Hein, Jahrgang 1944, arbeitet sich in seinen Büchern schon seit Jahrzehnten an dem Thema DDR ab. Er kann als eine Art Geschichtsschreiber oder auch Chronist bezeichnet werden, dessen Empathie für die dort lebenden Menschen, ebenso wie seine Kritik an dem gesellschaftlichen Konstrukt, in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat, so dass er mittlerweile als eine ernst zu nehmende literarische Stimme in Ost und West wahrgenommen wird.
In seinem über 750-seitigem Roman „Das Narrenschiff“ erzählt Hein die Geschichte der DDR, von kurz vor ihrer Gründung, bis hin zu ihrer völligen Auflösung. Er macht diese Historie an drei Protagonisten fest, die allesamt einst aufgebrochen waren, um nach der Zeit des Dritten Reiches einen besseren Staat aufzubauen. Da ist Johannes, ein Ex-Nazi, der sich in einem sowjetischen Gefangenenlager zum Kommunisten wandelt, samt seiner Frau Yvonne und Tochter Kathinka. Dann der Kultur-Experte Kuckuck, ein schillernder „Vogel“ und Zyniker und Prof. Dr. Karsten Emser, Kommunist mit Hotel-Lux-Vergangenheit, Mitglied im SED-Zentralkomitee. Hein lässt die Figuren mit ihren jeweiligen Familien und Angehörigen die Geschichte der DDR mit all ihren Versäumnissen, Zurückweisungen und Unfähig- und Ungerechtigkeiten aufleben. Er konfrontiert seine Figuren mit dem Arbeiteraufstand 1953, dem Tod Stalins und der damit im Zusammenhang stehenden ideologischen Neuausrichtung, dem Bau der Mauer 1961, dem Prager Frühling 68 und dem Beginn der 89-Revolution.
All diese Ereignisse bedeuten jeweils einschneidende Veränderungen, sowohl im Alltagsgeschehen, als auch in den beruflichen Perspektiven dieser Protagonisten. Sie alle diskutieren nächtelang bei Doppelkorn und Wein, kommen dabei jedoch aus ihrer opportunistischen Blase, ihrem kleinbürgerlichen Vakuum nicht heraus. Weil sie alle, als Zugehörige der Nomenklatura, letztendlich auch Nutznießer dieses (Unrechts-)Systems sind.
So ist „Das Narrenschiff“ wie ein passiver Blick über den Gartenzaun eines von außen verordneten Gesellschaftssystems, in Richtung einer spießiger wie kriminellen Terrasse, die sich Kommunismus nennt. Hein erzählt zwar von den Zwängen und Neurosen und von dem Unrecht, das in einer solchen Gesellschaft regelrecht erblüht. Er erzählt von einer Clique von Despoten, die ihre Befehle aus der Moskauer Zentrale erhalten und die ihr Volk gnadenlos unterdrücken. Er beschreibt fast tagebuchartig, wie auf diese Weise Kreatives, Poetisches oder Tiefgründiges offiziell verloren geht und wie der nicht Willfährige erbarmungslos aus der Mitte der Gesellschaft an deren Rand und darüber hinaus gedrängt wird.
Doch letztendlich schildert Hein mit einem gewissen voyeuristischen Charme ein einseitiges Milieu. In der Geschichte fehlen die Opfer des Systems, jene, die dem Staat mutig entgegentraten, die im „Namen des Volkes“ eingesperrt und nicht selten auch getötet wurden. Dieser Schuss Realität hätte dem Buch gut getan.
Jörg Konrad
Christoph Hein
„Das Narrenschiff“
Suhrkamp
„Das Narrenschiff“
Suhrkamp