Franz Marc Museum: MARC, KANDINSKY, KIRCHNER, SOULAGES, VOTH … Der Rhythmus der Natur
MARC, KANDINSKY, KIRCHNER, SOULAGES, VOTH …
Der Rhythmus der Natur
Franz Marc Museum, Kochel am See
Ausstellung vom 16. Oktober 2022 bis 12. März 2023
Kunst und Natur – Natur und Kunst. Wie verhalten sie sich zueinander im 20. und 21.Jahrhundert, einer Epoche, in der die Künstler sich neue Gesetze und der Kunst neue Ziele geben? Wie zeigt die Kunst das Verhältnis von Mensch und Natur?
Im Franz Marc Museum gehen wir dieser Frage in diesem Winter nach.
Mit dem Projekt „Boot aus Stein“ des Münchner Künstlerpaars Hannsjörg Voth und Ingrid Amslinger. Und mit Werken von Lyonel Feininger, Erich Heckel, Wassily Kandinsky, Anselm Kiefer, Ernst Ludwig Kirchner, Paul Klee, August Macke, Franz Marc, Otto Müller, Gabriele Münter, Emil Nolde, Pierre Soulages.
Ihre Bilder zeigen Wiesen und Gärten, Blumen und Bäume, Flüsse und Seen, aber auch Flaneure im Park und Tiere auf der Weide. Sind sie alle, Tiere und Menschen, harmonisch eingebettet in die Natur? Wo zeichnen sich Brüche ab, wo bleibt nur die melancholische Erinnerung an ein verlorenes Paradies?
Auf dem großen Gemälde Anselm Kiefers „Unter der Linden an der Heiden …“ gilt die Melancholie nicht der Natur, sondern die Natur wird zur Projektionsfläche eines unglücklich Liebenden. Die geknickten Blüten sind Symbole der für immer vergangenen Momente seiner Liebe. Doch die Natur geht mit Licht und Schatten, Sturm und Sonne unberührt darüber hinweg. Sie folgt ihrem Rhythmus, dem zyklischen Wechsel von Werden und Vergehen, der das Maß des menschlichen Lebens weit überschreitet.
Auch Franz Marc hatte ein zyklisches Verständnis von Natur. Alles organische Leben war seiner Vorstellung nach in einen kontinuierlichen Kreislauf eingebunden, einen beweglichen Zusammenhang, der im schwingenden Rhythmus seiner Tierbilder, in der engen kompositorischen Verbindung von Tier und Landschaft zum Ausdruck kommt. Das zeigen seine Pferdedarstellungen und seine Bilder von Rehen und Katzen, Kühen und Eseln. In Marcs letzten, 1913/14 entstandenen Werken wird seine Vision eines übergreifenden, kosmischen Rhythmus als abstrakte Struktur sichtbar.
Die Künstler der „Brücke“, Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel oder Otto Müller formulieren in ihren Bildern ebenfalls eine Utopie. Während Franz Marc die harmonische Verbindung von Tier und Landschaft seinen menschlichen Betrachtern als eine Art Meditationsbild über ihre eigene distanzierte Stellung zur Natur vor Augen führt, schließen die Maler der „Brücke“ den Menschen aus ihren Darstellungen nicht aus. Sie zeigen ihn in „natürlicher“ Nacktheit am Strand, im Wald, am Meer und im Atelier, wo die Modelle mit den Künstlern lebten und arbeiteten. Diese, um die Jahrhundertwende unkonventionelle Lebensweise ist für die „Brücke“ die eines „neuen Menschen“ der zu einer ursprünglichen, paradiesischen Lebensweise in Harmonie mit der Natur zurückfindet und sich von den Konventionen seiner Zeit emanzipiert.
Eine neue Vorstellung vom Menschen äußert sich auch in den Porträts der ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts. Alexej Jawlensky, Paula Modersohn-Becker oder Max Beckmann malen ihre Modelle in ungewöhnlicher Farbigkeit und in einem Ambiente, das der Bildnistradition in keiner Weise mehr entspricht. Es geht nicht um Repräsentation, um soziale Stellung oder Schönheit, sondern um die Offenlegung seelischer und emotionaler Qualitäten. Philosophie und Naturwissenschaft, die Studien Siegmund Freuds, seine 1900 erschienene „Traumdeutung“, hatten die Vorstellung, die man sich vom Wesen des Menschen machte, grundlegend verändert. Die Maler versuchen, hinter seiner äußeren Erscheinung die innerste Natur des Menschen zu entdecken und darzustellen.
Neue Erkenntnisse der Naturwissenschaften beeinflussten auch die Landschaftsmalerei. Die Entdeckung des Atoms veränderte die Wahrnehmung der Welt und die Vorstellung von ihren Dimensionen. So verortet Fritz Winter seine „Weltlebenbilder“ in der großen Ordnung der kosmischen Verhältnisse. Nach dem Zweiten Weltkrieg verzichtet die abstrakte Malerei auf die Abbildung der Welt in Form von Landschaftsbildern. Sie konzentriert sich auf die Darstellung von Grundprinzipien der Natur: Dunkel und Licht, Schwarz und Weiß bestimmen die Gemälde von Pierre Soulages in vielen Nuancen. Wie schon bei Paul Klee, der in den 20er Jahren bei seinen Überlegungen zum Farbkreis Hell und Dunkel mit moralischen Qualitäten -Gut und Böse - versah, geht es in der Nachkriegsabstraktion um Fragen der Spannung und des Gleichgewichts der Komposition und der Farben. Das Bild wird zum Gleichnis für die Verhältnisse in Natur und Kosmos.
Hannsjörg Voth und Ingrid Amslinger schließlich lösen sich aus der Rolle der analysierenden Beobachter. Mit seiner Pyramide im holländischen Ijsselmeer realisierte Hannsjörg Voth 1981 ein Projekt, das Kunst als Naturschauspiel inszenierte. Durch den künstlerischen Eingriff wurde eine intensive Erfahrung natürlicher Phänomene möglich. Bewahrt und wieder lebendig wird diese Vision in den Fotografien Ingrid Amslingers, die den Entstehungsprozess und die Wirkung dieser besonderen Architektur in der Natur einfühlsam dokumentieren. „Boot aus Stein“ vermittelte Naturerfahrung in einem ganz direkten Sinn: Wochenlang lebten Hannsjörg Voth und Ingrid Amslinger in der Pyramide, im Rhythmus der Natur und setzten sich nicht nur ihrer Schönheit, sondern auch ihrer Gewalt aus.
Franz Marc Museum
Franz Marc Park 8-10,
82431 Kochel am See
Abbildungen:
1. Lyonel Feininger, Troistedt,
1923 Franz Marc Museum,
Dauerleihgabe aus Privatbesitz
Foto: Walter Bayer, München
2. Wassily Kandinsky, Rapallo, Boot im Meer,
1906 Franz Marc Museum,
Erworben mit Hilfe der Ernst von Siemens Kunststiftung, Kulturstiftung der Länder, Stiftung Etta und Otto Stangl
Foto: collecto.art
3. Otto Müller, Badende,
1920 Franz Marc Museum
Dauerleihgabe aus Privatbesitz
Foto: collecto.art