch chillige Beats mit basslastigem Dubsound und Bläserimprovisationen der Band corto.alto um den Multiinstrumentalisten Liam Shortall. Die Matinee am Sonntag des Abschlusstages bestritt das renommierte North Sea String Quartett mit erfrischend perkussiven Soundelementen für ein klassisches Streichquartett. Krönender Festivalabschluss schließlich mit dem Marcin Wasiliewski Trio, das sich mit einer herrlich funkelnden Zugabe, „Diamonds & Pearls“ von Prince, verabschiedete.

Sparks & Visions war auch dieses Jahr wieder ein Festivalerfolg auf ganzer Linie -„gefunkelt“ hat es auf dem Festival übrigens wieder von Beginn an: verantwortlich für das wunderbare Stage-Design ist der Künstler Karl Iaro, der mit seinen Mobiles für eine abwechslungsreich farbenfrohe, poetische Stimmung sorgt. Insgesamt 8 Bands mit 33 Musikern aus 13 Ländern gaben sich diesmal die Ehre und begeisterten das Publikum. Alle hatten in den drei Tagen eine gute, inspirierte Zeit miteinander. Der Austausch zwischen Musikern und Publikum fand auch nach den Konzerten in Foyer des Theaters weiter statt und auch der Bayerische Rundfunk war auch wieder mit an Bord. Wir sind schon gespannt auf die vierte Ausgabe dieses einzigartigen Festivals.

Text & Fotos: Thomas J. Krebs

Fotos:
- Zuza Jasinka (Stimme) von InEvitable Extended
- InEvitable Extended (Band)
- Robinson Khoury (Posaune) von MŸA
- Robinson Khoury (an der Electronic)
- Petros Klampanis (Bass)
- Simin Tander (Stimme)
- Björn Meyer (Bass)
- Innenraum des klassizistischen Bismarcktheaters
- O.N.E. (Band)
- Patrycja Wybranczyk (Schlagzeug) von O.N.E.
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Montag 30.12.2024
Barre Phillips (geb. 27. Oktober 1934 San Francisco, gest. 28. Dezember 2024 Las Cruces)
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Foto: Sam Harfouche / ECM Records
Barre Phillips & György Kurtag jr.
„Face à Face“
ECM

Vor über fünf Jahrzehnten spielte Barre Phillips mit seinem Instrumentalkollegen Dave Holland das erste Kontrabass-Duo-Album des Jazz für ECM München ein. Phillips wurde in Kalifornien geboren, hatte sich aber schon ein paar Jahre vor dieser Aufnahme in Europa niedergelassen. Holland wiederum stammt aus dem englischen Wolverhampton und arbeitete seit 1968 kontinuierlich in den USA. „Music From Two Basses“ war damit ein transatlantischer Dialog, der einem kreativen Abtasten von Musikern der damals noch jungen freien Szene gleichkam. Jeder hatte im Laufe der Zeit seine eigenen Erfahrungen gesammelt, hatte Ideen ausprobiert, Klangvorstellungen entwickelt und wollte zugleich aus allem Vertrauten ausbrechen und sich musikalisch neue Horizonte erschließen. Der hellwache und phantasiereiche Austausch, plus einer Dosis persönlichkeitsgebundener Offenheit ließ dieses Bestreben akustisch prächtige Früchte tragen.
Heute, so viele Jahre später, gehen beide Musiker einen etwas anderen Weg, in dem sie ihr Wissen und ihren Horizont mit der Neugier und Energie junger Instrumentalisten zusammen bringen. Sie geben damit völlig uneigennützig etwas von ihrem Können an junge Instrumentalisten weiter und partizipieren andererseits von deren Wissensdurst und Tatendrang. Man könnte auch sagen: Altes kommt so auf den Prüfstand, Neues erhält ein traditionelles Fundament – und schon ist man mittendrin im Spannungsfeld der Generationen.
Barre Phillips arbeitet auf „Face à Face“ mit György Kurtag jr. zusammen, dem Sohn des großen ungarisch-französischer Komponisten und Pianisten. Von Angesicht zu Angesicht sozusagen suchen sie nach den passenden Formeln und Mustern für ihren Austausch. Sie gehen vorsichtig und behutsam miteinander um, reagieren spontan aufeinander, musizieren konzentriert und finden dann auch wieder beherzt und mit explodierender Leidenschaft den Konsens. Barre Phillips streicht, zupft, reißt und stößt seinen Kontrabass. György Kurtag findet darauf am Synthesizer und digitaler Percussion entsprechende Antworten und neue Einwürfe. Die Interaktion steht im Mittelpunkt dieses Duos, meist in kürzeren Ansätzen in verdichteten und entschlackten Passagen. Immer der Freiheit als oberstes Prinzip dienend. Improvisationsabenteuer, die die geistigen Grenzen musikalisch sprengen – um die Phantasie zu beflügeln.
Jörg Konrad
(KultKomplott August 2022)
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Samstag 21.12.2024
Gilching: Tuija Komi & Band „Joulu & Jul“
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Foto: Klaus-Dieter Klein
Gilching. Jedes Jahr verlässlich das gleiche Spiel: Ab Mitte November die ersten Weihnachtslieder - im Kaufhaus, im Radio, in den Charts. Die Weihnachtsmärkte öffnen mittlerweile schon weit vor Totensonntag und das sentimentale „Ihr Kinderlein kommet“ flutet den ganzen glitzernden Budenzauber. Und in den Lebensmittelabteilungen? Da sind die ersten Chargen an Dominosteinen und Schokoweihnachtsmännern längst ausverkauft. Gibt es denn nichts, das um diese Zeit Tradition mit Stil präsentiert? Vielleicht erfüllen ja die Jazzmusikerinnen und die Jazzmusiker, die sich auch um Weihnachten verlässlich positionieren, diesen Anspruch. Denn ihnen gelingt das seltene Kunststück mit weit weniger Pathos und heiligem Ernst.
Tuija Komi ist ein Beispiel für diese Verbindung von Vitalität und Weihnachtsfest. Am Freitag trat die finnische Jazzeuse mit ihrem Trio im Rahmen der Rathauskonzerte in Gilching auf. Und es wurde ein Abend, der sowohl das vorweihnachtliche Miteinander, als auch die Folklore ihres Heimatlandes Finnland mit Genuss beschwor. Vielleicht ähneln ja die finnischen Volkslieder zum Fest ein wenig den hiesigen Traditionen. Viel wichtiger waren aber an diesem Abend die Interpretationen der Songs, die von getragener Balladenkunst, über Blues und Blue Notes, bis hin zum Swing fast alles präsentierten, was das Jazzherz begehrt. Tuijas wunderbar klare und ausdrucksstarke Stimme stand im Zentrum des Konzerts. Äußeres Metrum und innerer Rhythmus waren bei ihr in Harmonie, wie auch Beiläufigkeit und Perfektion. Man spürte eine vocale Hingabe, ein abenteuerliches Ertasten von Songs, die nicht unbedingt für diesen Jazzkontext entstanden sind.
Tuija gab den Liedern nicht zuletzt durch ihre Frohnatur und ihre bezaubernde Ausstrahlung eine gewisse Bodenständigkeit und Empathie, die in diesen Zeiten besonders stark berühren. Keine billigen Sentimentalitäten, sondern ein mutiges, charmantes, mit Freundlichkeiten und präziser Intonation gespicktes Vorweihnachtskonzert.
An ihrer Seite hatte Tuija ein Trio der Extraklasse. Stefan Weiser (Klavier), Peter Cudek (Bass) und Martin Kolb (Schlagzeug) waren einerseits eine großartige unterstützende, eine inspirierende Formation. Andererseits „funktioniert“ diese Band auch als Trio in unglaublich kreativer Perfektion. Sie beherrschen die stillen, die ruhigen Passagen des Sets in magischer Geschlossenheit, sind aber auch in der Lage, furios und ideenreich zu improvisieren. Ein Trio, dass eine eigene Aura entwickelt, das individuelle Poesie und Eklektizismus spielerisch miteinander verzahnt und das Publikum ebenfalls begeisterte..
Insgesamt ein zauberhafter Musikabend, der unterschiedlichste Befindlichkeiten vermittelte und letztendlich das Publikum in eine (leider) wieder grausame (Nachrichten-)Realität entließ.
Jörg Konrad
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Dienstag 17.12.2024
Zakir Hussain (geb. 09. März 1951 in Bombay, gest. 15. Dezember 2024 in San Francisco)
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Shakti with John McLaughlin
(Album erschienen 1976)


1975 war John McLaughlin gerade einmal 33 Jahre alt, hatte aber bis dato alles erreicht, was man als elektrischer Gitarrist im Zwischenreich von Jazz und Rock erreichen konnte. Er war Mitglied in den Bands von Miles Davis während dessen Bitches-Brew Phase, hat (erfolgreich) freie Musik aufgenommen, mit dem Mahavishnu Orchestra eine der härtesten Rockbands der Musikgeschichte gegründet (vergessen sie Led Zeppelin!), an der Seite von Jimi Hendrix gejamt und mit dem London Symphony Orchestra auch seinen klassischen Anspruch akustisch eingelöst. Welch eine Steigerung sollte es noch geben? Der Engländer überraschte mit einem Projekt, das als Sensation gehandelt wurde. McLaughlin gründete Shakti und spielte indische Musik. Das Quintett bestand neben ihm an der akustischen(!) Gitarre, die mit zusätzlichen Resonanzsaiten ausgerüstet waren, aus dem indischen Geiger Lakshminarayana Shankar und den Perkussionisten R. Raghavan, T.S. Vinayakaram und Zakir Hussain. Der Name Shakti stammt aus dem Hinduismus und steht ganz allgemein für die weibliche Urkraft des Universums.
Der in Doncaster geborene Gitarrist beschäftigte sich zu jener Zeit schon eine Weile mit indischer Kultur, gehörte zu Beginn der 1970er Jahre zu den Anhängern der spirituellen Lehre Sri Chinmoi. „Ich liebe Indien“, sagte McLaughlin anläßlich eines Interviews, „- seine Musik und seine Spiritualität und seine Religionen. Die Spiritualität ist die Musik: Du kannst die beiden nicht voneinander trennen – wie man es im Westen kann.
Insofern mag dieser Schritt nur logisch erscheinen. Aber indische Ragas mit Jazzimprovisationen in musikalische Beziehung zu bringen, sich der Herausforderung einer Symbiose von östlicher und westlicher Harmonik zu stellen, war in dieser vollzogenen Intensität etwas völlig neues.
Und auch gleich das erste Album, eingespielt während eines Auftritts der Band im Sommer 1975 an der Universität von South Hampton, strafte alle Lügen, die meinten, eine derartige musikalische Verschmelzung sei nicht möglich, oder wenn, dann nur auf der Grundlage meditativer Konzentrationsübungen.
Der Titel „Joy“, eine knapp 20 minütige musikalische Tour de Force, ist das Herzstück dieser Produktion. Shankar und McLaughlin spielen eine komplex komponierte Themenmelodie, um anschließend in beseelter Virtuosität auf den Skalen ihrer Instrumente regelrecht zu schäumen. Schwindelerregende Solo-Pasagen, rauschhafte Improvisationen, längere Spannungsbögen und Interaktionen in immer kürzer werdenden Zeitintervallen sind das Erkennungsmerkmal dieses Stücks, unterlegt von ununterbrochenen traditionell-indischem Percussionsfeuerwerk.
Bei den zwei übrigen Titeln (das etwas seichte Lotus Feet wird schon nach knapp fünf Minuten ausgeblendet) handelt es sich um Raga-ähnliche Improvisationen, die wohl aufgrund noch fehlenden kompositorischen Materials von der Band ins Repertoire aufgenommen wurden.
Das änderte sich mit den Alben „A Handful Of Beauty“ (1977) und „Natural Elements“ (1977), auf denen mehr die themenbezogenen und auf Harmonien aufgebauten kompakteren Kompositionen in den Vordergrund traten. Bezeichnend aber auch hier die überragende Homogenität, welche die Mitspieler untereinander an den Tag legen. Wer eine Anleitung zu meditativen Yogaübungen sucht, wird eindeutig enttäuscht. Ständige Taktwechseln, Tempivariationen und die perlenden Tabla-Rhythmen des überragenden Zakir Hussain. Die Wechsel zwischen westlichen Ideen und östlichem Klangbild, zwischen kurzen Monologen und ausgedehnten Dialogen sind fließend. Manche Sequenzen klingen bei McLaughlin sogar nach Django Reinhardt, dem legendären Sinti-Gitarristen, dem Mitglied des Hot Club De France und „Begründer“ des europäischen Jazz.
Nichts scheint dieser Formation entfernt genug, als das es in ihrer Musik Platz hätte. Ein Kontinente und Stile übergreifender Spagat, der den Kontrast von Kulturen als eine bereichernde Einheit verstehen lässt und sich ganz dem Anspruch McLaughlins verschrieb, auf einzigartige Weise Intelligenz, Schönheit und Kraft innerhalb der Musik zu verbinden.
Jörg Konrad
(KultKomplott August 2015)




Mickey Hart & Zakir Hussain
Planet Drum
„In the Groove“
Valley Entertainment
(Album erschienen 2022)

Grateful Dead, das Rock'n Roll-Flaggschiff der Hippiebewegung in den USA, tourte schon 1967 mit zwei Schlagzeugern. Einer der beiden war Mickey Hart, der der Band bei ihren ausufernden, endlos erscheinenden Gitarrenimprovisationen den nötigen rhythmischen Unterbau gab. Doch Michael Steven Hartman, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, war weit mehr als ein dienender Taktgeber. Er befabd sich schon damals als Musikethnologe, als Klangarchäologe auf den Spuren der getrommelten Herzschläge der Menschheit. Er schreibt bis heute Bücher über Schlagwerke und Percussionsinstrumente, reist quer durch die Welt und studiert die verschiedensten Trommeltechniken vor Ort, er taucht in Archiven unter, untersuchte mit Eingeborenen in Afrika, Südamerika und Indien deren Spielweisen und nahm zwischenzeitlich (natürlich stark Rhythmus orientiert) eigene Alben auf, die so ganz nebenher die Billboard Charts anführten und ihm den allerersten Grammy Award für Weltmusik einbrachte.
Nun, nach vier Jahren, hat er mit seinem Quartett Planet Drum ein neues pulsierendes Album veröffentlicht. „In The Groove“ macht seinem Titel alle Ehre. Es ist randvoll mit polyrhythmischen Themen verschiedener Trommeltraditionen und Varianten. Jeder der vier Mitglieder dieser Band steht für einen Kontinent und eine ganz spezifische ethnische Autorität: Zakir Hussain ist Inder und ein Meister der Tablas, spielt auch Röhren- und Kesseltrommeln und singt die selbst gespielten Rhythmen. Sikiru Adepoju stammt aus Nigeria und beherrscht wie kaum ein anderer die Talking Drums. Giovanni Hidalgo ist puerto-ricanischer Perkussionist, der sich schon seit frühester Kindheit den Bongos und Congas verschrieben hat. Mickey Hart hingegen trommelte in seiner Schulzeit Marschmusik(!), kam dann zum Rock'n Roll und später zum Jazz. Zusammen entwerfen Planet Drum, mit wechselnden Gastmusikern und Sängern, beeindruckende und immer wieder sich ändernde Perkussionsmuster und Figuren, vermitteln die Intensität und auch die Schönheit der Trommelkunst. Es ist ein Album voller Frische und Farbigkeit, voller Geheimnisse und Bodenständigkeit. Ihre Art des vor Dynamik strotzenden Miteinanders ist zugleich ein gemeinschaftsstiftendes Element, was zeigt, dass die Trommeln zu den ältesten Kommunikationsmitteln der Menschheit gehören. Ein mitreißendes Album.
Jörg Konrad
(KultKomplott August 2022)

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Autor: Siehe Artikel
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