Seine Plattenfirma Verve, für die er einige Alben einspielte, nannte ihn in einem Nachruf den „leidenschaftlichen Bürgerrechtler und Kämpfer für den sozialen Wandel“. Maxwell Lemuel „
Max“
Roach war beides. Einer der prägendsten Bebop Schlagzeuger, der „Schrittmacher des Jazz“, wie ihn eine deutsche Tageszeitung einmal nannte und ein zorniger junger Intellektueller, der für die Anerkennung und Würde der schwarzen amerikanischen Kultur stritt.
Schon mit 16(!) spielte er bei
Duke Ellington, der die besonderen Fähigkeiten des 1924 in North Carolina geborenen Sohnes eines Farmers früh erkannte. Zu seinen ersten Mentoren gehörte
Kenny „Klook“ Clarke, der mit
Louis Armstrong ebenso hingebungsvoll spielte, wie mit
Lester Young, Charlie Parker und
Stan Getz.
Roach war es, der dem Schlagzeug eine Seele gab, es aus seiner Rolle als Ansammlung von Fellen und Becken befreite und zugleich intensiv die Tradition der Trommeln in seine Musik einbezog – und die lag nun einmal in Afrika.
„Man muss mit dem Rhythmus das tun, was
Johann Sebastian Bach mit der Melodie getan hat“, ist eines seiner bekannteren Zitate. Und oft hatte man tatsächlich das Gefühl, er könne sogar am Schlagzeug Melodien spielen - oder zumindest songähnliche Strukturen am Drumset entwickeln. Man muss sich nur ein paar seiner Solosequenzen anhören, zu denen er oft nur das High Hat und die Snaredrum brauchte.
„
Drums Unlimited“ wurde 1965/66 eingespielt, wobei sich die Musik zwischen Bebop und Avantgarde bewegte. Gekennzeichnet ist die komplette Aufnahme jedoch noch immer von swingenden Phrasierungen und magischen Schlagfolgen. Gleich das Eröffnungsstück „The Drum Also Waltzes“ gehört zu den berührendsten Schlagzeugsolos. Es ist eine rhythmisch-architektonische Meisterleistung von Roach. Kaum ein Schlagzeuger setzt die Wechsel zwischen Disziplin und Ekstase derart geschickt ein. Es ist eine Art Erzählung, deren Inhalte in Afrika und New Orleans angelegt sind, die New York dokumentieren und im Walzer auch europäischen Wurzeln entsprechen.
Das Titelstück ist ebenfalls eine Solonummer, die weitaus energiereicher angelegt ist und zeitweise vor Intensität zu bersten scheint. Roach trommelt eine polymetrische Musik in absolut technischer Brillanz. Kein Schlag zu wenig, kein Break zuviel. Die Dramaturgie ist geschickt aufgebaut. Hier steht nicht das Ego im Vordergrund, sondern die Botschaft – das getrommelte Gedächtnis Afrikas, wie es
Hans-Jürgen Schaal einmal nannte.
Drittes Solostück: „For Big Sid“, eine Reminiszenz an
Sid Catlett, die Swingmachine aus Chicago. Natürlich bleibt Roach auch hier seinem Stil treu, in dem er ständig die Muster wechselt, faszinierende Pattern aneinanderreiht und dadurch einen über die Ufer tretenden Fluss von Polyrhythmen erzeugt.
Der Modern-Drummer hat kein Problem, den alten und doch ewig jungen „St. Louis Blues“ mit ins Repertoire zu nehmen. Aber hier wird er nicht tragisch/melancholisch interpretiert, sondern druckvoll, in hoher Geschwindigkeit und ausgestattet mit allen solistischen Finessen der beteiligten Band. Allen voran die Saxophonisten
James Spaulding und
Roland Alexander sowie der Trompeter
Freddie Hubbard. Roach treibt immanent den Puls an, ja vor sich her. Er lenkt die Band wie eine Herde in immer neue Richtungen, führt sie durch enge Schluchten und laszive Stadtteile. Denn Blues so zu spielen, dazu bedarf es schon eines enormen Selbstbewusstseins.
Bis zu seinem Tod im August 2007 hat Roach ein so breites Spektrum unterschiedlicher Musik hinterlassen, wie kaum ein anderer. Jeder Rückblick auf seine Person wäre unvollständig, würde man nicht auch Roachs Perkussionsensemble M'Boom erwähnen, seine instrumentalen Auseinandersetzungen mit
Buddy Rich, natürlich die Duo-Aufnahmen mit
Dizzy Gillespie, Anthony Braxton, Cecil Taylor, Archie Shepp, das Meisterwerk „We Insist! The Freedom Now Suite“ mit der Sängerin
Abbey Lincoln, oder seine Arbeit in der Eisenacher Sankt-Georgs-Kirche mit europäischer Orgelmusik, Texten von
Martin Luther King, Tänzerinnen der
Donald Byrd Dance Group im September 1996. „Ich werde nie wieder etwas spielen, das nicht von sozialer Bedeutung ist“, sagte Roach schon 1960. Und er behielt recht.
Jörg Konrad
Max Roach
„Drums Unlimited“
(Atlantic, 1966)