„Fast wäre es beim 10. Deutschen Jazzfestival zu einem Skandal gekommen. Gelächter, ironischer Beifall, Zwischenrufe („Aufhören“) unterbrachen die Musik. Einige Besucher verließen mitten im Konzert den Saal. Der Leiter der Gruppe, die gerade spielte, musste mit einer Geste das Publikum um Geduld bitten. Die bewies es dann auch, aber in den erleichterten Schlussbeifall mischten sich Buh-Rufe.“ So schrieb Manfred Miller 1966 in der „Gondel“ über den Auftritt der Wolfgang Dauner Band in Frankfurt am Main. Die „Gondel“, ein monatlich erscheinendes Magazin, das über Jahre die 8-seitige Beilage „Jazz-Echo“ vertrieb, beinhaltete Pinups, Erotik, Unterhaltung und Informationen aus der Film- und Modewelt. Auf den Weg gebracht hatte diese Beilage Joachim-Ernst Berendt Mitte der 1950er Jahre, damals unter dem Pseudonym Joe Brown. Die Vermittlung von Jazz eben auch außerhalb einschlägiger Fachzeitschriften war für ihn von außergewöhnlicher Dringlichkeit.
So erschienen unter dem Dach dieses (Männer-)Magazins hochinteressante Artikel über Jazzstile und deren Protagonisten, über Festivals zeitgenössischer Musik und über neue Entwicklungen in der Szene.
Siegfried Schmidt-Joos, der übrigens die Redaktion des „Jazz-Echos“ 1959 übernahm, hat mit dem vorliegenden Buch viele dieser Artikel zusammengefasst und damit ein Stück bundesrepublikanischer Jazzgeschichte neu zugänglich gemacht. So lässt sich aus heutiger Perspektive die Wirkung und Rezeption von Instrumentalisten wie Ornette Coleman (1965), Don Cherry (1965), Sonny Rollins (1963), John Lee Hooker (1963) oder Manfred Schoof (1967) nachvollziehen. Es sind, nicht nur aus der Gegenwart betrachtet, spannende Texte, die mit Sachverstand, Toleranz und Leidenschaft die musikalische als auch gesellschaftliche Aufbruchstimmung jenes Jahrzehnts zum Ausdruck bringen. Zu den Autoren gehören, neben jenem oben erwähnten Manfred Miller und dem Herausgeber der „Jazz-Echos aus den Sixties – Kritische Skizzen aus einem hoffnungsvollem Jahrzehnt“ auch der französische Musiker und Journalist Mike Zwerin, der US-amerikanischer Journalist, Historiker und Jazz-Kritiker Nat Hentoff, der deutsche Jazzspezialist Werner Burkhardt, Ingolf Wachler und natürlich Joachim-Ernst Behrendt. All diesen Autoren sind in der Lage, Musik in einem flüssigen und wunderbar zu lesenden Schreibstil zu vermitteln. Bedenkt man zudem, dass in den Jahren des Erscheinens dieser Texte Jazz noch als „Disharmonie, Degeneration der Musik, Musik für Primitive, Entartung der Kunst, Zerreißprobe für die Nerven“ öffentlich verfemt wurde.
Siegfried Schmidt-Joss, einer sehr großen Leserschaft bekannt geworden als Herausgeber des legendären ersten „Rock-Lexikon“ im Jahr 1973, sowie folgender überarbeiteter Auflagen, wurde 1936 in Gotha/Thüringen geboren. Er gründete noch in der DDR einen der ersten offiziellen Jazzclubs (Halle an der Saale), flüchtete 1957 in die Bundesrepublik, studierte unter anderen bei Carlo Schmid und Theodor W. Adorno Kulturwissenschaften. Er arbeitete über Jahrzehnte als Musikredakteur für das Radio (Radio Bremen, RIAS u.a.), moderierte Musiksendungen im Fernsehen und schrieb als Autor für viele deutschsprachige Zeitungen (Spiegel, Twen, Brigitte, Fono-Forum, Jazzpodium u.v.a.). Schmidt-Joos widmete sich mit gleicher leidenschaftlichen Hartnäckigkeit den Phänomen des Rock und Pop und darf heute als einer der wichtigsten Chronisten dieser Kulturformen benannt werden.
Jörg Konrad