Mit nur vier Titeln dieses Albums, mit einer Gesamtlänge von knapp 32 Minuten, war
John Coltrane 38jährig endlich am Ziel einer langen wie intensiven musikalischen Reise. Mit vollem Risiko und doch auf eine wunderbar kontrollierte Weise schuf er mit „
A Love Supreme“ einen musikalischen Meilenstein, der bis heute deutliche Spuren in der universellen Jazzlandschaft hinterlassen hat. Ein expressives Meisterwerk, das die Geschichte des Jazz hörbar zum Ausdruck bringt und doch völlig neue Wege weist.
Der Saxophonist Coltrane spannte in diesem suitengleichen Jazz-Gebet auf einzigartige Weise einen spirituellen Bogen zwischen Himmel und Erde, zwischen dem Universum und der Realität. Er katapultierte sich mit seinen Sheet Of Sounds in unerreichte Höhen, verharrte dort und setzte anschließend zur geläuterten Landung an. Gestützt von einem vor Intensität glühendem Trio Gleichgesinnter, die sich untereinander blind verstanden und deren Hingabe zu spielen legendär war.
McCoy Tyner (Klavier),
Jimmy Garrison (Bass) und
Elvin Jones (Schlagzeug) zeichneten sich für ein Gerüst verantwortlich, dessen Statik bis dahin Ungehörtes möglich machte, dessen Verstrebungen kreative Freiräume ließ und selbst damalige Kritiker in der Analyse letztendlich überforderte.
Coltrane sprengte dank dieser Basis die Grenzen der modalen Grundlagen des Jazz in beeindruckender Entschlossenheit. Das „kraftvoll-hymnische“ seines Sounds bestach sowohl in seiner zugleich lyrischen Freiheit wie auch eindringlichen Schärfe. Die ständigen Steigerungen, das variierende und differenzierte Wiederholen von Themen und Motiven erinnerte an das „Call and Response“-Prinzip, wie es als Gestaltungsmittel in der afro-amerikanischen Musik traditionell genutzt wurde. Auf diese Weise bekam die Aufnahme, neben der Religiosität, eine zweite wichtige außermusikalische Dimension. Und diese beiden Botschaften, die der Spiritualität und die der kulturellen Aufarbeitung, haben ihre Gültigkeit über die Jahrzehnte bis heute nicht verloren.
Grund dafür ist aber auch die Klarheit, der durchdringende vibratolose Ton Coltranes, mit dem er unablässig neue Ideen zum Ausdruck brachte. Seine Phrasierungskunst ging unter die Haut, sie war ebenso radikal wie voller Liebe.
„A Love Supreme“, an einem einzigen Nachmittag im Dezember 1964 eingespielt, beinhaltete Ideen und Inspirationen, die Coltrane laut seiner Frau
Alice schon 1947 während seiner Zeit bei der US Navy hatte und die in den folgenden Jahren in ihm reiften. Insofern war das Ergebnis dieser Aufnahme ein sehr persönliches, bewusst initiiertes musikalisches Statement, das zugleich einen Wendepunkt in der künstlerischen Orientierung Coltranes bedeutete.
„
Mit Trane zu spielen, das war ein schöner Alptraum“, äußerte sich einmal der Schlagzeuger Roy Haynes über gemeinsame Auftritte mit dem Saxophonisten. Sein Pianist McCoy Tyner beschrieb Coltranes Herangehensweise einmal so: „
John fand, dass Musik wie das Universum ist …. Du schaust auf und siehst die Sterne, aber jenseits von ihnen sind viele andere Sterne. Er suchte nach den Sternen, die du nicht sehen kannst.“
Es ging bei Coltrane immer um die Suche nach einem sehr individuell ausgeprägten Weg, der trotzdem etwas Allgemeingültiges vermittelte. Er arbeitete stets sehr konzentriert. Egal ob er als Sideman im berühmten Quintett des Trompeters
Miles Davis zwischen 1955 bis 1960 spielte, oder gegen seine Heroinabhängigkeit ankämpfte. Die Ernsthaftigkeit seines Tuns hat viele Menschen in seinem direkten Umfeld stark beeindruckt.
Er war aber auch schon vor den Aufnahmen zu „A Love Supreme“ ein virtuoser Schwerarbeiter, der sich am Instrument aufbäumte, seine kühnen Themen predigte, als gäbe es kein morgen. Stand er nicht auf der Bühne oder im Studio übte er – oft stundenlang.
Doch erst als Coltrane den aus Philadelphia stammenden Tyner überreden konnte, bei ihm als Pianist einzusteigen, bekam seine Musik eine völlig neue Form. Tyner fand erst bei ihm zu diesen ungemein kraftvoll rhythmisierten Akkordfolgen, die zu seinem Markenzeichen werden sollten.
Joachim-Ernst Berendt, der Jazzkritiker, Autor und Produzent nannte ihn einmal den „ .... brüllenden Löwen am Steinway“.
Jimmy Garrison gehörte zu jenen Bassisten, die es verstanden, gegen anbrandende solistische Wellen nicht nur zu bestehen, sondern zugleich mit eigenen Ideen gegen diese anzuspielen. Er war kein stoischer Rhythmusknecht, sondern ein sehr sensibler, wie komplexer Bassspieler, der selbst ein lyrisches Vokabular auch für eigene solistische Ausflüge zu nutzen verstand.
Und dann Elvin Jones, dieser mächtige, melancholische Trommler. Bei ihm pulsierten die Rhythmen, sein Spiel hatte Feuer, er war flexibel, baute unablässig Ideen in seine Begleitung, die der Gesamtmusik eine irdische Grundlage gaben. Er brachte mit seinen intensiven Spannungsbögen eine instrumentale Freiheit in die Aufnahmen, wie man sie von Schlagzeugern bis dahin nicht kannte.
Alle harmonierten in diesem Quartett großartig. Sie fühlten sich miteinander wohl und wussten relativ genau, dass sie mit „A Love Supreme“ Großes vollbrachten. Doch gleichzeitig brachte diese intensive Erfahrung, diese ruhelose Suche nach dem ganz individuellen Jazz-Graal den 38jährigen Saxophonisten an seine körperlichen und mentalen Grenzen. Das Ergebnis dieser und auch folgender Einspielungen waren es ihm jedoch wert. Nur zweieinhalb Jahre später starb Coltrane.
Jörg Konrad
John Coltrane
„A Love Supreme“
Impulse!