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19. Joey Baron & Robyn Schulkowsky „Now You Hear Me“
20. Pierre Favre „Singing Drums“
21. Ronald Shannon Jackson „Pulse“
22. Günter Baby Sommer „Dedications“ & Joe Farnsworth Quartet „My Heroes...
23. Jack DeJohnette „Pictures“
24. Max Roach „Drums Unlimited“
Montag 09.01.2023
Joey Baron & Robyn Schulkowsky „Now You Hear Me“
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Trommeln ist so alt wie die Menschheit. Es ist der Puls der verschiedenen Kulturen. Oder, wie Dieter Bachmann einmal schrieb: „Trommeln heißt nichts anderes, als der fließenden Zeit eine Einteilung aufzuprägen“. Und die Trommler, heute sagt man eher Schlagzeuger oder Schlagwerker, sind somit die ordnenden Hüter der Zeit. Wenn nun mehrere solcher Schlagwerker aufeinandertreffen, wenn also dem einen Puls ein zweiter gegenüber gestellt wird, wie mag das klingen? Entsprechend der Persönlichkeit und Individualität der beiden immer wieder anders.
Im März 2016 haben sich in Berlin zwei trommelnde Instrumentalisten im Studio getroffen und sind miteinander in einen Dialog getreten, der jetzt beim Schweizer Label Intakt vorliegt. Joey Baron gehört zu den wohl derzeit am häufigsten gebuchten Sideman der Jazzszene. Der Amerikaner beherrscht nicht nur ein Arsenal an Perkussionsinstrumenten, er begleitet mit ihnen auch so unterschiedliche Stilisten wie John Zorn, Dizzy Gillespie, Marianne Faithfull oder Irene Schweizer. In seinem Einfühlungsvermögen, seiner Spontanität und seinem rhythmischen Puls scheinen ihm keine Grenzen gesetzt. Robyn Schulkowsky ist eine der führenden und gesuchtesten Perkussionistinnen der modernen Klassik, seit vielen Jahren Soloschlagzeugerin verschiedener Orchester und Komponistin für Perkussionsensemble.
Auf „Now You Hear Me“ befinden sich vier Stücke, die im freien Dialog die Welt rhythmisch zum Klingen bringen. Hier findet sich traditionelles Pulsieren neben strukturellen Polyrhythmen, energetisches Donnergrollen neben fein ziselierter Beckenarbeit, differenziertes Signalgeben neben komplexen Ausrufezeichen. Dabei ist alles im Fluss, gehen perkussive Andeutungen in klare Formulierungen über und umgekehrt. Archaische Trommelrituale verbinden sich mit intellektuellen Akzenten. Alles auf diesem Album ist Interaktion, steht in einer dynamischen Wechselbeziehung und wirkt dadurch überzeugend. „Now You Hears Me“ bietet in seinen rhythmischen Dialekten subtile Spannung. Ein grandioses Vergnügen, für Kopf und Bauch, weil: Hier haben sich zwei außergewöhnliche Rhythmiker gesucht - und gefunden.
Jörg Konrad

Joey Baron & Robyn Schulkowsky
„Now You Hear Me“
(Intakt, 2018)
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Freitag 06.01.2023
Pierre Favre „Singing Drums“
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Der Rhythmus ist der Herzschlag des Jazz, dessen Wurzeln sich in Afrika befinden. Doch es gibt in diesem Metier auch einige europäische Vollblutschlagzeuger, die dem Instrument eine völlig eigenständige und nicht allein vom Swing bestimmte Note geben. Einer von ihnen ist Pierre Favre. Geboren 1937 in dem kleinen Ort Le Locle, im Schweizer Kanton Neuenburg, musizierte er als Autodidakt schon Mitte der 1950er Jahre im Profilager des Jazz. Anfangs noch ein glühender Verfechter des Bebop - der auch dem traditionellen Jazz offen gegenüber stand - bestimmte er anschließend als treibender Motor in führenden europäischen Big Bands den Takt. 1976 entschloss sich Favre mit einem riesigen Arsenal an Gongs, Cymbals, Becken und Trommeln solistisch aufzutreten und bis heute Alben aufzunehmen. „Das Körperliche, Artistische, Physische übt auf mich keine Faszination aus“, erzählte er vor einigen Jahren in einem Interview mit Patrick Landolt. Und „ … ich gebe mir Mühe, mit einem unmusikalischen Instrument sehr viel Musik zu machen.“
So hat sich Favre zu einem Klangmaler entwickelt, einem Tonpoeten am Schlagwerk, das bei ihm so gar nicht arachaisch klingt. Selbst in seinem Solospiel ist eine Art orchestrale Vielfalt an Farben und Atmosphären zu spüren, die dem Ergebnis einer Vielstimmigkeit von Einflüssen geschuldet ist. Mit einer sanften Dringlichkeit kommt seine überragende Klangästhetik zum Ausdruck. Er gehört zu jenen Musikern, die in der Lage sind, an ihrem Instrument Geschichten zu erzählen, packende Geschichten, die zärtlich und formbewusst klingen.
Diese Herangehensweise hat Favre seit Mitte der 1980er Jahre mit seinem Ensemble Singing Drums dann noch erweitert. Es ging ihm um einen perkussiven Austausch von Kulturen und Persönlichkeiten. Hierfür holte er in sein Quartett den amerikanische Schlagzeuger Paul Motian (1931 – 2011), den Schweizer Meistertrommler Fredy Studer (1948 – 2022) und den brasilianischen Perkussionisten Nana Vasconcelos (1944 – 2016). Und wie die Vier hier Miteinander musizieren, kommt einem freien Gedankenaustausch sehr nahe. Ein rhythmischer Dialog der Kulturen Nord- und Südmarikas, sowie Eurpas, auf der Grundlage des Jazz-Drummings. Alle gehen sie hier gemeinsame Wege, sich untereinander unterstützend, ergänzend, assistierend, um dann die kollektiven Pfade für individuelle Abenteuer zu verlassen. Letztendlich kommen dann alle mit den unterwegs gesammelten Erfahrungen in die Gemeinschaft zurück und Neues entsteht. Sie schaffen eine Balance zwischen An- und Entspannung, sie bauen dramaturgisch an einem Gerüst und lassen es wieder in sich zusammenfallen, sie wechseln zwischen Präzision und Freiheit und übersteigen so alle Grenzen und Vorurteile. Trommeln als gelebte Völkerverständigung – in diesem Fall weit mehr als eine Metapher.
Jörg Konrad

Pierre Favre
„Singing Drums“
(ECM, 1984)
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Mittwoch 04.01.2023
Ronald Shannon Jackson „Pulse“
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William Shakespeare und Edgar Allan Poe vereint, dass sie ihre Geschichten, Tragödien und Gedichte mit wahnhaften Charakteren anreichern. Teils handelt es sich um historische Figuren und ihre dramatischen, oft an Paranoia angelegten Lebensläufe (Shakespeare), teils handelt es sich um fiktive Gestalten, die in irrationale Handlungsabläufe geraten bzw. aufgrund eigener seelischer Phantasmen absurdes erleben (Poe).
Ronald Shannon Jackson (1940 - 2013), Schlagzeuger aus Fort Worth, Texas, und Gallionsfigur des sogenannten Free-Funk, brachte auf dem Album „Pulse“ zwei Texte der Autoren in einem Solo-Stück unter: „Richard III, Raven“. Jackson gelingt es, aufgrund seiner schwer berechenbaren Licks und der Spontanität nonkonformistische Charaktere zu formen. Sein körperbetonter Trommel-Stil, die explosionsartigen Offensiven, die Einbeziehung von abrupten Momenten der Stille, die immer neuen Wendungen vom Blues zum Swing, vom Funk zum Free, vom Rock zum (African-)Folk, von simplen Takten zu Polyrhythmen. All dies kommt den sprunghaften, abseitigen, unkonventionellen Figuren des englischen Dramatikers und des amerikanischen Erzählers sehr entgegen. Jacksons Puls lebt von ungraden Metren, von Energie und harten Breaks. Er verbindet in seinem Spiel das Ursprüngliche und das Zivilisatorische, was immer ein wenig nach dem wohl geordneten Chaos klingt. Oder nennen wir es eine organisierte Unabhängigkeit, die jede Kommerzialität ausspart und als eine Art strukturierter Naturgewalt zu verstehen ist. Im Zusammenspiel mit der spektakulären Technik ist die Kunst des Trommlers nach allen Seiten offen, so dass er auch mühelos seine Stimme einbringen kann. Er schnalzt, schnurrt und knurrt, jodelt kehlig, inhaliert Vokale, er ist auch vokal ein rhythmisches Kraftwerk, das schaudernd macht, oder zumindest gewaltig aufwühlt. So wird „Richard III, Raven“ zum Herzstück dieses Albums – man sollte es zum Schluss hören, weil danach nichts mehr klingt wie zuvor!
Jörg Konrad

Ronald Shannon Jackson
„Pulse“
(Celluloid, 1984)

„Pulse“ ist nur noch antiquarisch auf Vinyl zu bekommen.
Die 1999 erschiene CD „Puttin' on Dog“ (Knitting Factory) enthält sämtliche Aufnahmen von „Pulse“. Jedoch wurde die Reihenfolge der Titel verändert.
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Dienstag 03.01.2023
Günter Baby Sommer „Dedications“ & Joe Farnsworth Quartet „My Heroes“
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Sehr viel verschiedener können zwei Schlagzeuger im Modern Jazz kaum sein. Der eine gehört zu den individuellsten, eigenwilligsten, unberechenbarsten Klangabenteurern. Einer, der sich an sein Instrumentarium, das, zugegeben, nicht immer wie ein Schlagzeug im herkömmlichen Sinn aussieht, ganz vorsichtig herantastet. Beinahe zaghaft nimmt er Kontakt auf mit all den Hölzern, Blechen, Keramiken, die um ihn herum liegen. Er reibt, schlägt, wischt, deutet manchmal nur an und erzeugt auf dem Sammelsurium von Gegenständen verschiedenartige Sounds, in die er sich an Intensität steigernde Rhythmen einbaut, sie schreiend in ein dröhnendes Donnerwetter verwandelt - bis er fiebrig wie der Teufel swingt. Sein Name: Günter „Baby“ Sommer.
Der andere zählt akribisch die Zeit, hält den Puls, ist die personifizierte Verlässlichkeit, wenn es um Hardbop geht. Er treibt als Sideman seine Band an und vor sich her, er zügelt das Tempo, läutet Wechsel mit trocknen Breaks ein. Von jeglicher Schwerkraft losgelöst scheinend, bearbeitet er High Hat, Becken, Trommeln, tritt energisch die Fußmaschine. Dieser Drummer braucht kein Metronom. Seine Achtel und Sechzehntel setzen, was die Dynamik und die Präzision betrifft, Maßstäbe für jedes gut geölte Zugpferd im Jazz. Sein Name: Joe Farnswort.
Und trotz ihrer Unterschiedlichkeit berufen sich beide auf die gleichen Wurzeln, haben die Geschichte ihres Instruments aufgesogen und verinnerlicht und verehren von ganzem Herzen all jene Schlagzeuger, ohne die der Jazz in seiner heutigen Form nicht denkbar wäre: Baby Dodds, Max Roach, Art Blakey, Philly Joe Jones.
Sommer hat vor einigen Monaten „Dedications“ veröffentlicht, das in acht Solo-Titeln seinen Helden huldigt. Eingespielt beim Rundfunk Berlin Brandenburg in einem mit ungezählten Utensilien vollgepackten Studio, verneigt er sich improvisierend tief vor eben jenen Trommlern, ohne sich ihnen dabei formal zu nähern, oder gar anzupassen. Sommer bleibt Sommer – und genau das ist das Geheimnis des Jazz. Alles zu lernen, was die Geschichte und die Gegenwart hergeben und im entscheidenden Moment des Spiels das alles wieder zu vergessen. Der Dresdner schafft dies grandios.
Wie auch Joe Farnsworth. Der aus Massachusetts stammende Schlagzeuger hat für „My Heroes“ auf Mitmusiker zurückgegriffen, mit denen er schon seit vielen Jahren zusammenarbeitet: der großartige, der überragende Tenorist Eric Alexander, der erfahrene Pianist Harold Mabern und Farnsworth alter Kumpel Nat Reeves am Bass. Dieses Album kommt seinen Helden in Stil und Ausdruck etwas näher. Auffällig ist der abgeklärte Schwung, mit dem sich die vier dem Repertoire (unter anderem Titel von Clifford Brown, Dizzy Gillespie und John Coltrane) widmen. Farnworth spielt die mörderischen Rimshots eines Philly Joe Jones, er explodiert wie Buddy Rich, spielt mit der Dynamik eines Art Blakey und mit der machtvollen Melancholie eines Elvin Jones.
Jörg Konrad

Günter Baby Sommer
„Dedications“
(Intakt, 2013)

Joe Farnsworth Quartet
„My Heroes“
(Venus, 2016)
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Freitag 30.12.2022
Jack DeJohnette „Pictures“
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Im Laufe seiner mittlerweile über fünfeinhalb Jahrzehnten andauernden Karriere hat er weit über 40 Aufnahmen unter eigenem Namen veröffentlicht. Als Sideman dürften es an die Tausend sein. Jack DeJohnette gehört unter den modernen Schlagzeugern im Jazz zu den Vielseitigsten, den Druckvollsten, den Dynamischsten, zu den Musikalischsten und ist aufgrund dessen einer der Gefragtesten Begleiter.
Geboren 1942 in Chicago erhielt er ab seinem vierten Lebensjahr Klavierunterricht. Erst mit achtzehn begann er sich autodidaktisch intensiver mit dem Schlagzeug zu beschäftigen. „Wenn ich geübt oder einen Gig gespielt habe, dann habe ich mich um musikalische Einfälle bemüht“, sagte er vor vielen Jahren in einem Interview. Jack spielt von Beginn an die unterschiedlichste Musik, von Avantgarde bis Rhythm & Blues, er kann lebhaft swingen wie die großen Drummer der 1930er Jahre, besitzt ein Faible für Musik, die man seit ein paar Jahren in den Bereich der Weltmusik verortet, er liebt knackigen Rock'n Roll und ist in der Lage Jazzsängerinnen einfühlsam zu begleiten. Immer steht bei ihm die Musik in ihrer Ganzheitlichkeit im Zentrum. Dieser ordnet er sein Spiel unter, lässt sich von ihr inspirieren und gibt ihr eigene Ideen und Denkanstöße zurück. Diese im Grunde instrospektive Arbeitsweise ist bei Trommlern die Ausnahme. Ebenfalls außergewöhnlich die Tatsache, dass der hauptamtliche Schlagzeuger nicht nur bei einzelnen Titeln den Klavierpart übernimmt. Jack spielte im Laufe seiner Karriere etliche Piano- und Synthesizer-Alben ein.
1966 erhielt er ein Engagement beim damaligen Jazz-Idol Charles Lloyd – an der Seite von Keith Jarrett. Dort wurde Miles Davis auf ihn aufmerksam, der ihn anschließend für seine ersten elektrischen Besetzungen engagierte. So gehörte Jack auch zur Besetzung der legendären „Bitches Brew“-Session. Es folgten Engagements bei Stan Getz, Chick Corea, Joe Henderson, Freddie Hubbard und vielen anderen großen Leadern - bis er 1973 erneut mit Keith Jarrett zusammentraf und für ECM München das Duo-Album „Ruta and Daitya“ veröffentlichte. Es war der Beginn einer Zusammenarbeit, die über vier Jahrzehnte anhielt, was sich in Dutzenden Titeln dokumentiert.
Sein erstes Schlagzeug-Solo-Album (natürlich mit Klavier- und Synthesizer Beiträgen) entstand 1976 in den Osloer Talent Studios. „Pictures“ ist eine Ansammlung von kurzen, zwar stillen, aber in dieser Stille sehr intensiven Aufnahmen. Impressionen voller Anmut, als würde Jack sein Instrument erkunden, es zum Singen bringen, Atmosphären einfangen. Es ist das Ergebnis von überragendem Handwerk, das sich mit überragender Schöpferkraft auf Augenhöhe befindet. Ebenso virtuos eingespielt, wie die Tiefen der Seele auslotend. Abstrakte Kammermusik, wie man sie von Schlagzeugern bis dahin nicht gekannt hat. Der Gegenentwurf zu allem, für das Jack zuvor bekannt wurde. Für drei Aufnahmen hat er sich den Gitarristen John Abercrombie mit ins Studio geholt, ein ebenso sensibler wie couragierter Begleiter, der hier mit seinen melancholisch verschatteten Impressionen die Musik um eine zusätzliche magische Stimme erweitert.
Jörg Konrad

Jack DeJohnette
„Pictures“
(ECM, 1976)
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Autor: Siehe Artikel
Mittwoch 28.12.2022
Max Roach „Drums Unlimited“
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Seine Plattenfirma Verve, für die er einige Alben einspielte, nannte ihn in einem Nachruf den „leidenschaftlichen Bürgerrechtler und Kämpfer für den sozialen Wandel“. Maxwell Lemuel „MaxRoach war beides. Einer der prägendsten Bebop Schlagzeuger, der „Schrittmacher des Jazz“, wie ihn eine deutsche Tageszeitung einmal nannte und ein zorniger junger Intellektueller, der für die Anerkennung und Würde der schwarzen amerikanischen Kultur stritt.
Schon mit 16(!) spielte er bei Duke Ellington, der die besonderen Fähigkeiten des 1924 in North Carolina geborenen Sohnes eines Farmers früh erkannte. Zu seinen ersten Mentoren gehörte Kenny „Klook“ Clarke, der mit Louis Armstrong ebenso hingebungsvoll spielte, wie mit Lester Young, Charlie Parker und Stan Getz.
Roach war es, der dem Schlagzeug eine Seele gab, es aus seiner Rolle als Ansammlung von Fellen und Becken befreite und zugleich intensiv die Tradition der Trommeln in seine Musik einbezog – und die lag nun einmal in Afrika.
„Man muss mit dem Rhythmus das tun, was Johann Sebastian Bach mit der Melodie getan hat“, ist eines seiner bekannteren Zitate. Und oft hatte man tatsächlich das Gefühl, er könne sogar am Schlagzeug Melodien spielen - oder zumindest songähnliche Strukturen am Drumset entwickeln. Man muss sich nur ein paar seiner Solosequenzen anhören, zu denen er oft nur das High Hat und die Snaredrum brauchte.
Drums Unlimited“ wurde 1965/66 eingespielt, wobei sich die Musik zwischen Bebop und Avantgarde bewegte. Gekennzeichnet ist die komplette Aufnahme jedoch noch immer von swingenden Phrasierungen und magischen Schlagfolgen. Gleich das Eröffnungsstück „The Drum Also Waltzes“ gehört zu den berührendsten Schlagzeugsolos. Es ist eine rhythmisch-architektonische Meisterleistung von Roach. Kaum ein Schlagzeuger setzt die Wechsel zwischen Disziplin und Ekstase derart geschickt ein. Es ist eine Art Erzählung, deren Inhalte in Afrika und New Orleans angelegt sind, die New York dokumentieren und im Walzer auch europäischen Wurzeln entsprechen.
Das Titelstück ist ebenfalls eine Solonummer, die weitaus energiereicher angelegt ist und zeitweise vor Intensität zu bersten scheint. Roach trommelt eine polymetrische Musik in absolut technischer Brillanz. Kein Schlag zu wenig, kein Break zuviel. Die Dramaturgie ist geschickt aufgebaut. Hier steht nicht das Ego im Vordergrund, sondern die Botschaft – das getrommelte Gedächtnis Afrikas, wie es Hans-Jürgen Schaal einmal nannte.
Drittes Solostück: „For Big Sid“, eine Reminiszenz an Sid Catlett, die Swingmachine aus Chicago. Natürlich bleibt Roach auch hier seinem Stil treu, in dem er ständig die Muster wechselt, faszinierende Pattern aneinanderreiht und dadurch einen über die Ufer tretenden Fluss von Polyrhythmen erzeugt.
Der Modern-Drummer hat kein Problem, den alten und doch ewig jungen „St. Louis Blues“ mit ins Repertoire zu nehmen. Aber hier wird er nicht tragisch/melancholisch interpretiert, sondern druckvoll, in hoher Geschwindigkeit und ausgestattet mit allen solistischen Finessen der beteiligten Band. Allen voran die Saxophonisten James Spaulding und Roland Alexander sowie der Trompeter Freddie Hubbard. Roach treibt immanent den Puls an, ja vor sich her. Er lenkt die Band wie eine Herde in immer neue Richtungen, führt sie durch enge Schluchten und laszive Stadtteile. Denn Blues so zu spielen, dazu bedarf es schon eines enormen Selbstbewusstseins.
Bis zu seinem Tod im August 2007 hat Roach ein so breites Spektrum unterschiedlicher Musik hinterlassen, wie kaum ein anderer. Jeder Rückblick auf seine Person wäre unvollständig, würde man nicht auch Roachs Perkussionsensemble M'Boom erwähnen, seine instrumentalen Auseinandersetzungen mit Buddy Rich, natürlich die Duo-Aufnahmen mit Dizzy Gillespie, Anthony Braxton, Cecil Taylor, Archie Shepp, das Meisterwerk „We Insist! The Freedom Now Suite“ mit der Sängerin Abbey Lincoln, oder seine Arbeit in der Eisenacher Sankt-Georgs-Kirche mit europäischer Orgelmusik, Texten von Martin Luther King, Tänzerinnen der Donald Byrd Dance Group im September 1996. „Ich werde nie wieder etwas spielen, das nicht von sozialer Bedeutung ist“, sagte Roach schon 1960. Und er behielt recht.
Jörg Konrad

Max Roach
„Drums Unlimited“
(Atlantic, 1966)
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Autor: Siehe Artikel
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