Haben Sie einen Artikel verpasst? Dann klicken Sie hier. Im Archiv finden Sie auch ältere Veröffentlichungen.
1. Charles Dickens „David Copperfield“
2. Angela Rohr „Blutrache“
3. Thomas Mann / Die großen Hörspiele „Buddenbrooks – Der Zauberberg –...
4. Ulrich Rüdenauer „Abseits“
5. Clemens Meyer „Die Projektoren“
6. Reinhard Kleist: LOW – David Bowie’s Berlin Years
Bilder
Freitag 25.04.2025
Charles Dickens „David Copperfield“
„Wie viele stolze Eltern habe ich im Tiefsten meines Herzens ein Lieblingskind. Und sein Name ist David Copperfield“, bekannte Charles Dickens (1812-1870) am Ende seines Lebens rückblickend. Das mag mit Sicherheit auch daran liegen, dass in keinen der achtzehn Romane die Dickens schrieb, derart umfangreich sein eigenes Schicksal Einzug hielt. Der Autor arbeitete zuvor an einer Autobiographie, verwarf aber dieses Ansinnen und ließ stattdessen ganze Kapitel aus diesem Manuskript in „David Copperfield“ einfließen.
Erschienen ist der über 1200 Seiten umfangreiche Klassiker der Weltliteratur erstmals in Buchform 1850. Zuvor wurde der Roman, wie etliche andere Bücher des Engländers, als monatliche Fortsetzungsgeschichte veröffentlicht: Achtzehn Ausgaben zu je 32 Druckseiten plus einer neunzehnten Publikation in doppeltem Umfang für jeweils einen britischen Schilling.
„David Copperfield“ beinhaltet die Lebensgeschichte jener Titel gebenden Person, von seiner Geburt im Dorfe Blunderstone in Suffolk bis hin zu der Zeit, in der er als Schriftsteller erfolgreich und wohlhabend geworden mit eigener großer Familie und mit sich zufrieden sein Leben noch einmal Revue passieren lässt. In den vielen Jahren dazwischen, in dem ihm das Leben in seiner harten und manchmal grausamen Seite begegnete, kreuzten die unterschiedlichsten Charaktere und Kreaturen seine Wege, Figuren die ihn formten, die ihn beeinflussten, denen er sich gegenüber erwehren musste und auf die er sich andererseits stets und immer verlassen konnte. Es waren Abenteuer, die David Copperfield Mitte des 19. Jahrhunderts in England zu überstehen hatte, denen er sich bewusst stellte und mit innerer Überzeugung gegen sie ankämpfte. Manchmal schwankte er regelrecht von einem Unglück zum nächsten, machte sich dann aber von allen negativen Beeinflussungen wieder frei, vertraute auf sich und seine Eigenschaften und überstand, nicht selten auch mit Glück und ein wenig Naivität, manche lebensgefährdende Situation.
Dickens schrieb diesen Roman in der ersten Person und, da er ja selbst aufgrund der stark autobiographischen Züge genau wusste wohin die Reise führte, greift er mit manchem Nebensatz dem Geschehen vor.
Das Positive dieses faszinierenden und absolut spannend zu lesenden Entwicklungsromans ist die Erkenntnis, dass jemand, der in sozial schwierigen Verhältnissen geboren und entsprechend mit sozialen Rückschlägen und plötzlich eintretenden Katastrophen konfrontiert wird, trotzdem am Ende auf ein erfülltes und reiches Leben blicken kann. Zugleich beeindruckt der Roman in seiner Charakterisierung von Personen und Situationen, in der Beschreibung von Atmosphären und seiner Kritik an sozialen Missständen. Melanie Waltz hat diesen Roman großartig neu übersetzt. Dabei setzt sie auf eine umgangssprachliche Wirkung des Textes, nimmt ihm jede Form eines störenden Pathos und wirkt dadurch außergewöhnlich stabil und in sich stimmig.
Jörg Konrad

Charles Dickens
„David Copperfield“
Rowohlt
Permalink zum ArtikelDiese Adresse können sie verwenden, um von ihrer Seite, ihrem Blog etc. direkt auf den Artikel zu verweisen.
Klicken sie dazu auf den Link und verwenden die Adresse in der Adressleiste, oder klicken mit der rechten Maustaste hier und kopieren den Link direkt.
Nach oben scrollenKlicken sie hier um schneller an den Anfang der Seite zu gelangen.
Autor: Siehe Artikel
Bilder
Mittwoch 09.04.2025
Angela Rohr „Blutrache“
Es spricht alles dafür, dass Angela Rohrs Erzählung „Anna Wenzlick“ in ihrer Geburtsstadt, in Znajim, einer Kleinstadt in der Südmährischen Region in Tschechien spielt. In der ersten Person beschreibt die Autorin darin die Trauer, die die Ermordung der Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn bei ihr auslöste. Dann taucht sie für einige Sätze in die Architektur des Ortes ein und reflektiert den strengen Schulalltag einer zwölfjährigen, der zur damaligen Zeit gekennzeichnet war von einer riesigen Anzahl von Mitschülern, die aus den unterschiedlichsten sozialen Millieus stammten und nur schwer untereinander in Kontakt kamen. Die erzählende Person selbst fällt aufgrund ihrer sehr bestimmten (und für den Leser faszinierenden) Sicht- und Denkweise, aber auch durch ihre Schlagfertigkeit auf, die für ein Kind der fünften Klasse eher ungewöhnlich scheint.
Doch Hauptfigur dieses Textes ist jene Anna Wenzlick, eine stille, zurückhaltende Mitschülerin, klein an Wuchs. „Man wird sich dieses Kind, dieses Mädchen, recht vorstellen können,“ schreibt Angela Rohr, „wenn ich sage, dass sie das Aussehen einer Zwergin hat.“ Dieses Mädchen scheint während der Schulzeit und in diesem Umfeld einfach nicht wachsen zu können.
Abgesehen von dem kurzen, aber einprägsamen Handlungsstrang, ist es die Art des literarischen Erzählens, die sofort gefangennimmt und regelrecht elektrisiert. Angela Rohr ist eine Autorin, die mit Sicherheit die Texte Kafkas kennt, die mit Rilke befreundet, wenn nicht gar vertraut war, die von Berthold Brecht immens geschätzt wurde und deren außergewöhnlicher Schreibstil an den tragischen Literaten Isaak Babel aus Odessa erinnert. Wer also war jene vor vierzig Jahren gestorbene Angela Rohr, deren Erzählung „Anna Wenzlick“ zu ihren späteren Arbeiten gehört?
„Anna Wenzlick“ wurde in den 1950er bis 1960er Jahren geschrieben. Dieser und viele andere Texte der österreichisch-russischen Autorin waren über Jahrzehnte verschollen. Erst durch Zufall wurden diese literarischen Schätze im heute unzugänglichen Moskauer Memorial-Archiv aufgefunden und gehoben.
Ihre Biographie liest sich wie ein politisches Kriminalstück und war letztendlich doch eine dieser typischen, von Diktaturen gekennzeichneten, tragischen Lebensgeschichten. Angela Rohr war Kosmopolitin, Reporterin, Psychoanalytikerin und Schriftstellerin. Sie verließ aufgrund einer Schwangerschaft früh ihr Elternhaus, lebte in Paris, Zürich und Berlin von kleinen Prosaarbeiten und in Zürich, wo sie für die Dada-Zeitschrift Sirius schrieb.
In dritter Ehe heiratete sie den Kommunisten Wilhelm Rohr und ging mit ihm 1925 aufgrund politischer Überzeugung nach Moskau, wo sie die sowjetische Staatsbürgerschaft annahm. Sie bereiste das weite Land und hatte engen Kontakt zu Lenins Frau Nadja Krupskaja. Als Journalistin schrieb sie faszinierende Reportagen unter anderen für die Frankfurter Zeitung. Mit Kriegsbeginn 1941 fiel sie bei den russischen Kommunisten in Ungnade und wurde Opfer der stalinistischen Terrorwellen. Ihr Mann starb wahrscheinlich 1942 in einem Gefängnis. Sie selbst wurde als Spionin zu 15 Jahren Lagerhaft in einem sibirischen Gulag verurteilt. Hier schlug sie sich als Lagerärztin durch, obwohl ihre medizinischen Kenntnisse allein aus Vorlesungen stammten.
Nach Stalis Tod wurde die zierliche, nur 1,50 Meter große Frau 1957 rehabilitiert und lebte bis 1985 in einem kleinen Zimmer einer Moskauer Gemeinschaftswohnung, umgeben von Büchern, Ikonen und Stethoskopen (mit dem sie manche der Hausbewohner behandelte und sich so ihre minimale Rente aufbesserte).
Die Berliner Literaturwissenschaftlerin Gesine Bey hat sich detektivisch mit Angela Rohr beschäftigt, sowohl was ihre Biographie betrifft und natürlich ihre Texte. In unglaublicher Kleinarbeit hat sie diese ausfindig gemacht (ein Teil der Arbeiten existierten nur als Handabschriften, da sie nie gedruckt wurden). Dabei stieß Gesine Bey auch auf die Kontakte, die Angela Rohr im Laufe ihres Lebens unterhielt (Brecht, Rilke, Fedin, Krupskaja).
Die Erzählung „Anna Wenzlick“ erschien in dem im letzten Jahr erschienen Band "BLUTRACHE - Späte Erzählungen" im BasisDruck verlag Berlin.
Jörg Konrad

Angela Rohr
„Blutrache“
Pamphlete Nr. 30
BasisDruck Verlag Berlin
Permalink zum ArtikelDiese Adresse können sie verwenden, um von ihrer Seite, ihrem Blog etc. direkt auf den Artikel zu verweisen.
Klicken sie dazu auf den Link und verwenden die Adresse in der Adressleiste, oder klicken mit der rechten Maustaste hier und kopieren den Link direkt.
Nach oben scrollenKlicken sie hier um schneller an den Anfang der Seite zu gelangen.
Autor: Siehe Artikel
Freitag 28.03.2025
Thomas Mann / Die großen Hörspiele „Buddenbrooks – Der Zauberberg – Der Tod In Venedig“
Bilder
Anlässlich des 150. Geburtstags Thomas Manns hat der Hörverlag tief in den Archiven der „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland“ (ARD) gesucht und ist reichhaltig fündig geworden. Dem Verlag ging es dabei nicht um Einspielungen von Lesungen, sondern um klassische, akustisch dramatisierte Inszenierungen, eine ganz besondere Kunstform des Radios.
Mit den „Buddenbrooks“, jenem Mann-Roman, dessen Erstveröffentlichung auf das Jahr 1901 im S. Fischer Verlag datiert ist und für den der Autor acht Jahre später den Nobelpreis erhielt,legte der Hessische Rundfunk 1965 eine acht-Stunden-Produktion vor, die bis heute unerreicht scheint. Mit einem Großaufgebot von knapp einhundert Schauspielern, unter ihnen Dieter Borsche, Lil Dagover, Horst Tappert, Wolfgang Liebeneiner und natürlich Gert Westphal als Erzähler, wird die Geschichte der Lübecker Kaufmannsfamilie Buddenbrook über vier Generationen hinweg erzählt. Zurecht gilt dieses Werk als Jahrhundertroman, beinhaltet er in seiner ausgefeilten Erzählkunst, Zeit- als auch Sozialgeschichte. Ein spannendes Vergnügen, diesem bis in die kleinsten Nebenrollen ideal besetzten Ensemble zu folgen.
Ulrich Lampen hat im Jahr 2000 Manns „Der Zauberg“ für den Bayrischen Rundfunk in (akustische) Szene gesetzt. Erzähler ist Udo Samel, Hans Castorp wird von Konstantin Graudus gesprochen. Mann schrieb „Der Zauberberg“ zwischen 1913 bis 1923, wobei er die Niederschrift aufgrund des 2. Weltkriegs einige Jahre unterbrach. Inspiriert wurde der Autor für diesen über 1000 Seiten starken Roman durch den Kuraufenthalt seiner Ehefrau Katia Mann in einem Sanatorium im Schweizer Davos. Es ist die Geschichte Hans Castorps, der 1907 von Hamburg kommend einen nahen Verwandten in einem Sanatorium in den Schweizer Bergen besucht und dort von der abseitigen Lage und den Gästen, die hier ein Leben zwischen Gesundheit und Tod, zwischen Realem und Visionärem, zwischen Lust und Moral verbringen, fasziniert ist.
Regisseur Lampen griff bei der Umsetzung des Stoffes auf ein großes Ensemble an erfahrenen Schauspielern und Sprechern zurück und konnte für den musikalischen Teil der Inszenierung den aus Ulm stammenden deutschen Jazz-Klarinettisten und Komponisten Michael Riessler gewinnen. Die Produktion aus dem Jahr 2000 schaffte es auf die HR2-Hörbuchbestenliste.
Tod in Venedig“ erschien erstmals als Einzeldruck 1913 im S.Fischer Verlag. Ulrich Lampen hat diese Novelle 2009 für den Hessischen Rundfunk/Norddeutscher Rundfunk bearbeitet. Es ist die Geschichte des Schriftstellers und Witwers Gustav von Aschenbach, der sich während eines Erholungsaufenthaltes in Venedig in einen Jüngling verliebt. Eine Cholera-Epidemie konfrontiert Aschenbach mit dem Tod und der eigenen Vergänglichkeit. Letztendlich stirbt der Schriftsteller mit den Gesichtszügen Gustav Mahlers, nachdem er sich an frischem Obst infiziert hat, einsam im Liegestuhl am Meeresstrand. Eine tragische Geschichte, die von Befangenheit und Freiheit, von Schönheit und Verfall erzählt, von Würde und Leidenschaft.
Schauspieler Ulrich Noethen ist in dieser Produktion der Erzähler, Gustav von Aschenbach wird von Rüdiger Vogler gesprochen. Hinzu kommt hier enefalls ein erfahrenes Sprecher-Ensemble, das auch diese Aufnahme zu einem mitreißenden Erlebnis werden lässt.
Jörg Konrad

Thomas Mann / Die großen Hörspiele
„Buddenbrooks – Der Zauberberg – Der Tod In Venedig“
der Hörverlag
(19 CD, Laufzeit: 19h 10)
Permalink zum ArtikelDiese Adresse können sie verwenden, um von ihrer Seite, ihrem Blog etc. direkt auf den Artikel zu verweisen.
Klicken sie dazu auf den Link und verwenden die Adresse in der Adressleiste, oder klicken mit der rechten Maustaste hier und kopieren den Link direkt.
Nach oben scrollenKlicken sie hier um schneller an den Anfang der Seite zu gelangen.
Autor: Siehe Artikel
Bilder
Dienstag 18.03.2025
Ulrich Rüdenauer „Abseits“
Ein kleines Dorf im Deutschland der Nachkriegszeit. Eine archaische Welt, in der der Pfarrer mit donnernder Stimme von Furcht und Demut predigt und der Lehrer seine Schüler mit Strafen und Beschimpfungen erzieht. Den Menschen steckt der Krieg noch in den Knochen, es gibt viel Arbeit und wenig Vergnügen, und über die Vergangenheit wird geschwiegen. Hier wächst der fast 9-jährige Richard auf dem Hof seines Onkels auf, zusammen mit Vettern und Cousinen, aber er gehört nicht dazu. Seine Eltern kennt er nicht, er wird geduldet, aber nicht geliebt.
In seinem ergreifenden Debütroman „Abseits“ erzählt der Journalist und Literaturkritiker Ulrich Rüdenauer von einer Kindheit, die eng mit der Zeit- und Ortsgeschichte verwoben ist. Rüdenauer wurde 1971 in Bad Mergentheim in Süddeutschland geboren, und obwohl der Name nie genannt wird, gibt es im Roman doch immer wieder Hinweise darauf, dass die Erzählung in der Nähe dieses Ortes spielt.
In einer Schlüsselszene wird geschildert, wie Richard staunend vor dem Bild steht, das die gute Stube des Bauernhofes schmückt. Zum ersten Mal nimmt er es bewusst wahr. Es zeigt die Mutter Gottes in einem roten Kleid und das lachende Kind auf ihrem Schoß. Umgeben sind beide von Blumen und Bäumen, und vom Himmel schaut der liebe Gott und nicht der strafende Gott des Pfarrers auf sie herab. Für Richard ist es ein Sehnsuchtsbild. Es zeigt die mütterliche Liebe und die Geborgenheit, die er nie erlebt hat, und eine Schönheit, die er aus seinem kargen Alltag nicht kennt. Das Original des Bildes, „Die Stuppacher Madonna“ von Matthias Grünewald - einen kleinen Ausschnitt davon zeigt auch das Cover des Buches - hängt in einer Kirche bei Bad Mergentheim.
Mit feinem Einfühlungsvermögen, in einer intensiven, poetischen Sprache nimmt uns Ulrich Rüdenauer mit hinein in die Erlebniswelt des Kindes. Richard wird als ein sensibler und fantasiebegabter Junge geschildert, doch Onkel und Tante lassen ihn immer spüren, dass er ihnen nur eine Last ist. Geredet wird ohnehin kaum in der Familie, und Richard wird vor allem geschimpft und geschlagen. Sein größter Schmerz ist, dass er nicht ahnt, woher er kommt und zu wem er gehört. Wie soll man ins Leben finden, wenn man nicht weiß, wer man eigentlich ist?
Und doch gibt es für ihn auch Momente von Glück. Zu seinen wenigen „guten Geistern“ gehört vor allem der Großvater. Er geht mit Richard in die Natur, zeigt ihm Tiere und Pflanzen. Ihm kann der Junge von seiner Trauer und seiner Angst erzählen. Und er spricht mit ihm und hört seinen tröstenden Rat auch dann noch, als der Großvater schon nicht mehr lebt. Immer wieder verschwimmen im Roman die Ebenen von Tag und Traum, Realität und Fantasie. In seinem Inneren kann Richard einen Zufluchtsort entstehen lassen, den ihm die Wirklichkeit verwehrt.
Ein Mensch, der es gut mit dem Kind meint, ist auch Herr Adler. In seinem Werkzeugladen darf Richard mithelfen, und zu dem debilen Angestellten mit dem fremdländischen Namen Adam fühlt er sich auf seltsame Weise hingezogen. Herr Adler ist es, der schließlich das Schweigen über Richards Herkunft bricht, ihm von seiner Mutter und seinem Vater erzählt. Es ist eine düstere Geschichte, die in die Kriegsjahre und zu Verbrechen der Nazis führt, und die Richard erst als Erwachsener ganz verstehen wird.
„Abseits“, der Titel des Buches, verweist nicht nur auf Richards Stellung in seiner Familie, sondern auch auf die Welt des Fußballs, der im Roman als Symbol der Hoffnung eine wichtige Rolle spielt. Nach dem „Wunder von Bern“, nachdem im Juli 1954 die deutsche Nationalelf überraschend das Finale der Fußball-WM gewonnen hatte, zogen sich im Herbst einige Spieler zu einer Kur nach Bad Mergentheim zurück. Diese historischen Tatsachen verwebt Rüdenauer im Roman auf fast märchenhafte Weise mit dem Schicksal seines Protagonisten.
Im Moment seiner größten Verzweiflung begegnet Richard im Kurpark des Ortes einem Mann namens Charly, in dem man den Nationalspieler Karl Mai erkennen kann. Charly schenkt dem frierenden Jungen seinen Mantel, ein Motiv, das man aus Heiligenlegenden kennt, und er gibt ihm hoffnungsvolle Worte mit auf den Weg: „Manchmal geschieht etwas, von dem man nicht träumen kann, und später kommt es einem vor wie ein Traum. Nichts ist vorhersagbar. Nicht das Schlechte. Aber auch das Gute nicht. Das Gute geschieht vielleicht sogar öfter…“
Ulrich Rüdenauer hat mit „Abseits“ ein ebenso trauriges wie schönes, aber nie kitschiges Buch geschrieben, das noch lange nachklingt.
Lilly Munzinger, Gauting

Ulrich Rüdenauer
„Abseits“
Berenberg
Permalink zum ArtikelDiese Adresse können sie verwenden, um von ihrer Seite, ihrem Blog etc. direkt auf den Artikel zu verweisen.
Klicken sie dazu auf den Link und verwenden die Adresse in der Adressleiste, oder klicken mit der rechten Maustaste hier und kopieren den Link direkt.
Nach oben scrollenKlicken sie hier um schneller an den Anfang der Seite zu gelangen.
Autor: Siehe Artikel
Bilder
Donnerstag 06.03.2025
Clemens Meyer „Die Projektoren“
Es ist ein wuchtiger Roman, den Clemens Meyer mit „Die Projektoren“ vorlegt, in jeder Hinsicht. Sowohl was den Umfang des Buches mit gut 1000 Seiten betrifft, als auch was die Vielseitigkeit der Erzählstränge betrifft. Meyer nimmt den Leser mit auf eine Reise ausgehend vom Thonberg (einem Leipziger Stadtteil, in dem sich über Jahrzehnte eine Psychiatrie befand), hin zum Velebit-Gebirge (einem Höhenmassiv an der Küste Kroatiens), weiter nach Dortmund, es geht vom Jemen bis in den Irak und auch wieder zurück. Meyer lässt einen (Dr.) Karl May in Lendenschurz auftreten, bei dem es sich um den sächsischen Autor von Abenteuerromanen handelt oder auch Lex Barker, der Old Shatterhand-Darsteller in den deutschen Winnetou-Produktionen, der hier aber in einer historisch verbrieften Psychiatrie in eben jenem Thonberg stationär behandelt wird. Es treten Widerstandskämpfer im 2. Weltkrieg auf, die später Komparsen-Rollen in eben jenen Winnetou-Filmen Anfang der 1960er Jahre ausfüllen und Rechtsradikale, die in NRW ihr Unwesen treiben. Es gibt Liebesgeschichten, Kriegsszenen, der Leser wird Zeuge der Massaker in Novi Sad 1942 und den späteren Winnetou-Filmen. Es geht kreuz und quer durch die europäische Geschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, auf verschiedenen Zeitebenen, mal in Richtung historischer Abhandlung, mal wähnt man sich mitten in comicartigen Situationen. Hier geben sich Pop- und Hochkultur die Hand, befinden sich scheinbare Paradoxen in einem ständigen Flirt mit-, um und gegeneinander. Alles wirkt wucht- und fantasievoll – aber auch verwirrend. Insofern gerät dieser gewaltige Roman ebenso emotional aufwühlend, wie er auch unernst und teilweise bedeutungsarm daherkommt.
Trotz allem strahlt „Die Projektoren“ in einem gewissen literarischen Charme. Meyer gelingt es, diese auf verschiedenen Zeitebenen spielende Geschichte wie einen Spaziergang, oder sagen wir besser, wie eine Jahrzehnte andauernde schweißtreibende Bergtour durch ein zerklüftetes Europa dazustellen. Eine Wanderung, die ihre Tücken hat, die wunderbare Aussichten bietet, auch faszinierende Visionen beinhaltet - um dann wieder vollste Konzentration zu verlangen und Grausamkeiten zu ertragen. Es gibt etliche Figuren, die der Realität entspringen – die dann aber völlig unhistorisch handeln. Dann wiederum gibt es historische Abhandlungen mit völlig imaginärem Personal.
Meyer macht es mit dieser manchmal skurrilen, manchmal unglaublich spannenden Erzählung dem Leser nicht immer leicht. Und es gibt immer wieder diese Momente, die den Leser etwas hilflos zurücklassen.
Ein historischer Tatsachenroman im Sinne der Aufklärung ist „Die Projektoren“ ganz sicher nicht. Vielleicht das Buch eines manischen Geschichtenerzählers, der alles und jeden in seinen literarischen Teppich geschickt und lesenswert mit einwebt.
Jörg Konrad

Clemens Meyer
„Die Projektoren“
S. Fischer
Permalink zum ArtikelDiese Adresse können sie verwenden, um von ihrer Seite, ihrem Blog etc. direkt auf den Artikel zu verweisen.
Klicken sie dazu auf den Link und verwenden die Adresse in der Adressleiste, oder klicken mit der rechten Maustaste hier und kopieren den Link direkt.
Nach oben scrollenKlicken sie hier um schneller an den Anfang der Seite zu gelangen.
Autor: Siehe Artikel
Bilder
Dienstag 21.01.2025
Reinhard Kleist: LOW – David Bowie’s Berlin Years
Kaum zu glauben, dass es bereits drei Jahre her ist seit Illustrator und Comiczeichner Reinhard Kleist seinen ersten Band über David Bowie’s Ziggy Stardust Years veröffentlicht hat. „Starman“ beleuchtete den Aufstieg des Ausnahmekünstlers und die Ziggy Stardust Ära. Nun ist endlich „Low“ erschienen, der zweite und abschließende Teil von Reinhard Kleists David Bowie's Year-Reihe. Erneut ist es ihm gelungen dieses hoch komplexe Kapitel aus Bowies Laufbahn tiefgehend zu ergründen und aufzuzeichnen. Sein Album „Low“ stellt einen markanten Wendepunkt seiner Karriere dar und den Beginn der sogenannten Berlin Trilogie.

Wir schreiben das Jahr 1976, Bowie ist gerade auf dem Höhepunkt seines Schaffens, gleichzeitig verfolgen ihn die Dämonen der Drogen, Stress mit seinem Manager und der nervenaufreibende Starrummel. Vom rastlosen Los Angeles, ohne Ruhe oder einen geeigneten Rückzugsort, führt Bowies Reise nach (West)-Berlin. Jene Stadt, die gestern wie heute ein Schmelztiegel ist für Kunst, Sub(kultur), unzählige Künstler inspiriert und hervorgebracht hat. Zu dieser Zeit endet jeder Ausflug in Berlin irgendwann an einer Mauer. Trotzdem fühlt sich Bowie befreit, das Pulsieren der Stadt und die Szene wirken sich positiv auf sein Schaffen aus, er erfindet sich in dieser Zeit neu und kreiert seinen nach wie vor visionären Sound. Kleists unverwechselbarer Zeichenstil zieht den Leser dabei förmlich in das Berlin der siebziger Jahre. Mit dabei in diesem Abenteuer sind natürlich Romy Haag, Begegnungen mit Mick Jagger, Brian Eno, Edgar Froese von Tangerine Dream und last not least Iggy Pop, mit dem er drei Jahre lang im fünfstöckigen Apartmenthaus in der Hauptstrasse 155 in Schöneberg zusammen lebte. Reinhard Kleists Geschichte ist mehr ein Trip als eine normale Graphic Novel. Gerade wenn man diese Zeit aktiv miterlebt hat stellen sich Flashbacks ein, wie bei Zitaten über die Musik von Kraftwerk, die Bowie seinerzeit mal als Vorgruppe engagieren wollte. Bei seiner Begeisterung für die Gruppen „Neu“ oder „Cluster“ fühlt man sich spontan in die siebziger Jahre zurück katapultiert. Kleist setzt Bowie‘s Berlin Years mit Liebe zum Detail um, vielem ist man seinerzeit selbst begegnet und verschollen geglaubte Erinnerungen tauchen beim Lesen plötzlich wieder auf: zum Beispiel die legendären Hansa Studios in unmittelbarer Nähe der Berliner Mauer, in deren Schatten Zeitgeschichte geschrieben wurde, der illustre Club S.O. 36 oder das wunderbare Brücke Museum.
Das Ganze wurde wieder brillant koloriert von Thomas Gilke, der mit Geschick und Fingerspitzengefühl die einzelnen Sequenzen der Story in atemberaubende Farben taucht.

Low umfasst 176 Seiten, mit einer wunderbaren Bildergalerie am Schluss, ist als Hardcover beim Carlsen Verlag erschienen und kostet in der Normalausgabe 25,-- € .
Zusätzlich erscheint wieder eine limitierte Sonderausgabe mit einem signierten Druck für 59,-- € .
Text: Thomas J. Krebs



Reinhard Kleist
"Low - David Bowie's Berlin Years | David Bowie in Berlin"
Carlsen
Permalink zum ArtikelDiese Adresse können sie verwenden, um von ihrer Seite, ihrem Blog etc. direkt auf den Artikel zu verweisen.
Klicken sie dazu auf den Link und verwenden die Adresse in der Adressleiste, oder klicken mit der rechten Maustaste hier und kopieren den Link direkt.
Nach oben scrollenKlicken sie hier um schneller an den Anfang der Seite zu gelangen.
Autor: Siehe Artikel
© 2025 kultkomplott.de | Impressum
Nutzungsbedingungen & Datenschutzerklärung
KultKomplott versteht sich als ein unabhängiges, kulturelle Strömungen aufnehmendes und reflektierendes Portal.