Es ging alles ein wenig arg schnell. Und das schon, bevor das erste Wort aus Nelio Biedermanns Roman „Lázár“ offiziell erschien. Da waren die Verträge nämlich schon unter Dach und Fach, dass dieser gut 330 Seiten starke Debüt-Roman in 20 Ländern erscheinen würde. Der Autor: Gerade einmal 22 Jahre. Stürmte hier ein Jahrhunderttalent das erste Dutzend der Bestsellerplätze? Der Marketing-Plan war auf jeden Fall wirkungsvoll.
„Lázár“ ist eine Familiengeschichte, in deren Mittelpunkt Lajos steht, ein um 1920 geborener Adliger „ … das durchsichtige Kind mit den wasserblauen Augen …“. Lajos wächst im Kreise eine komplexen Familiendynamik im Waldschloss im Süden Ungarns auf, einem ebenso mythenumwobenen wie von harter Realität gezeichneten Ort. Er erlebt von hier aus den endgültigen Untergang der österreichisch-ungarischen Monarchie, das Aufkeimen von totalitären Systemen und auch das Erlernen der Kunst des Überlebens nimmt von hier aus seinen Lauf.
Es sind etliche kleine Lebensgeschichten, Ausschnitte und Anekdoten, eingebettet in die große europäische Weltgeschichte, die Nelio Biedermann hier miteinander geschickt wie emotional verzahnt. Das Aufbrausen und Lärmen der Weltgeschichte ist allenthalben zu spüren, ob in der verruchten Nazizeit oder während der Schreckenseroberung und anschließenden Schreckensherrschaft der Sowjetunion, bis in die Hoffnung suggerierenden 1950er Jahre.
Biedermann bricht diese ganze gesellschaftliche Katastrophenstimmung immer wieder mit kleinen erotischen Szenen auf und lässt zudem ein ganzes Tableau an Weltliteraten durch die Szenerien geistern. So wird der geistige Verfall von Imres Onkel mit Zitaten aus E.T.A. Hoffmanns „Nachtstücken“ kommentiert, Simone de Beauvoir und Virginia Woolf stehen für ein von Feminismus gezeichnetes Frauenbild von Imres Töchtern, es werden Thomas Mann und Arthur Schnitzler bemüht und so bekommt diese ganze Geschichte einen hehren Anspruch, den der 22jährige zwar literarisch wunderbar formuliert, aber zusammenfassend doch nicht durchgängig erfüllen kann.
Der Text selbst berührt in seiner unaufgeregten prosaischen Art. Hier hat einer den passenden Ton gefunden - auch für die Zeit in der wir leben und dieses Buch schließlich lesen. Denn diese Zeit ist in ihrer ganzen Ungeheuerlichkeit die der vergangenen Epochen.
Hoffen wir, dass Nelio Biedermann nicht über die Maßen zu einem medialen Ereignis stilisiert wird, dass er nicht in Talkshows und anderweitigen Gesprächsrunden inflatiös herumgereicht wird, bis von seiner bemerkenswerte Authentizität und seinem absoluten Talent nur noch wenig übrig ist. Aber wie will jemand, der schon jetzt derartigen Erfolg hat, bei sich bleiben? Aber warten wir, was nocht kommt. Gespannt sind wir allemal.
Alfred Esser
Nelio Biedermann
„Lázár“
Rowohlt


























