Landsberg. Nikolai Wassiljewitsch Gogol war eine exzentrische Persönlichkeit. Vielleicht ähnelte er ja in bestimmten Lebensabschnitten, zumindest was Wesen und Charakter eines Beamten betrifft, einigen der Hauptfiguren aus seinen literarischen Arbeiten. So zum Beispiel dem Stadthauptmann Anton Antonowitsch Skwosnik-Dmuchanowskij in der Komödie „Der Revisor“, die am vergangenen Dienstag vom Landestheater Tübingen im Stadttheater Landsberg aufgeführt wurde. Ein Stück, das Gogol 1835, damals 25jährig, in seiner St. Petersburger Zeit und unter dem Einfluss seines Freundes Puschkin schrieb. Hier karikierte und entlarvte Gogol, der selbst einige Jahre Beamter im Staatsdienst war, die überhebliche, korrumpierbare wie opportunistische Lebensart des russischen Bürgertums auf Schärfste. Menschliche Eigenschaften, die nicht nur die damalige Zeit vor Ort bestimmten, sondern bis heute ihre Spuren hinterlassen haben.
Das Landestheater Tübingen hält sich unter der Regie von Gregor Ture?ek textlich schon recht nahe am Original. In einer russischen Provinzstadt wird durch einen abgefangenen Brief bekannt, dass, natürlich incognito, ein Revisor zur Inspektion erscheinen wird. Die Honoratioren der Stadt stehen Kopf, reagieren panisch, weil damit ihre Täuschungen, Betrügereien und Korruptionen auffliegen könnten. Allen voran Stadthauptmann Anton Antonowitsch Skwosnik-Dmuchanowskij, in seiner ironischen Naivität wunderbar verkörpert von Gilbert Mieroph.
Nun verwechselt das aufgeschreckte Bürgertum den angekündigten Revisor mit einem zufälligen Gast, der von Stephan Weber arrogant breitspurig in Szene gesetzt wird und der samt Diener im Wirtshaus des Ortes abgestiegen ist. Womit das Verwirrspiel beginnt.
Abgesehen vom Text inszeniert Gregor Ture?ek das Stück als eine funkenstiebende, alle Register der Albernheit ziehende Trash-Komödie. Angefangen beim Bühnenbild (Juliette Collas), einem cremefarbenen Schwimmbad in geometrischen Grundformen, weiter über die Kostüme, der Stadthauptmann in einer Fantasieuniform mit kurzen Hosen und Schwimmflossen oder die beiden Gutsbesitzer Bobtschinskij und Dobtschinskij in weißer Badehose und grüner Badekappe, bis hin zu hysterischen Slapstickeinlagen und Videosequenzen samt Rock-Roll Musik - Ture?ek und sein Ensemble geben einfach Vollgas.
Und das ist zugleich das Beste was sie diesem Stück antun können. Eben nicht die kritischen Sichtweisen und Anleihen samt ihren Bezügen in die Gegenwart korrekt zu persiflieren, sondern die Realitäten mit vollem Risiko und spöttisch zu brandmarken, sie wie ein unterbelichtetes Musical ausstaffieren, um damit die Absurdität von Filz und Opportunismus und Bürokratie auf den Punkt zu bringen. Nur so bekommt man die (Schein-)Investoren, (Bau-)Unternehmer und politischen (Volks-)Vertreter bis in unsere Tage entlarvend dargestellt. Statt Empörung und Machtlosigkeit sie der Lächerlichkeit und Eugenspiegelei preis zu geben.
Das Ensemble ist durchgehend großartig besetzt, hat spürbaren Spaß an dieser Inszenierung, der auf das Publikum ansteckend wirkt. Vielleicht weil „Der Revisor“ eben nicht nur als ein revolutionäres Stück der zaristischen Bürokratie verstanden werden kann.
Jörg Konrad